Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

i - , .
Der Roman geHort in die Reihe derjenigen, in welchen der Dichter die
vaterländische Geschichte in Bildern aus den verschiedenen Perioden gezeichnet hat:
der Roland von Berlin, der falsche Waldemar, Cabanis. Diesmal hat die Zeit,
welche unmittelbar der Schlacht von Jena vorangeht, dem Dichter zum Vorwurf
seines Gemäldes gedient. Sie ist in mancher Beziehung interessanter, als irgend
eine der Perioden, die Alexis bisher geschildert hat, aber sie ist auch mit manchen
Schwierigkeiten verknüpft.

Die eine liegt darin, daß die Zeit uns noch zu nahe steht, um sie mit völ¬
liger Unbefangenheit ausmalen zu können. Der Dichter führt eine Menge Per¬
sonen vor, die damals am preußischen Hof eine bedeutende Rolle spielten, und
seine Schilderung wird namentlich durch einzelne sehr derbe und humoristisch aus¬
geführte Züge zu einer bittern Sathre; allein man sieht es ihm doch an, daß
er sich nicht mit vollkommener Freiheit bewegt. Um die Gefühle der gegenwär¬
tigen Generation zu schonen, verschweigt er einige Male, wenn auch ausnahms¬
weise, die Namen, was freilich nicht viel hilft, da man sie doch mit leichter Mühe
erräth. Sodann giebt er uns seine geheimen Cabinetsgeschichten nicht ganz voll¬
ständig, es fehlen einige sehr wesentliche Mittelglieder, und man merkt bald
den Grund: es sind nämlich in dem Dichter selbst collidirende Gefühle vorhanden,
die er nicht recht in Einklang zu setzen weiß und die er daher umgeht. Das
ist aber keineswegs so zu verstehen, als ließe er sich von einer scharfen und be¬
stimmten Darstellung durch äußerliche Gründe zurückhalten; er wagt sich vielmehr
an die Schilderung des Königs selbst und weiß die Schattenseiten desselben sehr
wohl hervorzuheben, ohne dadurch der Pietät, die jeder Preuße vor dem An¬
denken Friedrich Wilhelm III. hegt, irgendwie zu nahe zu treten.

Ein zweiter Uebelstand liegt in der Concurrenz mit anderen novellistischen und
historischen Darstellungen jener Zeit. Die ideale Seite der damaligen Gesellschaft
ist durch Goethe in Wilhelm Meister und in den Wahlverwandtschaften auf eine
Weise dargestellt, daß jeder Wetteifer mißlich sein würde; aber auch direct ist sie
z. B. in den Memoiren des Freiherrn S. . . . a mit vielem Geschick portraitirt
worden, ,und wenn wir die Schriften der Rahel, die Denkwürdigkeiten Varnhagen's
und ähnlicher Schriftsteller lesen, oder noch besser die neueren Biographien von
Stein, Aork u. s. w., so gewinnen wir daraus doch el" viel klareres voll¬
ständigeres Bild von der geistigen Richtung jener Zeit, als uns auch der
talentvollste Schriftsteller geben kann, der jener Stimmung nicht mehr nahe ge¬
standen hat. Vielleicht ist das der Grund gewesen, daß Wilibald Alexis, wenn
er auch die Kreise der höhern Gesellschaft und die literarischen Cirkel in sein
Gemälde mit aufnimmt, dennoch mit besonderer Vorliebe in den unteren Schich¬
ten des bürgerlichen Lebens und selbst in den Regionen des Lasters verweilt.
So gewinnt es aber fast den Anschein, als ob dann das charakteristische Kenn¬
zeichen des Zeitalters und sein Gegensatz gegen das unsrige liegen sollte, nud


i - , .
Der Roman geHort in die Reihe derjenigen, in welchen der Dichter die
vaterländische Geschichte in Bildern aus den verschiedenen Perioden gezeichnet hat:
der Roland von Berlin, der falsche Waldemar, Cabanis. Diesmal hat die Zeit,
welche unmittelbar der Schlacht von Jena vorangeht, dem Dichter zum Vorwurf
seines Gemäldes gedient. Sie ist in mancher Beziehung interessanter, als irgend
eine der Perioden, die Alexis bisher geschildert hat, aber sie ist auch mit manchen
Schwierigkeiten verknüpft.

Die eine liegt darin, daß die Zeit uns noch zu nahe steht, um sie mit völ¬
liger Unbefangenheit ausmalen zu können. Der Dichter führt eine Menge Per¬
sonen vor, die damals am preußischen Hof eine bedeutende Rolle spielten, und
seine Schilderung wird namentlich durch einzelne sehr derbe und humoristisch aus¬
geführte Züge zu einer bittern Sathre; allein man sieht es ihm doch an, daß
er sich nicht mit vollkommener Freiheit bewegt. Um die Gefühle der gegenwär¬
tigen Generation zu schonen, verschweigt er einige Male, wenn auch ausnahms¬
weise, die Namen, was freilich nicht viel hilft, da man sie doch mit leichter Mühe
erräth. Sodann giebt er uns seine geheimen Cabinetsgeschichten nicht ganz voll¬
ständig, es fehlen einige sehr wesentliche Mittelglieder, und man merkt bald
den Grund: es sind nämlich in dem Dichter selbst collidirende Gefühle vorhanden,
die er nicht recht in Einklang zu setzen weiß und die er daher umgeht. Das
ist aber keineswegs so zu verstehen, als ließe er sich von einer scharfen und be¬
stimmten Darstellung durch äußerliche Gründe zurückhalten; er wagt sich vielmehr
an die Schilderung des Königs selbst und weiß die Schattenseiten desselben sehr
wohl hervorzuheben, ohne dadurch der Pietät, die jeder Preuße vor dem An¬
denken Friedrich Wilhelm III. hegt, irgendwie zu nahe zu treten.

