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Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. I. Band.

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Er war mehrmals in Rußland gewesen, und kannte dort Land und Leute, wie in
Deutschland und Italien -- er liebte die, wie er sagte, nach deutschen Originalen
geformte Bureaukratie Rußlands nicht; aber es war seine felsenfeste und oft ge¬
äußerte Ueberzeugung, daß die Gesellschaft als solche in keinem europäischen
Lande sich so frei bewege und entwickele, als in dem so verrufenen Nußland.
Ueberhaupt kennt der Zrnagorer keine Furcht vor der b?i Ihnen so entsetzlich ge¬
schilderten Despotie deö russischen Gouvernements; laßt ihm das Hans, die Familie,
die CvmMnne so frei, wie sie in der Zrnagora und in Nußland ist -- nach dem
Uebrigen, den staatlichen Institutionen fragt er wenig. -- So war denn auch der
Vladyka wirklich Pauslavist, durchdrungen von der Ueberzeugung, daß das Slaven-
thum uur mit und durch Rußland zur Einheit, durch diese allmählich zur Freiheit
und zur "Erfüllung seiner Sendung" geführt werdeu könne.")

Aus Vorstehendem ist es daher leicht begreiflich, warum der Vladyka sein
im vorigen Jahre abgefaßtes Testament beim russischen Ministerium der auswär¬
tigen Angelegenheiten, bei der russischen Gesandtschaft in Wien und beim russischen
Konsul in Ragusa deponirt, und den Letztgenannten zum Vollzieher seines letzten
Willens gemacht hatte. Rußland ist der einzige Staat, der die Zrnagora als
souverainen Staat anerkannte, und seine Diplomatie dem Vladyka zur Disposition
stellte; wollten ja doch die Anderen mit dem Vladyka, den sie für eine Espöce
von europäischem Tameameha hielten, in keine diplomatische Verbindung treten,
obwol zuvor Oestreich seine wohlgefiihrten Schläge auf die LoeeKe all Lattaro
schwer genug gefühlt hatte, und Ursache gehabt hätte zu wünschen, in einem
freundschaftlichen Verhältnisse zu demselben zu stehen.

Doch um zum Vladyka zurückzukehren, habe ich noch zu bemerken, daß er
sich in den letzten Jahren durch eine Verkühlung in Wien die Schwindsucht zu¬
gezogen hatte. Obwol er von der UnHeilbarkeit des Uebels überzeugt war, reiste
er seit dem vorigen Winter in Italien, um dein Wunsche seiner Verwandten zu
entsprechen, und unter dem mildern Himmel Linderung zu suchen. Die Sehnsucht
nach der Heimath führte ihn im October zurück. sein Geist hatte sich uicht beu¬
gen lassen, aber sein Körper erlag. Dieser Mann, dessen Jupitergestalt und an¬
tike Schönheit so manchen Blick auf sich gezogen hatte, glich nnr noch einem
Schatten, als er in Zctinje ankam. Er fühlte sein Ende nahen, traf selbst alle
für diesen Fall nothwendigen Anstalten, und am Morgen des Octobers
hauchte er mit der Ruhe deö Weisen und in dem Bewußtsein eines wohlange¬
wandten Lebens seinen Geist aus.



*) Ausser einigen jungen Leuten, welche durch ihren Aufenthalt in den westeuropäischen
Ländern mit dem Leben der dortigen politischen Parteien bekannt, wurden, und nach diesem
Maßstabe die heimathlichen Zustände messen, theilt das ganze serbische Volk die zuvor geäußerte
Ansicht. -- Ich werde in nächster Zeit darüber in diesen Blättern sprechen, und wünsche, daß
der freundliche Leser dieses Fant anerkenne, wie ich selbst es anerkennen mußte.
Nun. deö Verf.

Er war mehrmals in Rußland gewesen, und kannte dort Land und Leute, wie in
Deutschland und Italien — er liebte die, wie er sagte, nach deutschen Originalen
geformte Bureaukratie Rußlands nicht; aber es war seine felsenfeste und oft ge¬
äußerte Ueberzeugung, daß die Gesellschaft als solche in keinem europäischen
Lande sich so frei bewege und entwickele, als in dem so verrufenen Nußland.
Ueberhaupt kennt der Zrnagorer keine Furcht vor der b?i Ihnen so entsetzlich ge¬
schilderten Despotie deö russischen Gouvernements; laßt ihm das Hans, die Familie,
die CvmMnne so frei, wie sie in der Zrnagora und in Nußland ist — nach dem
Uebrigen, den staatlichen Institutionen fragt er wenig. — So war denn auch der
Vladyka wirklich Pauslavist, durchdrungen von der Ueberzeugung, daß das Slaven-
thum uur mit und durch Rußland zur Einheit, durch diese allmählich zur Freiheit
und zur „Erfüllung seiner Sendung" geführt werdeu könne.")

Aus Vorstehendem ist es daher leicht begreiflich, warum der Vladyka sein
im vorigen Jahre abgefaßtes Testament beim russischen Ministerium der auswär¬
tigen Angelegenheiten, bei der russischen Gesandtschaft in Wien und beim russischen
Konsul in Ragusa deponirt, und den Letztgenannten zum Vollzieher seines letzten
Willens gemacht hatte. Rußland ist der einzige Staat, der die Zrnagora als
souverainen Staat anerkannte, und seine Diplomatie dem Vladyka zur Disposition
stellte; wollten ja doch die Anderen mit dem Vladyka, den sie für eine Espöce
von europäischem Tameameha hielten, in keine diplomatische Verbindung treten,
obwol zuvor Oestreich seine wohlgefiihrten Schläge auf die LoeeKe all Lattaro
schwer genug gefühlt hatte, und Ursache gehabt hätte zu wünschen, in einem
freundschaftlichen Verhältnisse zu demselben zu stehen.

Doch um zum Vladyka zurückzukehren, habe ich noch zu bemerken, daß er
sich in den letzten Jahren durch eine Verkühlung in Wien die Schwindsucht zu¬
gezogen hatte. Obwol er von der UnHeilbarkeit des Uebels überzeugt war, reiste
er seit dem vorigen Winter in Italien, um dein Wunsche seiner Verwandten zu
entsprechen, und unter dem mildern Himmel Linderung zu suchen. Die Sehnsucht
nach der Heimath führte ihn im October zurück. sein Geist hatte sich uicht beu¬
gen lassen, aber sein Körper erlag. Dieser Mann, dessen Jupitergestalt und an¬
tike Schönheit so manchen Blick auf sich gezogen hatte, glich nnr noch einem
Schatten, als er in Zctinje ankam. Er fühlte sein Ende nahen, traf selbst alle
für diesen Fall nothwendigen Anstalten, und am Morgen des Octobers
hauchte er mit der Ruhe deö Weisen und in dem Bewußtsein eines wohlange¬
wandten Lebens seinen Geist aus.



*) Ausser einigen jungen Leuten, welche durch ihren Aufenthalt in den westeuropäischen
Ländern mit dem Leben der dortigen politischen Parteien bekannt, wurden, und nach diesem
Maßstabe die heimathlichen Zustände messen, theilt das ganze serbische Volk die zuvor geäußerte
Ansicht. — Ich werde in nächster Zeit darüber in diesen Blättern sprechen, und wünsche, daß
der freundliche Leser dieses Fant anerkenne, wie ich selbst es anerkennen mußte.
Nun. deö Verf.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_93364/62>, abgerufen am 22.07.2024.