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Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. I. Band.

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den Fenstern der Gartenlosen bereits eingebürgert, und werden sich dort lange
erhalten. -- Noch auffallender ist die noch herrschende Mode, Orchideen zu
cultiviren. Obgleich es unter diesen schmarotzenden Pflanzenwundern der Tropen¬
welt die herrlichsten Blumen giebt, und schon die seltsamen Pflanzenformen das
Interesse des Naturfreundes erregen, so sind doch jedenfalls die Kosten, welche
die Cultur dieser Pflanzen verursacht, gegen den Genuß -- wenn es nur auf
diesen und nicht auf Naturstudium abgesehen ist -- zu bedeutende

Mehr und mehr kommt die Decoration der Zimmer mit Pflanzen in Auf¬
nahme. Hier hat sich die Mode gerade jetzt den Pflanzen mit schönen
Blattformen zugewendet, seit die steifen Gestalten der Cacteen bei dem
Publicum in Ungnade gefallen sind. Lauben, Wände und Gewinde von Ephen
sind fast in jedem behaglich eingerichteten Hanse anzutreffen, und in eleganten
Wohnzimmern und Sälen prangen kleine Palmen, monocotyledonische Pflanzen
mit üppigen, schilfartigen Blättern, saftiggrün glänzende Gummibäume, gefie¬
derte Acacien, besonders aber die zierlichsten, ausländischen Farrnkräuter
und Farrumose (Lycopodien). Obschon der wahre Freund und Verehrer der
Natur schon längst diese schönen Pflanzenformen bewundert hat, so muß man
sich doch wundern, daß sie bei dem größern Publicum so in Gunst gekommen sind,
und glänzendere Blumen verdrängen konnten.

In der neuesten Zeit scheint sich die Blumenmode in Extremen zu bewegen,
sie hat sich zugleich der größten und der kleinsten Pflanzen bemächtigt. IN den
Liliput- öder Zwergblumen ist die Blumenliebhaberei zusammengeschrumpft
zu einem unscheinbaren Minimum, und in der Viewria rexia, der riesenhaften
Königin der Gewässer, deren schwimmende Blätter auch in dem europäischen Ge¬
fängniß dieser Pflanze die Größe von 7 Fuß Durchmesser erreichen, und einen
erwachsenen Mann zu tragen im Stande sind, sehen-wir die Mode einen Anlauf
nehmen, wie noch nie vorher. Oder soll man- es nicht für eine Wirkung der
Mode erklären, wenn mau nun auch in Deutschland an 4 -- 3 Orten für eine
Pflanze, welche schon hinlänglich beobachtet worden ist, besondere kostspielige Ge¬
wächshäuser baut, deren ganzer Raum ein mit tropischen Wasserpflanzen ange¬
fülltes Bassin einnimmt? -- Die Liliputgärtnerei aber ist eine Verirrung
des Geschmackes, die nicht lange Stand halten wird. Wahrscheinlich stammt die
Mode aus China, wo die größte Mühe darauf verwendet wird, die Blumen
und sogar Bäume zwergartig zu ziehen. Daß dies auch bei uns geschieht, hat
wol zunächst seinen Grund in dem Wunsche, sich auch im kleinsten Raume ein
Stück Natur zu verschaffen. Noch mehr aber in der alten Neigung der Frauen,
sehr kleine Gegenstände von zierlicher Form mit Liebe zu betrachten.

Im Allgemeinen kann man aber auch solche Verirrungen des Schönheits¬
sinns jetzt leichter ertragen; denn das Leben der Gegenwart ist so reich geworden,'
daß eine einzelne falsche Richtung des Geschmacks viel eher corrigirt oder durch


den Fenstern der Gartenlosen bereits eingebürgert, und werden sich dort lange
erhalten. — Noch auffallender ist die noch herrschende Mode, Orchideen zu
cultiviren. Obgleich es unter diesen schmarotzenden Pflanzenwundern der Tropen¬
welt die herrlichsten Blumen giebt, und schon die seltsamen Pflanzenformen das
Interesse des Naturfreundes erregen, so sind doch jedenfalls die Kosten, welche
die Cultur dieser Pflanzen verursacht, gegen den Genuß — wenn es nur auf
diesen und nicht auf Naturstudium abgesehen ist — zu bedeutende

Mehr und mehr kommt die Decoration der Zimmer mit Pflanzen in Auf¬
nahme. Hier hat sich die Mode gerade jetzt den Pflanzen mit schönen
Blattformen zugewendet, seit die steifen Gestalten der Cacteen bei dem
Publicum in Ungnade gefallen sind. Lauben, Wände und Gewinde von Ephen
sind fast in jedem behaglich eingerichteten Hanse anzutreffen, und in eleganten
Wohnzimmern und Sälen prangen kleine Palmen, monocotyledonische Pflanzen
mit üppigen, schilfartigen Blättern, saftiggrün glänzende Gummibäume, gefie¬
derte Acacien, besonders aber die zierlichsten, ausländischen Farrnkräuter
und Farrumose (Lycopodien). Obschon der wahre Freund und Verehrer der
Natur schon längst diese schönen Pflanzenformen bewundert hat, so muß man
sich doch wundern, daß sie bei dem größern Publicum so in Gunst gekommen sind,
und glänzendere Blumen verdrängen konnten.

