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Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. I. Band.

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die mit einem derartigen Aufstand unvermeidlich verknüpft sind, geschildert werden.
In dem Propheten selbst kämpft das natürliche Gefühl mit jener exaltirten Stim-
mung, die in der Vergeltung der Uebel ein Gericht des Herrn siebt. Der An¬
griff der Feinde giebt seiner zweifelnden Seele neue Elasticität; er unterwirft sich
zuerst sein eigenes Volk, dann führt er es zum Siege. Eine Erinnerung an
seinen frühem Zustand durste in diesem Act, aber nur ganz leise, als Ahnung
des künftigen Conflicts seiner Seele, durchgingen. Im folgenden Act steht er
dann an der Spitze seiner Macht, und ist durch den unerwarteten Erfolg in eine
schwindelnde Stimmung hinaufgeschraubt, die ihn mit seiner Rolle vollständig
identiftcirt. In dem Königszug erkennt ihn seiue Mutter, spricht ihn an, und
im wilden Fanatismus, treu seinem Versprechen, ruft er ihr zu: Weib, was habe
ich mit Dir zu schaffen? Durch das ausgesprochene Wort kommt aber in seine
Seele ein Bewußtsein seiner Stellung, die er früher nur ganz abstract aufgefaßt
hatte. Er erkennt, daß er dnrch die Uebernahme der Rolle eines Uebermenschen
ein Unmensch geworden ist. Die Greuelthaten, die er früher nur in der Form
der Nothwendigkeit und des Rechts angeschaut, lasten uun als Schuld aus seiner
Seele, und er wird innerlich gebrochen. Wie äußerlich der Ausgang herbeigeführt
wird, ist ziemlich gleichgültig. Freilich darf er am wenigsten auf den Gedanken
kommen, mit seiner Mutter davon zu laufen, oder sich gleich Sardanapal in der
Mitte seiner Weiber in die Lust zu sprengen. Das eigene Volk kann ihm die
unfreiwillige Täuschung als Betrug aufbürden und ihn todten, oder er kauu in
der Schlacht fallen u. f. w. Bei allen diesen Vorstellungen ist natürlich voraus¬
gesetzt, daß man von der wirklichen Geschichte des Johann Bockhold vollständig
abstrahier. Der Dichter hat sich also sorgfältig davor zu hüten, unsre Phantasie
daran zu erinnern.

Dies ist ungefähr der Plan, wie er Meyerbeer und Scribe vorschweben
mußte, um sie auf die Idee eiuer heroischen Oper zu bringen, und wie wir ihn
noch aus dem Wust von Abgeschmacktheiten, mit dem sie ihn überdeckt haben,
heraus erkennen. Ein solcher Plan würde zwar nicht geeignet sein für ein wirk¬
liches Drama, denn bei diesem kommt es ans eine psychologische Detaillirung an,
wol aber für eine Oper, welche im Stande wäre, sowol das Volk, als die drei
Wiedertäufer durch einfache große Züge in lebendige Bewegung zu setzen und
die Gefnhlsconflictc des Helden durch starke Appellation an die Phantasie zu
versinnlichen.

Wir wollen nun näher zusehen, wie Wagner, der sowol diese neuen reflec-
tirten Tendenzen, als die alten naiven Formen mit großer Geringschätzung zurück¬
weist, sich das Drama denkt, aus dessen Mitwirkung er das Kunstwerk der Zu-
kunft herzuleiten hofft.

Das wirkliche Drama konuut nicht besser weg, als die Oper. Es wird im
zweiten Bande nachgewiesen, daß die ganze Geschichte des modernen Drama'S


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die mit einem derartigen Aufstand unvermeidlich verknüpft sind, geschildert werden.
In dem Propheten selbst kämpft das natürliche Gefühl mit jener exaltirten Stim-
mung, die in der Vergeltung der Uebel ein Gericht des Herrn siebt. Der An¬
griff der Feinde giebt seiner zweifelnden Seele neue Elasticität; er unterwirft sich
zuerst sein eigenes Volk, dann führt er es zum Siege. Eine Erinnerung an
seinen frühem Zustand durste in diesem Act, aber nur ganz leise, als Ahnung
des künftigen Conflicts seiner Seele, durchgingen. Im folgenden Act steht er
dann an der Spitze seiner Macht, und ist durch den unerwarteten Erfolg in eine
schwindelnde Stimmung hinaufgeschraubt, die ihn mit seiner Rolle vollständig
identiftcirt. In dem Königszug erkennt ihn seiue Mutter, spricht ihn an, und
im wilden Fanatismus, treu seinem Versprechen, ruft er ihr zu: Weib, was habe
ich mit Dir zu schaffen? Durch das ausgesprochene Wort kommt aber in seine
Seele ein Bewußtsein seiner Stellung, die er früher nur ganz abstract aufgefaßt
hatte. Er erkennt, daß er dnrch die Uebernahme der Rolle eines Uebermenschen
ein Unmensch geworden ist. Die Greuelthaten, die er früher nur in der Form
der Nothwendigkeit und des Rechts angeschaut, lasten uun als Schuld aus seiner
Seele, und er wird innerlich gebrochen. Wie äußerlich der Ausgang herbeigeführt
wird, ist ziemlich gleichgültig. Freilich darf er am wenigsten auf den Gedanken
kommen, mit seiner Mutter davon zu laufen, oder sich gleich Sardanapal in der
Mitte seiner Weiber in die Lust zu sprengen. Das eigene Volk kann ihm die
unfreiwillige Täuschung als Betrug aufbürden und ihn todten, oder er kauu in
der Schlacht fallen u. f. w. Bei allen diesen Vorstellungen ist natürlich voraus¬
gesetzt, daß man von der wirklichen Geschichte des Johann Bockhold vollständig
abstrahier. Der Dichter hat sich also sorgfältig davor zu hüten, unsre Phantasie
daran zu erinnern.