Ein zweiter Uebelstand liegt in der Concurrenz mit anderen novellistischen und
historischen Darstellungen jener Zeit. Die ideale Seite der damaligen Gesellschaft
ist durch Goethe in Wilhelm Meister und in den Wahlverwandtschaften auf eine
Weise dargestellt, daß jeder Wetteifer mißlich sein würde; aber auch direct ist sie
z. B. in den Memoiren des Freiherrn S. . . . a mit vielem Geschick portraitirt
worden, ,und wenn wir die Schriften der Rahel, die Denkwürdigkeiten Varnhagen's
und ähnlicher Schriftsteller lesen, oder noch besser die neueren Biographien von
Stein, Aork u. s. w., so gewinnen wir daraus doch el» viel klareres voll¬
ständigeres Bild von der geistigen Richtung jener Zeit, als uns auch der
talentvollste Schriftsteller geben kann, der jener Stimmung nicht mehr nahe ge¬
standen hat. Vielleicht ist das der Grund gewesen, daß Wilibald Alexis, wenn
er auch die Kreise der höhern Gesellschaft und die literarischen Cirkel in sein
Gemälde mit aufnimmt, dennoch mit besonderer Vorliebe in den unteren Schich¬
ten des bürgerlichen Lebens und selbst in den Regionen des Lasters verweilt.
So gewinnt es aber fast den Anschein, als ob dann das charakteristische Kenn¬
zeichen des Zeitalters und sein Gegensatz gegen das unsrige liegen sollte, nud


