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Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. I. Band.

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Rheins gestiegen ist, desto tiefer ist ihre getreue Schildhalterin an der untern
Weser gesunken. Bei der niedrigen Gesinnung und dem ungebehrdigen Treiben,
in dem sie sich jetzt gefällt, wird auch die Krenz^eitnng jede Gemeinschaft
weit von sich weisen. Eine geistige Kraft freilich, wie die des neupreußischen
Nundschauers oder seines Hallenser Freundes, ist auch in ihren entschwundenen
besten Tagen niemals durch die Spalte" der Neuen Bremer Zeitung gegangen.
Für Hannover ist sie völlig an die Stelle der entschlafenen niedersächsischen ge¬
treten, deren Erbe sie mit allen Rechten und Pflichten übernommen hat, wenigstens
mit dem ganzen Troß einer Partei, die in der Wahl ihrer pnblicistischen Ver¬
treter durchaus uicht schwierig ist. So giebt es denn keine so elende Klatscherei,
keine so erbärmlichen Persönlichkeiten, die in diesem schwächlichen Blatte nicht bereit¬
willige Aufnahme fänden. Noch immer beschränkt sich die tägliche Summe der
politischen Weisheit, welche sie ihren Lesern zum Verdauen zumuthet, auf pole¬
mische oder persönliche Anzapfnilgen gegen Constitntionelle und Demokraten, als
ob wir 1848 schrieben und uicht 1832, als ob die gegenwärtig herrschende Partei
ihren Sieg zu Nichts benutze" könnte, als zur Rache an ihren Feinden. Wo sie
ja einmal etwas Positives leistet, da ist es gewiß irgend eine so schone Ent¬
deckung, wie die deö Volksmordes in Irland, dessen sie vor Kurzem tru unbe-
quemen ,,Musterstaat" England vor dem Richterstuhl des gesitteten Europa's
beschuldigte.

Gern wenden wir uns von dem republikanischen Junkerblatt zu anständigeren
Gliedern unsrer norddeutschen Presse, die sich ihm gegenüber in einer erfreulichen
Mehrzahl auch der Leser befinden. Die Hamburger Nachrichten haben vor Allem
eine große locale Bedeutung, und werden daher hauptsächlich von deu nächsten
Nachbarn Hamburgs' gelesen. Aber sie haben anch zuerst nnter den größeren
Zeitungen dieser freien Stadt die Nothwendigkeit empfunden, sich einer der be¬
stehenden politischen Parteien anzuschließen, und sind deshalb nnter dem Einfluß
Riesser's ins constitutionelle Lager übergegangen. Doch hat dieser politische Charak¬
ter die alte Bedeutung des Blattes so wenig in deu Hintergrund zu drängen ver¬
mocht, daß es auch uach dieser rühmellöwerthen Umwandlung kaum von anderen
als örtlich interesstrten Lesern gehalten wird.

Die deutsche Neichszeitung hat sich im verflossenen Jahre zu einem Wechsel
in den Grundsätzen veranlaßt gesehen, indem sie erklärte, daß ihr bei der gegen¬
wärtigen Politik der preußischen Regierung der langgehegte Glaube an Preußens
geschichtlichen Beruf in Deutschland abhanden gekommen sei. Ihre Schwenkung
war der demokratischen Seite zugewendet, und sie scheint geneigt zu sein, als
Vertreterin uicht allein der Demokraten oder Konstitutionellen, sondern der libera¬
len Opposition aller gemäßigten Farben überhaupt zu gelten. Uuter diesem Ge¬
sichtspunkte ist eS bemerkenswerth, daß sie häufig ans dem mittlern oder süd¬
lichen Deutschland mit Artikeln versehen wird, die mau allgemein den bedeutend-


Rheins gestiegen ist, desto tiefer ist ihre getreue Schildhalterin an der untern
Weser gesunken. Bei der niedrigen Gesinnung und dem ungebehrdigen Treiben,
in dem sie sich jetzt gefällt, wird auch die Krenz^eitnng jede Gemeinschaft
weit von sich weisen. Eine geistige Kraft freilich, wie die des neupreußischen
Nundschauers oder seines Hallenser Freundes, ist auch in ihren entschwundenen
besten Tagen niemals durch die Spalte» der Neuen Bremer Zeitung gegangen.
Für Hannover ist sie völlig an die Stelle der entschlafenen niedersächsischen ge¬
treten, deren Erbe sie mit allen Rechten und Pflichten übernommen hat, wenigstens
mit dem ganzen Troß einer Partei, die in der Wahl ihrer pnblicistischen Ver¬
treter durchaus uicht schwierig ist. So giebt es denn keine so elende Klatscherei,
keine so erbärmlichen Persönlichkeiten, die in diesem schwächlichen Blatte nicht bereit¬
willige Aufnahme fänden. Noch immer beschränkt sich die tägliche Summe der
politischen Weisheit, welche sie ihren Lesern zum Verdauen zumuthet, auf pole¬
mische oder persönliche Anzapfnilgen gegen Constitntionelle und Demokraten, als
ob wir 1848 schrieben und uicht 1832, als ob die gegenwärtig herrschende Partei
ihren Sieg zu Nichts benutze» könnte, als zur Rache an ihren Feinden. Wo sie
ja einmal etwas Positives leistet, da ist es gewiß irgend eine so schone Ent¬
deckung, wie die deö Volksmordes in Irland, dessen sie vor Kurzem tru unbe-
quemen ,,Musterstaat" England vor dem Richterstuhl des gesitteten Europa's
beschuldigte.

