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Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. I. Band.

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fanatischen Ansichten, die während des Krieges aufgekommen waren. Die arbei¬
tende Klasse, theils von materieller Noch, theils von den Agitationen der Whigs
und der Radicalen beeinflußt, hörte auf, ihr Anhänger zu sein. Ein Kampf
entstand zwischen den Anhängern Castlereagh's und Sidmouth's auf der
einen, und Canning's und Huskisson's auf der andern Seite. Die Whigs
und die gebildeten Radicalen schlössen sich Letzteren an, und das Ergebniß war der
Sieg Cannings und die Bildung einer halbliberalen Partei, welche sür die Unter¬
stützung des Liberalismus auf dem Kontinent und in Amerika, und eine aufgeklär¬
tere Handelspolitik stimmte.

Nach dem Tode Canning's brachte die Schwäche seiner College" die Regie¬
rung abermals in die Hände der fanatischen Tories. Aber die öffentliche Mei¬
nung war mächtiger geworden, und das Bündniß der Canningiten und der Whigs
bestand ungelockert fort. Der praktische Blick Sir Robert Peel's und des Her¬
zogs von Wellington, welcher mehr aus persönlicher Neigung, als aus' Gesin¬
nung bei den Tories blieb, erkannte die Nothwendigkeit von Concessionen.
Die Finanzen wurden nach Sir Hugh Parnell's Ansichten reformirt, den Katho¬
liken wurde die lange gehoffte Emancipation gewährt. Aber der blinde Fana¬
tismus der echten Tories empörte sich gegen ihre verständigen Führer,, wie er es
schon einmal gegen Canning gethan hatte. Der Herzog von Wellington und
Sir Robert versuchten noch einen Vergleich zu bewerkstelligen; aber die Unzufrie¬
denen ihrer Partei waren unversöhnlich, die Liberalen wurden kühner und entschie¬
dener im Angriff, das Ministerium Grey kam ans Ruder, und die Reformbill
schien die letzten Reste der Tories für immer begraben zu haben.

Der persönliche Ehrgeiz Sir Robert Peel's rief sie noch einmal ins Leben.
Er lehrte ihnen, die Reformbill als etwas Geschehenes hinzunehmen, die schroffe,
verletzende Manier der alten Tories. fallen zu lassen, und sich einige Artikel des
liberalen Glaubensbekenntnisses anzueignen. So organistrte er die conservative
Partei. Wie sie durch abtrünnige Whigs verstärkt und von unabhängigen Libe¬
ralen, welche Peel den exclusiver Whigs vorzogen, gestützt wurden, haben wir im
ersten Abschnitte gesehen. Die Aufhebung der Korngesetze gab das Zeichen zu einer
neuen Empörung in dem Lager der Konservativen, und aus dem zurückbleibenden
Rest entstanden die Toryprotectionisten, mit denen wir es jetzt zu thun haben.

Diese Partei hat das Eigenthümliche, daß ihre tauglichen Führer durch ihre
politischen Traditionen gar nicht der Torypartei angehören, und daß, wenn sie
die politischen Grundsätze derselben auch in der Theorie theilen, sie doch zu viel
Einsicht haben, um unverzagt an ihre politische Durchführung zu denken. Von den
beiden eigentlichen Führern, Lord Derby und Herrn D'Jsraeli, glaubte man sogar
vor der gegenwärtigen Ministerkrisis, daß sie nur nach einer passenden Gelegenheit
suchten, um sich von dem Protectionssystem loszusagen. Die Schwäche des Whig-
. Ministeriums und die Unmöglichkeit jeder andern Combination hat sie ans Ruder


fanatischen Ansichten, die während des Krieges aufgekommen waren. Die arbei¬
tende Klasse, theils von materieller Noch, theils von den Agitationen der Whigs
und der Radicalen beeinflußt, hörte auf, ihr Anhänger zu sein. Ein Kampf
entstand zwischen den Anhängern Castlereagh's und Sidmouth's auf der
einen, und Canning's und Huskisson's auf der andern Seite. Die Whigs
und die gebildeten Radicalen schlössen sich Letzteren an, und das Ergebniß war der
Sieg Cannings und die Bildung einer halbliberalen Partei, welche sür die Unter¬
stützung des Liberalismus auf dem Kontinent und in Amerika, und eine aufgeklär¬
tere Handelspolitik stimmte.

Nach dem Tode Canning's brachte die Schwäche seiner College« die Regie¬
rung abermals in die Hände der fanatischen Tories. Aber die öffentliche Mei¬
nung war mächtiger geworden, und das Bündniß der Canningiten und der Whigs
bestand ungelockert fort. Der praktische Blick Sir Robert Peel's und des Her¬
zogs von Wellington, welcher mehr aus persönlicher Neigung, als aus' Gesin¬
nung bei den Tories blieb, erkannte die Nothwendigkeit von Concessionen.
Die Finanzen wurden nach Sir Hugh Parnell's Ansichten reformirt, den Katho¬
liken wurde die lange gehoffte Emancipation gewährt. Aber der blinde Fana¬
tismus der echten Tories empörte sich gegen ihre verständigen Führer,, wie er es
schon einmal gegen Canning gethan hatte. Der Herzog von Wellington und
Sir Robert versuchten noch einen Vergleich zu bewerkstelligen; aber die Unzufrie¬
denen ihrer Partei waren unversöhnlich, die Liberalen wurden kühner und entschie¬
dener im Angriff, das Ministerium Grey kam ans Ruder, und die Reformbill
schien die letzten Reste der Tories für immer begraben zu haben.