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0105" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/94008"/>
          <p xml:id="ID_262"> i  - , .<lb/>
Der Roman geHort in die Reihe derjenigen, in welchen der Dichter die<lb/>
vaterländische Geschichte in Bildern aus den verschiedenen Perioden gezeichnet hat:<lb/>
der Roland von Berlin, der falsche Waldemar, Cabanis. Diesmal hat die Zeit,<lb/>
welche unmittelbar der Schlacht von Jena vorangeht, dem Dichter zum Vorwurf<lb/>
seines Gemäldes gedient. Sie ist in mancher Beziehung interessanter, als irgend<lb/>
eine der Perioden, die Alexis bisher geschildert hat, aber sie ist auch mit manchen<lb/>
Schwierigkeiten verknüpft.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_263"> Die eine liegt darin, daß die Zeit uns noch zu nahe steht, um sie mit völ¬<lb/>
liger Unbefangenheit ausmalen zu können. Der Dichter führt eine Menge Per¬<lb/>
sonen vor, die damals am preußischen Hof eine bedeutende Rolle spielten, und<lb/>
seine Schilderung wird namentlich durch einzelne sehr derbe und humoristisch aus¬<lb/>
geführte Züge zu einer bittern Sathre; allein man sieht es ihm doch an, daß<lb/>
er sich nicht mit vollkommener Freiheit bewegt. Um die Gefühle der gegenwär¬<lb/>
tigen Generation zu schonen, verschweigt er einige Male, wenn auch ausnahms¬<lb/>
weise, die Namen, was freilich nicht viel hilft, da man sie doch mit leichter Mühe<lb/>
erräth. Sodann giebt er uns seine geheimen Cabinetsgeschichten nicht ganz voll¬<lb/>
ständig, es fehlen einige sehr wesentliche Mittelglieder, und man merkt bald<lb/>
den Grund: es sind nämlich in dem Dichter selbst collidirende Gefühle vorhanden,<lb/>
die er nicht recht in Einklang zu setzen weiß und die er daher umgeht. Das<lb/>
ist aber keineswegs so zu verstehen, als ließe er sich von einer scharfen und be¬<lb/>
stimmten Darstellung durch äußerliche Gründe zurückhalten; er wagt sich vielmehr<lb/>
an die Schilderung des Königs selbst und weiß die Schattenseiten desselben sehr<lb/>
wohl hervorzuheben, ohne dadurch der Pietät, die jeder Preuße vor dem An¬<lb/>
denken Friedrich Wilhelm III. hegt, irgendwie zu nahe zu treten.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_264" next="#ID_265"> Ein zweiter Uebelstand liegt in der Concurrenz mit anderen novellistischen und<lb/>
historischen Darstellungen jener Zeit. Die ideale Seite der damaligen Gesellschaft<lb/>
ist durch Goethe in Wilhelm Meister und in den Wahlverwandtschaften auf eine<lb/>
Weise dargestellt, daß jeder Wetteifer mißlich sein würde; aber auch direct ist sie<lb/>
z. B. in den Memoiren des Freiherrn S. . . . a mit vielem Geschick portraitirt<lb/>
worden, ,und wenn wir die Schriften der Rahel, die Denkwürdigkeiten Varnhagen's<lb/>
und ähnlicher Schriftsteller lesen, oder noch besser die neueren Biographien von<lb/>
Stein, Aork u. s. w., so gewinnen wir daraus doch el» viel klareres voll¬<lb/>
ständigeres Bild von der geistigen Richtung jener Zeit, als uns auch der<lb/>
talentvollste Schriftsteller geben kann, der jener Stimmung nicht mehr nahe ge¬<lb/>
standen hat. Vielleicht ist das der Grund gewesen, daß Wilibald Alexis, wenn<lb/>
er auch die Kreise der höhern Gesellschaft und die literarischen Cirkel in sein<lb/>
Gemälde mit aufnimmt, dennoch mit besonderer Vorliebe in den unteren Schich¬<lb/>
ten des bürgerlichen Lebens und selbst in den Regionen des Lasters verweilt.<lb/>
So gewinnt es aber fast den Anschein, als ob dann das charakteristische Kenn¬<lb/>
zeichen des Zeitalters und sein Gegensatz gegen das unsrige liegen sollte, nud</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0105] i - , . Der Roman geHort in die Reihe derjenigen, in welchen der Dichter die vaterländische Geschichte in Bildern aus den verschiedenen Perioden gezeichnet hat: der Roland von Berlin, der falsche Waldemar, Cabanis. Diesmal hat die Zeit, welche unmittelbar der Schlacht von Jena vorangeht, dem Dichter zum Vorwurf seines Gemäldes gedient. Sie ist in mancher Beziehung interessanter, als irgend eine der Perioden, die Alexis bisher geschildert hat, aber sie ist auch mit manchen Schwierigkeiten verknüpft. Die eine liegt darin, daß die Zeit uns noch zu nahe steht, um sie mit völ¬ liger Unbefangenheit ausmalen zu können. Der Dichter führt eine Menge Per¬ sonen vor, die damals am preußischen Hof eine bedeutende Rolle spielten, und seine Schilderung wird namentlich durch einzelne sehr derbe und humoristisch aus¬ geführte Züge zu einer bittern Sathre; allein man sieht es ihm doch an, daß er sich nicht mit vollkommener Freiheit bewegt. Um die Gefühle der gegenwär¬ tigen Generation zu schonen, verschweigt er einige Male, wenn auch ausnahms¬ weise, die Namen, was freilich nicht viel hilft, da man sie doch mit leichter Mühe erräth. Sodann giebt er uns seine geheimen Cabinetsgeschichten nicht ganz voll¬ ständig, es fehlen einige sehr wesentliche Mittelglieder, und man merkt bald den Grund: es sind nämlich in dem Dichter selbst collidirende Gefühle vorhanden, die er nicht recht in Einklang zu setzen weiß und die er daher umgeht. Das ist aber keineswegs so zu verstehen, als ließe er sich von einer scharfen und be¬ stimmten Darstellung durch äußerliche Gründe zurückhalten; er wagt sich vielmehr an die Schilderung des Königs selbst und weiß die Schattenseiten desselben sehr wohl hervorzuheben, ohne dadurch der Pietät, die jeder Preuße vor dem An¬ denken Friedrich Wilhelm III. hegt, irgendwie zu nahe zu treten. Ein zweiter Uebelstand liegt in der Concurrenz mit anderen novellistischen und historischen Darstellungen jener Zeit. Die ideale Seite der damaligen Gesellschaft ist durch Goethe in Wilhelm Meister und in den Wahlverwandtschaften auf eine Weise dargestellt, daß jeder Wetteifer mißlich sein würde; aber auch direct ist sie z. B. in den Memoiren des Freiherrn S. . . . a mit vielem Geschick portraitirt worden, ,und wenn wir die Schriften der Rahel, die Denkwürdigkeiten Varnhagen's und ähnlicher Schriftsteller lesen, oder noch besser die neueren Biographien von Stein, Aork u. s. w., so gewinnen wir daraus doch el» viel klareres voll¬ ständigeres Bild von der geistigen Richtung jener Zeit, als uns auch der talentvollste Schriftsteller geben kann, der jener Stimmung nicht mehr nahe ge¬ standen hat. Vielleicht ist das der Grund gewesen, daß Wilibald Alexis, wenn er auch die Kreise der höhern Gesellschaft und die literarischen Cirkel in sein Gemälde mit aufnimmt, dennoch mit besonderer Vorliebe in den unteren Schich¬ ten des bürgerlichen Lebens und selbst in den Regionen des Lasters verweilt. So gewinnt es aber fast den Anschein, als ob dann das charakteristische Kenn¬ zeichen des Zeitalters und sein Gegensatz gegen das unsrige liegen sollte, nud

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_93902
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_93902/105
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_93902/105>, abgerufen am 05.07.2024.