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Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. I. Band.

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deutschen Philosophen bei Nacht das Innere eines mexicanischen Landhauses
überschauen. Es verwirren sich die wunderlichsten Gestalten durch einander, um
die Heiligen- und Götterbilder winden sich die abscheulichsten Thiergestalten, so
daß es den Anschein gewinnt, als wollte das verkümmerte Gemüth der Mexicaner
seine eigenen Heiligthümer mit einer Mischung von Schmerz und Muthwillen
ironisiren. Bei Tage erkennt er, daß dieses Durcheinander nur an der falschen
Perspektive gelegen hat; er hat Körpertheile combinirt, die nicht zusammen¬
gehörten. So geht es uus bei allen Hoffmann'schen Märchen. Sie verlangen,
um als richtig empfunden zu werden, das Lampenlicht und die Dämmerung, den
Tag ertragen sie nicht. -- Die eigentlichen Novellen gehören zum Glänzendsten,
was in dieser Form geschrieben ist. Hoffmann vereinigt die beiden Fähigkeiten,
einerseits gut, schnell und scharf zu beobachten, andererseits das Beobachtete klar
und übersichtlich zu ordnen. Von der Art seiner Beobachtung hat er uns selber
in dem Gespräch: "des Vetters Eckfenster" ein Bild gegeben. Er wird der
verwirrenden Eindrücke dadurch Herr, daß er seine Aufmerksamkeit willkürlich fixirt,
und aus jedem einzelnen Zug sich schnell ein Ganzes zu macheu sucht. Für
einen Historiker wäre eine solche Beobachtung nicht geeignet, für den Novellisten
ist sie die einzig richtige. Ferner versteht es Hoffmann sehr gut, wenn er nur
nicht in seine Nebelbilder verfällt, eine klare einheitliche Stimmung, wie sie für
ein Gemälde nothwendig ist, poetisch zu fixiren. In diesem Talent möchte ihn
keiner unsrer Novellisten erreicht haben.

Wir kommen jetzt an eine Seite seines Schaffens, die gewöhnlich zuerst in
die Augen fällt, die aber nicht gerade seine glänzendste ist, auf seine Neigung
zum Unheimlichen und Entsetzlichen. Bei dem klaren und sichern Verstand, der
ihn auszeichnete, fühlte er von Zeit zu Zeit eine geheime-Wahnsinnsader in sich,
die sich Luft machen mußte. Die Furcht, wahnsinnig zu werdeu, hat ihn mehr¬
fach beschäftigt, und es ist bekannt, wie ihn bei der Composition seiner eigenen
Erzählungen ein so großes Grauen anwandelte, daß er seine Frau aufwecken
mußte. -- Daß diese Nachtseite der Natur ein Recht zur poetischen Darstellung
hat, ist unzweifelhaft, sie muß nur einerseits so mit der Stimmung des ganzen
Kunstwerks zusammenhängen, daß man an ihr ein psychologisches Interesse neh¬
men kann, nicht blos ein materielles, und sie muß auf der audern Seite sich
einzuschränken wissen. Unter allen Dichtern ist derjenige Meister, der auch diesen
Zauberstab am kräftigsten zu schwingen weiß, Shakspeare. Die Scenen, in
denen er das Grauen hervorruft, ergreisen uns mit unabwendbarem Zwange, in
welcher Stimmung wir auch davon gehen mögen. Am nächsten möchte ihm
W. Scott in einigen seiner Romane, z. B. in der "Braut von Lammermoor",
kommen. Hoffmann ist über seine Geister nicht Herr. Allerdings weiß er so
viel Entsetzliches zusammenznhäufen, daß uns, wenn wir in der richtigen Stim¬
mung daran gehen, das Blut in den Adern stockt, wie wir das Alle wol zu


deutschen Philosophen bei Nacht das Innere eines mexicanischen Landhauses
überschauen. Es verwirren sich die wunderlichsten Gestalten durch einander, um
die Heiligen- und Götterbilder winden sich die abscheulichsten Thiergestalten, so
daß es den Anschein gewinnt, als wollte das verkümmerte Gemüth der Mexicaner
seine eigenen Heiligthümer mit einer Mischung von Schmerz und Muthwillen
ironisiren. Bei Tage erkennt er, daß dieses Durcheinander nur an der falschen
Perspektive gelegen hat; er hat Körpertheile combinirt, die nicht zusammen¬
gehörten. So geht es uus bei allen Hoffmann'schen Märchen. Sie verlangen,
um als richtig empfunden zu werden, das Lampenlicht und die Dämmerung, den
Tag ertragen sie nicht. — Die eigentlichen Novellen gehören zum Glänzendsten,
was in dieser Form geschrieben ist. Hoffmann vereinigt die beiden Fähigkeiten,
einerseits gut, schnell und scharf zu beobachten, andererseits das Beobachtete klar
und übersichtlich zu ordnen. Von der Art seiner Beobachtung hat er uns selber
in dem Gespräch: „des Vetters Eckfenster" ein Bild gegeben. Er wird der
verwirrenden Eindrücke dadurch Herr, daß er seine Aufmerksamkeit willkürlich fixirt,
und aus jedem einzelnen Zug sich schnell ein Ganzes zu macheu sucht. Für
einen Historiker wäre eine solche Beobachtung nicht geeignet, für den Novellisten
ist sie die einzig richtige. Ferner versteht es Hoffmann sehr gut, wenn er nur
nicht in seine Nebelbilder verfällt, eine klare einheitliche Stimmung, wie sie für
ein Gemälde nothwendig ist, poetisch zu fixiren. In diesem Talent möchte ihn
keiner unsrer Novellisten erreicht haben.