Der persönliche Ehrgeiz Sir Robert Peel's rief sie noch einmal ins Leben.
Er lehrte ihnen, die Reformbill als etwas Geschehenes hinzunehmen, die schroffe,
verletzende Manier der alten Tories. fallen zu lassen, und sich einige Artikel des
liberalen Glaubensbekenntnisses anzueignen. So organistrte er die conservative
Partei. Wie sie durch abtrünnige Whigs verstärkt und von unabhängigen Libe¬
ralen, welche Peel den exclusiver Whigs vorzogen, gestützt wurden, haben wir im
ersten Abschnitte gesehen. Die Aufhebung der Korngesetze gab das Zeichen zu einer
neuen Empörung in dem Lager der Konservativen, und aus dem zurückbleibenden
Rest entstanden die Toryprotectionisten, mit denen wir es jetzt zu thun haben.

Diese Partei hat das Eigenthümliche, daß ihre tauglichen Führer durch ihre
politischen Traditionen gar nicht der Torypartei angehören, und daß, wenn sie
die politischen Grundsätze derselben auch in der Theorie theilen, sie doch zu viel
Einsicht haben, um unverzagt an ihre politische Durchführung zu denken. Von den
beiden eigentlichen Führern, Lord Derby und Herrn D'Jsraeli, glaubte man sogar
vor der gegenwärtigen Ministerkrisis, daß sie nur nach einer passenden Gelegenheit
suchten, um sich von dem Protectionssystem loszusagen. Die Schwäche des Whig-
. Ministeriums und die Unmöglichkeit jeder andern Combination hat sie ans Ruder


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[0518] fanatischen Ansichten, die während des Krieges aufgekommen waren. Die arbei¬ tende Klasse, theils von materieller Noch, theils von den Agitationen der Whigs und der Radicalen beeinflußt, hörte auf, ihr Anhänger zu sein. Ein Kampf entstand zwischen den Anhängern Castlereagh's und Sidmouth's auf der einen, und Canning's und Huskisson's auf der andern Seite. Die Whigs und die gebildeten Radicalen schlössen sich Letzteren an, und das Ergebniß war der Sieg Cannings und die Bildung einer halbliberalen Partei, welche sür die Unter¬ stützung des Liberalismus auf dem Kontinent und in Amerika, und eine aufgeklär¬ tere Handelspolitik stimmte. Nach dem Tode Canning's brachte die Schwäche seiner College« die Regie¬ rung abermals in die Hände der fanatischen Tories. Aber die öffentliche Mei¬ nung war mächtiger geworden, und das Bündniß der Canningiten und der Whigs bestand ungelockert fort. Der praktische Blick Sir Robert Peel's und des Her¬ zogs von Wellington, welcher mehr aus persönlicher Neigung, als aus' Gesin¬ nung bei den Tories blieb, erkannte die Nothwendigkeit von Concessionen. Die Finanzen wurden nach Sir Hugh Parnell's Ansichten reformirt, den Katho¬ liken wurde die lange gehoffte Emancipation gewährt. Aber der blinde Fana¬ tismus der echten Tories empörte sich gegen ihre verständigen Führer,, wie er es schon einmal gegen Canning gethan hatte. Der Herzog von Wellington und Sir Robert versuchten noch einen Vergleich zu bewerkstelligen; aber die Unzufrie¬ denen ihrer Partei waren unversöhnlich, die Liberalen wurden kühner und entschie¬ dener im Angriff, das Ministerium Grey kam ans Ruder, und die Reformbill schien die letzten Reste der Tories für immer begraben zu haben. Der persönliche Ehrgeiz Sir Robert Peel's rief sie noch einmal ins Leben. Er lehrte ihnen, die Reformbill als etwas Geschehenes hinzunehmen, die schroffe, verletzende Manier der alten Tories. fallen zu lassen, und sich einige Artikel des liberalen Glaubensbekenntnisses anzueignen. So organistrte er die conservative Partei. Wie sie durch abtrünnige Whigs verstärkt und von unabhängigen Libe¬ ralen, welche Peel den exclusiver Whigs vorzogen, gestützt wurden, haben wir im ersten Abschnitte gesehen. Die Aufhebung der Korngesetze gab das Zeichen zu einer neuen Empörung in dem Lager der Konservativen, und aus dem zurückbleibenden Rest entstanden die Toryprotectionisten, mit denen wir es jetzt zu thun haben. Diese Partei hat das Eigenthümliche, daß ihre tauglichen Führer durch ihre politischen Traditionen gar nicht der Torypartei angehören, und daß, wenn sie die politischen Grundsätze derselben auch in der Theorie theilen, sie doch zu viel Einsicht haben, um unverzagt an ihre politische Durchführung zu denken. Von den beiden eigentlichen Führern, Lord Derby und Herrn D'Jsraeli, glaubte man sogar vor der gegenwärtigen Ministerkrisis, daß sie nur nach einer passenden Gelegenheit suchten, um sich von dem Protectionssystem loszusagen. Die Schwäche des Whig- . Ministeriums und die Unmöglichkeit jeder andern Combination hat sie ans Ruder

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_93364/518>, abgerufen am 22.07.2024.