Gern wenden wir uns von dem republikanischen Junkerblatt zu anständigeren
Gliedern unsrer norddeutschen Presse, die sich ihm gegenüber in einer erfreulichen
Mehrzahl auch der Leser befinden. Die Hamburger Nachrichten haben vor Allem
eine große locale Bedeutung, und werden daher hauptsächlich von deu nächsten
Nachbarn Hamburgs' gelesen. Aber sie haben anch zuerst nnter den größeren
Zeitungen dieser freien Stadt die Nothwendigkeit empfunden, sich einer der be¬
stehenden politischen Parteien anzuschließen, und sind deshalb nnter dem Einfluß
Riesser's ins constitutionelle Lager übergegangen. Doch hat dieser politische Charak¬
ter die alte Bedeutung des Blattes so wenig in deu Hintergrund zu drängen ver¬
mocht, daß es auch uach dieser rühmellöwerthen Umwandlung kaum von anderen
als örtlich interesstrten Lesern gehalten wird.

Die deutsche Neichszeitung hat sich im verflossenen Jahre zu einem Wechsel
in den Grundsätzen veranlaßt gesehen, indem sie erklärte, daß ihr bei der gegen¬
wärtigen Politik der preußischen Regierung der langgehegte Glaube an Preußens
geschichtlichen Beruf in Deutschland abhanden gekommen sei. Ihre Schwenkung
war der demokratischen Seite zugewendet, und sie scheint geneigt zu sein, als
Vertreterin uicht allein der Demokraten oder Konstitutionellen, sondern der libera¬
len Opposition aller gemäßigten Farben überhaupt zu gelten. Uuter diesem Ge¬
sichtspunkte ist eS bemerkenswerth, daß sie häufig ans dem mittlern oder süd¬
lichen Deutschland mit Artikeln versehen wird, die mau allgemein den bedeutend-


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[0436] Rheins gestiegen ist, desto tiefer ist ihre getreue Schildhalterin an der untern Weser gesunken. Bei der niedrigen Gesinnung und dem ungebehrdigen Treiben, in dem sie sich jetzt gefällt, wird auch die Krenz^eitnng jede Gemeinschaft weit von sich weisen. Eine geistige Kraft freilich, wie die des neupreußischen Nundschauers oder seines Hallenser Freundes, ist auch in ihren entschwundenen besten Tagen niemals durch die Spalte» der Neuen Bremer Zeitung gegangen. Für Hannover ist sie völlig an die Stelle der entschlafenen niedersächsischen ge¬ treten, deren Erbe sie mit allen Rechten und Pflichten übernommen hat, wenigstens mit dem ganzen Troß einer Partei, die in der Wahl ihrer pnblicistischen Ver¬ treter durchaus uicht schwierig ist. So giebt es denn keine so elende Klatscherei, keine so erbärmlichen Persönlichkeiten, die in diesem schwächlichen Blatte nicht bereit¬ willige Aufnahme fänden. Noch immer beschränkt sich die tägliche Summe der politischen Weisheit, welche sie ihren Lesern zum Verdauen zumuthet, auf pole¬ mische oder persönliche Anzapfnilgen gegen Constitntionelle und Demokraten, als ob wir 1848 schrieben und uicht 1832, als ob die gegenwärtig herrschende Partei ihren Sieg zu Nichts benutze» könnte, als zur Rache an ihren Feinden. Wo sie ja einmal etwas Positives leistet, da ist es gewiß irgend eine so schone Ent¬ deckung, wie die deö Volksmordes in Irland, dessen sie vor Kurzem tru unbe- quemen ,,Musterstaat" England vor dem Richterstuhl des gesitteten Europa's beschuldigte. Gern wenden wir uns von dem republikanischen Junkerblatt zu anständigeren Gliedern unsrer norddeutschen Presse, die sich ihm gegenüber in einer erfreulichen Mehrzahl auch der Leser befinden. Die Hamburger Nachrichten haben vor Allem eine große locale Bedeutung, und werden daher hauptsächlich von deu nächsten Nachbarn Hamburgs' gelesen. Aber sie haben anch zuerst nnter den größeren Zeitungen dieser freien Stadt die Nothwendigkeit empfunden, sich einer der be¬ stehenden politischen Parteien anzuschließen, und sind deshalb nnter dem Einfluß Riesser's ins constitutionelle Lager übergegangen. Doch hat dieser politische Charak¬ ter die alte Bedeutung des Blattes so wenig in deu Hintergrund zu drängen ver¬ mocht, daß es auch uach dieser rühmellöwerthen Umwandlung kaum von anderen als örtlich interesstrten Lesern gehalten wird. Die deutsche Neichszeitung hat sich im verflossenen Jahre zu einem Wechsel in den Grundsätzen veranlaßt gesehen, indem sie erklärte, daß ihr bei der gegen¬ wärtigen Politik der preußischen Regierung der langgehegte Glaube an Preußens geschichtlichen Beruf in Deutschland abhanden gekommen sei. Ihre Schwenkung war der demokratischen Seite zugewendet, und sie scheint geneigt zu sein, als Vertreterin uicht allein der Demokraten oder Konstitutionellen, sondern der libera¬ len Opposition aller gemäßigten Farben überhaupt zu gelten. Uuter diesem Ge¬ sichtspunkte ist eS bemerkenswerth, daß sie häufig ans dem mittlern oder süd¬ lichen Deutschland mit Artikeln versehen wird, die mau allgemein den bedeutend-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_93364/436>, abgerufen am 22.07.2024.