Wir kommen jetzt an eine Seite seines Schaffens, die gewöhnlich zuerst in
die Augen fällt, die aber nicht gerade seine glänzendste ist, auf seine Neigung
zum Unheimlichen und Entsetzlichen. Bei dem klaren und sichern Verstand, der
ihn auszeichnete, fühlte er von Zeit zu Zeit eine geheime-Wahnsinnsader in sich,
die sich Luft machen mußte. Die Furcht, wahnsinnig zu werdeu, hat ihn mehr¬
fach beschäftigt, und es ist bekannt, wie ihn bei der Composition seiner eigenen
Erzählungen ein so großes Grauen anwandelte, daß er seine Frau aufwecken
mußte. — Daß diese Nachtseite der Natur ein Recht zur poetischen Darstellung
hat, ist unzweifelhaft, sie muß nur einerseits so mit der Stimmung des ganzen
Kunstwerks zusammenhängen, daß man an ihr ein psychologisches Interesse neh¬
men kann, nicht blos ein materielles, und sie muß auf der audern Seite sich
einzuschränken wissen. Unter allen Dichtern ist derjenige Meister, der auch diesen
Zauberstab am kräftigsten zu schwingen weiß, Shakspeare. Die Scenen, in
denen er das Grauen hervorruft, ergreisen uns mit unabwendbarem Zwange, in
welcher Stimmung wir auch davon gehen mögen. Am nächsten möchte ihm
W. Scott in einigen seiner Romane, z. B. in der „Braut von Lammermoor",
kommen. Hoffmann ist über seine Geister nicht Herr. Allerdings weiß er so
viel Entsetzliches zusammenznhäufen, daß uns, wenn wir in der richtigen Stim¬
mung daran gehen, das Blut in den Adern stockt, wie wir das Alle wol zu


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[0460] deutschen Philosophen bei Nacht das Innere eines mexicanischen Landhauses überschauen. Es verwirren sich die wunderlichsten Gestalten durch einander, um die Heiligen- und Götterbilder winden sich die abscheulichsten Thiergestalten, so daß es den Anschein gewinnt, als wollte das verkümmerte Gemüth der Mexicaner seine eigenen Heiligthümer mit einer Mischung von Schmerz und Muthwillen ironisiren. Bei Tage erkennt er, daß dieses Durcheinander nur an der falschen Perspektive gelegen hat; er hat Körpertheile combinirt, die nicht zusammen¬ gehörten. So geht es uus bei allen Hoffmann'schen Märchen. Sie verlangen, um als richtig empfunden zu werden, das Lampenlicht und die Dämmerung, den Tag ertragen sie nicht. — Die eigentlichen Novellen gehören zum Glänzendsten, was in dieser Form geschrieben ist. Hoffmann vereinigt die beiden Fähigkeiten, einerseits gut, schnell und scharf zu beobachten, andererseits das Beobachtete klar und übersichtlich zu ordnen. Von der Art seiner Beobachtung hat er uns selber in dem Gespräch: „des Vetters Eckfenster" ein Bild gegeben. Er wird der verwirrenden Eindrücke dadurch Herr, daß er seine Aufmerksamkeit willkürlich fixirt, und aus jedem einzelnen Zug sich schnell ein Ganzes zu macheu sucht. Für einen Historiker wäre eine solche Beobachtung nicht geeignet, für den Novellisten ist sie die einzig richtige. Ferner versteht es Hoffmann sehr gut, wenn er nur nicht in seine Nebelbilder verfällt, eine klare einheitliche Stimmung, wie sie für ein Gemälde nothwendig ist, poetisch zu fixiren. In diesem Talent möchte ihn keiner unsrer Novellisten erreicht haben. Wir kommen jetzt an eine Seite seines Schaffens, die gewöhnlich zuerst in die Augen fällt, die aber nicht gerade seine glänzendste ist, auf seine Neigung zum Unheimlichen und Entsetzlichen. Bei dem klaren und sichern Verstand, der ihn auszeichnete, fühlte er von Zeit zu Zeit eine geheime-Wahnsinnsader in sich, die sich Luft machen mußte. Die Furcht, wahnsinnig zu werdeu, hat ihn mehr¬ fach beschäftigt, und es ist bekannt, wie ihn bei der Composition seiner eigenen Erzählungen ein so großes Grauen anwandelte, daß er seine Frau aufwecken mußte. — Daß diese Nachtseite der Natur ein Recht zur poetischen Darstellung hat, ist unzweifelhaft, sie muß nur einerseits so mit der Stimmung des ganzen Kunstwerks zusammenhängen, daß man an ihr ein psychologisches Interesse neh¬ men kann, nicht blos ein materielles, und sie muß auf der audern Seite sich einzuschränken wissen. Unter allen Dichtern ist derjenige Meister, der auch diesen Zauberstab am kräftigsten zu schwingen weiß, Shakspeare. Die Scenen, in denen er das Grauen hervorruft, ergreisen uns mit unabwendbarem Zwange, in welcher Stimmung wir auch davon gehen mögen. Am nächsten möchte ihm W. Scott in einigen seiner Romane, z. B. in der „Braut von Lammermoor", kommen. Hoffmann ist über seine Geister nicht Herr. Allerdings weiß er so viel Entsetzliches zusammenznhäufen, daß uns, wenn wir in der richtigen Stim¬ mung daran gehen, das Blut in den Adern stockt, wie wir das Alle wol zu

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_93364/460>, abgerufen am 22.07.2024.