In der neuesten Zeit scheint sich die Blumenmode in Extremen zu bewegen,
sie hat sich zugleich der größten und der kleinsten Pflanzen bemächtigt. IN den
Liliput- öder Zwergblumen ist die Blumenliebhaberei zusammengeschrumpft
zu einem unscheinbaren Minimum, und in der Viewria rexia, der riesenhaften
Königin der Gewässer, deren schwimmende Blätter auch in dem europäischen Ge¬
fängniß dieser Pflanze die Größe von 7 Fuß Durchmesser erreichen, und einen
erwachsenen Mann zu tragen im Stande sind, sehen-wir die Mode einen Anlauf
nehmen, wie noch nie vorher. Oder soll man- es nicht für eine Wirkung der
Mode erklären, wenn mau nun auch in Deutschland an 4 — 3 Orten für eine
Pflanze, welche schon hinlänglich beobachtet worden ist, besondere kostspielige Ge¬
wächshäuser baut, deren ganzer Raum ein mit tropischen Wasserpflanzen ange¬
fülltes Bassin einnimmt? — Die Liliputgärtnerei aber ist eine Verirrung
des Geschmackes, die nicht lange Stand halten wird. Wahrscheinlich stammt die
Mode aus China, wo die größte Mühe darauf verwendet wird, die Blumen
und sogar Bäume zwergartig zu ziehen. Daß dies auch bei uns geschieht, hat
wol zunächst seinen Grund in dem Wunsche, sich auch im kleinsten Raume ein
Stück Natur zu verschaffen. Noch mehr aber in der alten Neigung der Frauen,
sehr kleine Gegenstände von zierlicher Form mit Liebe zu betrachten.

Im Allgemeinen kann man aber auch solche Verirrungen des Schönheits¬
sinns jetzt leichter ertragen; denn das Leben der Gegenwart ist so reich geworden,'
daß eine einzelne falsche Richtung des Geschmacks viel eher corrigirt oder durch


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[0479] den Fenstern der Gartenlosen bereits eingebürgert, und werden sich dort lange erhalten. — Noch auffallender ist die noch herrschende Mode, Orchideen zu cultiviren. Obgleich es unter diesen schmarotzenden Pflanzenwundern der Tropen¬ welt die herrlichsten Blumen giebt, und schon die seltsamen Pflanzenformen das Interesse des Naturfreundes erregen, so sind doch jedenfalls die Kosten, welche die Cultur dieser Pflanzen verursacht, gegen den Genuß — wenn es nur auf diesen und nicht auf Naturstudium abgesehen ist — zu bedeutende Mehr und mehr kommt die Decoration der Zimmer mit Pflanzen in Auf¬ nahme. Hier hat sich die Mode gerade jetzt den Pflanzen mit schönen Blattformen zugewendet, seit die steifen Gestalten der Cacteen bei dem Publicum in Ungnade gefallen sind. Lauben, Wände und Gewinde von Ephen sind fast in jedem behaglich eingerichteten Hanse anzutreffen, und in eleganten Wohnzimmern und Sälen prangen kleine Palmen, monocotyledonische Pflanzen mit üppigen, schilfartigen Blättern, saftiggrün glänzende Gummibäume, gefie¬ derte Acacien, besonders aber die zierlichsten, ausländischen Farrnkräuter und Farrumose (Lycopodien). Obschon der wahre Freund und Verehrer der Natur schon längst diese schönen Pflanzenformen bewundert hat, so muß man sich doch wundern, daß sie bei dem größern Publicum so in Gunst gekommen sind, und glänzendere Blumen verdrängen konnten. In der neuesten Zeit scheint sich die Blumenmode in Extremen zu bewegen, sie hat sich zugleich der größten und der kleinsten Pflanzen bemächtigt. IN den Liliput- öder Zwergblumen ist die Blumenliebhaberei zusammengeschrumpft zu einem unscheinbaren Minimum, und in der Viewria rexia, der riesenhaften Königin der Gewässer, deren schwimmende Blätter auch in dem europäischen Ge¬ fängniß dieser Pflanze die Größe von 7 Fuß Durchmesser erreichen, und einen erwachsenen Mann zu tragen im Stande sind, sehen-wir die Mode einen Anlauf nehmen, wie noch nie vorher. Oder soll man- es nicht für eine Wirkung der Mode erklären, wenn mau nun auch in Deutschland an 4 — 3 Orten für eine Pflanze, welche schon hinlänglich beobachtet worden ist, besondere kostspielige Ge¬ wächshäuser baut, deren ganzer Raum ein mit tropischen Wasserpflanzen ange¬ fülltes Bassin einnimmt? — Die Liliputgärtnerei aber ist eine Verirrung des Geschmackes, die nicht lange Stand halten wird. Wahrscheinlich stammt die Mode aus China, wo die größte Mühe darauf verwendet wird, die Blumen und sogar Bäume zwergartig zu ziehen. Daß dies auch bei uns geschieht, hat wol zunächst seinen Grund in dem Wunsche, sich auch im kleinsten Raume ein Stück Natur zu verschaffen. Noch mehr aber in der alten Neigung der Frauen, sehr kleine Gegenstände von zierlicher Form mit Liebe zu betrachten. Im Allgemeinen kann man aber auch solche Verirrungen des Schönheits¬ sinns jetzt leichter ertragen; denn das Leben der Gegenwart ist so reich geworden,' daß eine einzelne falsche Richtung des Geschmacks viel eher corrigirt oder durch

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_93364/479>, abgerufen am 22.07.2024.