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Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. I. Band.

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Vor dem Hauschöre der Station hält ein Policcman Wache. Wir treten
ein. Wir gehen durch eine lange enge Flur. Wir stehen in einer nackten Stube.
Darin ein Casernenlager. Auf diesem Constable Clark tief eingeschlafen, schnar¬
chend. Er war eben von einem neunstündigen Rundgänge todtmüde zurückgekom¬
men. Wir wollen ihn nicht stören.

Im rechten Winkel der Stube zeigt sich uns ein durch niedriges Holzgitter¬
werk abgegrenzter Raum für Gefangene; gegenüber ein Fenster, so hoch, daß
es einem Manne von mittler Größe bis in die Mitte der Brust herabreicht,
hinter welchem ein Inspector Tag nud Nacht postirt ist, um Klagefälle anzuhören.

Treten wir durch eine Tapetenthür in das Bureau des Jnspectors, dessen
Fenster wir in der ersten Stube gesehen habe". Es ist eine Amtsstube, wie wir
sie in England und Deutschland überall finden, gran, unheimlich, tinteubespritzt;
Kamin, Schreibtische, Gaslampen, Schriften und Folianten in den hohen Wand¬
fächern, und eine Schwarzwälder Uhr mit langem, knarrenden, bedächtigem Pen¬
del, das sich Mühe giebt, der Stube etwas Wohnlichkeit einzusticken.

Sechs kleine Corps von Constablern verschwinden durch die Hausthür, und
marschiren nach den verschiedenen ihnen angewiesenen Richtungen im Studenten-
^ Gänsetritte durch die Straßen, denn es ist ihnen, um dem Publicum das Trottoir
frei zu lassen, nicht gestattet, paarweise zu gehen. Die Reserven verbleiben in
der beschriebenen Vorderstube, wo Mr. Clark uoch sehr laut schnarcht. Einer
der Jnspectoren nimmt Oberrock und Hut, um eine Tour zu machen. Der an¬
dere bleibt im Bureau, um die Rapporte und Klagen in Empfang zu nehmen.

Die letzteren lassen nicht lange ans sich warten.

Da kommt ein kleines, hageres Männchen --- Mr. Syllis nennt es sich --
mit dünnem Backenbart und großer Beweglichkeit an die Fensterluke des Bureau's,
mit ihm ein ältlicher, wohlgekleideter, behäbiger, respectabel aussehender Herr
in brauner Weste, die ihm über den Bauch reicht, auf dem ein kleines Lorgnon
an einem breiten Bande ab und zu baumelt. Das ist der Beklagte, Mr. Syllis
ist der Kläger. Aber mau muß eben die Gewandtheit und Ruhe eines englischen
Polizeiinspectors haben, um die Klage des kleinen Mr. Syllis zu verstehen, so
mannichfach ist seine lange Erzählung von Club-, Jagd- und Fischerknnstanödrücken
durchwebt und durchflossen.

Der unglückselige angeschuldigte Gentleman, so scheint es, hatte vor einer
halben Stunde etwa -- aus purem Zufall -- seinen Weg nach dein Strand ge¬
funden. Am Strand giebt es nun ein Paar hundert Hausthüren, aber der Gentle¬
man wollte durchaus an keiner andern klopfen und schelle" und pochen, als ge¬
rade mir an der von Mr. Syllis. Keine andere Thür schien ihm für diese
Operation so passend gelegen. Warum? Ja, das weiß weder der Kläger, noch
der Angeklagte, uoch sonst ein Mensch. Beklagter kennt den Mr. Syllis nicht,


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Vor dem Hauschöre der Station hält ein Policcman Wache. Wir treten
ein. Wir gehen durch eine lange enge Flur. Wir stehen in einer nackten Stube.
Darin ein Casernenlager. Auf diesem Constable Clark tief eingeschlafen, schnar¬
chend. Er war eben von einem neunstündigen Rundgänge todtmüde zurückgekom¬
men. Wir wollen ihn nicht stören.

Im rechten Winkel der Stube zeigt sich uns ein durch niedriges Holzgitter¬
werk abgegrenzter Raum für Gefangene; gegenüber ein Fenster, so hoch, daß
es einem Manne von mittler Größe bis in die Mitte der Brust herabreicht,
hinter welchem ein Inspector Tag nud Nacht postirt ist, um Klagefälle anzuhören.

Treten wir durch eine Tapetenthür in das Bureau des Jnspectors, dessen
Fenster wir in der ersten Stube gesehen habe». Es ist eine Amtsstube, wie wir
sie in England und Deutschland überall finden, gran, unheimlich, tinteubespritzt;
Kamin, Schreibtische, Gaslampen, Schriften und Folianten in den hohen Wand¬
fächern, und eine Schwarzwälder Uhr mit langem, knarrenden, bedächtigem Pen¬
del, das sich Mühe giebt, der Stube etwas Wohnlichkeit einzusticken.

Sechs kleine Corps von Constablern verschwinden durch die Hausthür, und
marschiren nach den verschiedenen ihnen angewiesenen Richtungen im Studenten-
^ Gänsetritte durch die Straßen, denn es ist ihnen, um dem Publicum das Trottoir
frei zu lassen, nicht gestattet, paarweise zu gehen. Die Reserven verbleiben in
der beschriebenen Vorderstube, wo Mr. Clark uoch sehr laut schnarcht. Einer
der Jnspectoren nimmt Oberrock und Hut, um eine Tour zu machen. Der an¬
dere bleibt im Bureau, um die Rapporte und Klagen in Empfang zu nehmen.

Die letzteren lassen nicht lange ans sich warten.

Da kommt ein kleines, hageres Männchen -— Mr. Syllis nennt es sich —
mit dünnem Backenbart und großer Beweglichkeit an die Fensterluke des Bureau's,
mit ihm ein ältlicher, wohlgekleideter, behäbiger, respectabel aussehender Herr
in brauner Weste, die ihm über den Bauch reicht, auf dem ein kleines Lorgnon
an einem breiten Bande ab und zu baumelt. Das ist der Beklagte, Mr. Syllis
ist der Kläger. Aber mau muß eben die Gewandtheit und Ruhe eines englischen
Polizeiinspectors haben, um die Klage des kleinen Mr. Syllis zu verstehen, so
mannichfach ist seine lange Erzählung von Club-, Jagd- und Fischerknnstanödrücken
durchwebt und durchflossen.

Der unglückselige angeschuldigte Gentleman, so scheint es, hatte vor einer
halben Stunde etwa — aus purem Zufall — seinen Weg nach dein Strand ge¬
funden. Am Strand giebt es nun ein Paar hundert Hausthüren, aber der Gentle¬
man wollte durchaus an keiner andern klopfen und schelle» und pochen, als ge¬
rade mir an der von Mr. Syllis. Keine andere Thür schien ihm für diese
Operation so passend gelegen. Warum? Ja, das weiß weder der Kläger, noch
der Angeklagte, uoch sonst ein Mensch. Beklagter kennt den Mr. Syllis nicht,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_93364/53>, abgerufen am 22.07.2024.