Dies ist ungefähr der Plan, wie er Meyerbeer und Scribe vorschweben
mußte, um sie auf die Idee eiuer heroischen Oper zu bringen, und wie wir ihn
noch aus dem Wust von Abgeschmacktheiten, mit dem sie ihn überdeckt haben,
heraus erkennen. Ein solcher Plan würde zwar nicht geeignet sein für ein wirk¬
liches Drama, denn bei diesem kommt es ans eine psychologische Detaillirung an,
wol aber für eine Oper, welche im Stande wäre, sowol das Volk, als die drei
Wiedertäufer durch einfache große Züge in lebendige Bewegung zu setzen und
die Gefnhlsconflictc des Helden durch starke Appellation an die Phantasie zu
versinnlichen.

Wir wollen nun näher zusehen, wie Wagner, der sowol diese neuen reflec-
tirten Tendenzen, als die alten naiven Formen mit großer Geringschätzung zurück¬
weist, sich das Drama denkt, aus dessen Mitwirkung er das Kunstwerk der Zu-
kunft herzuleiten hofft.

Das wirkliche Drama konuut nicht besser weg, als die Oper. Es wird im
zweiten Bande nachgewiesen, daß die ganze Geschichte des modernen Drama'S


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[0099] die mit einem derartigen Aufstand unvermeidlich verknüpft sind, geschildert werden. In dem Propheten selbst kämpft das natürliche Gefühl mit jener exaltirten Stim- mung, die in der Vergeltung der Uebel ein Gericht des Herrn siebt. Der An¬ griff der Feinde giebt seiner zweifelnden Seele neue Elasticität; er unterwirft sich zuerst sein eigenes Volk, dann führt er es zum Siege. Eine Erinnerung an seinen frühem Zustand durste in diesem Act, aber nur ganz leise, als Ahnung des künftigen Conflicts seiner Seele, durchgingen. Im folgenden Act steht er dann an der Spitze seiner Macht, und ist durch den unerwarteten Erfolg in eine schwindelnde Stimmung hinaufgeschraubt, die ihn mit seiner Rolle vollständig identiftcirt. In dem Königszug erkennt ihn seiue Mutter, spricht ihn an, und im wilden Fanatismus, treu seinem Versprechen, ruft er ihr zu: Weib, was habe ich mit Dir zu schaffen? Durch das ausgesprochene Wort kommt aber in seine Seele ein Bewußtsein seiner Stellung, die er früher nur ganz abstract aufgefaßt hatte. Er erkennt, daß er dnrch die Uebernahme der Rolle eines Uebermenschen ein Unmensch geworden ist. Die Greuelthaten, die er früher nur in der Form der Nothwendigkeit und des Rechts angeschaut, lasten uun als Schuld aus seiner Seele, und er wird innerlich gebrochen. Wie äußerlich der Ausgang herbeigeführt wird, ist ziemlich gleichgültig. Freilich darf er am wenigsten auf den Gedanken kommen, mit seiner Mutter davon zu laufen, oder sich gleich Sardanapal in der Mitte seiner Weiber in die Lust zu sprengen. Das eigene Volk kann ihm die unfreiwillige Täuschung als Betrug aufbürden und ihn todten, oder er kauu in der Schlacht fallen u. f. w. Bei allen diesen Vorstellungen ist natürlich voraus¬ gesetzt, daß man von der wirklichen Geschichte des Johann Bockhold vollständig abstrahier. Der Dichter hat sich also sorgfältig davor zu hüten, unsre Phantasie daran zu erinnern. Dies ist ungefähr der Plan, wie er Meyerbeer und Scribe vorschweben mußte, um sie auf die Idee eiuer heroischen Oper zu bringen, und wie wir ihn noch aus dem Wust von Abgeschmacktheiten, mit dem sie ihn überdeckt haben, heraus erkennen. Ein solcher Plan würde zwar nicht geeignet sein für ein wirk¬ liches Drama, denn bei diesem kommt es ans eine psychologische Detaillirung an, wol aber für eine Oper, welche im Stande wäre, sowol das Volk, als die drei Wiedertäufer durch einfache große Züge in lebendige Bewegung zu setzen und die Gefnhlsconflictc des Helden durch starke Appellation an die Phantasie zu versinnlichen. Wir wollen nun näher zusehen, wie Wagner, der sowol diese neuen reflec- tirten Tendenzen, als die alten naiven Formen mit großer Geringschätzung zurück¬ weist, sich das Drama denkt, aus dessen Mitwirkung er das Kunstwerk der Zu- kunft herzuleiten hofft. Das wirkliche Drama konuut nicht besser weg, als die Oper. Es wird im zweiten Bande nachgewiesen, daß die ganze Geschichte des modernen Drama'S Grenzlwten. I. -I8.'i2. 12

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_93364/99>, abgerufen am 22.07.2024.