Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

Dinge wohnt etwas nachlässig Frivoles bei. Mit allzu sichtlicher Vorliebe giebt
sie sich einer scherzhaften Auffassung mißliebiger Ereignisse hin. Ein Blatt von
ernster Richtung aber sollte sich hüten, dem Witz eine hervorragende Stelle unter
ihren täglich gebrauchten Waffen einzuräumen. Nachdem man einem Gegner mit
Gründen der eigenen Ueberzeugung ernstlich auf den Leib gegangen ist, mag es
erlaubt sein, ihm einen leichten beschwingten Pfeil zum Ueberfluß nachzusenden;
aber zum Hauptgeschoß darf er nicht werden, denn ein berechtigter Kampf, ein
wirklicher Sieg durch ihn ist undenkbar. Dazu bedarf es einer sittlichen Grund¬
lage und einer, ernsten geistigen Anstrengung. Gewiß ist es außerdem, daß
gerade dieses zersetzende Element die schlimmsten Wirkungen auf die Menge der
unmündigen oder halbreifen Staatsbürger äußert. Zudem es der alltägliche"
Gesinnung durch Herabsetzung höherer Menschen und Zustände schmeichelt, be¬
stärkt es sie zugleich in ihrer Gedankenträgheit, ohne das Geringste zu ihrer
Bildung beizutragen, statt die Steigerung des öffentlichen Lebens zu befördern,
hält es sie gerade am sichersten zurück. Möge der hannover'schen Presse in dem
wachsenden Ernst der Ereignisse auch die Neigung zu einer strengern Auffassung
und ernstern Behandlung der politischen Dinge kommen!

Wir wenden uns zu unsre" publicistischeu Freundinnen an der Elbe und an
der Weser. In der Fähigkeit, derpolitischen Parteinahme entgegenzuwirken, und die
vormärzliche Unmündigkeit der Staatsbürger zu verewigen, steht der Hamburger
Correspondent mit dem losen Kladderadatsch ungefähr auf gleicher Höhe. Und
uur deshalb, weil er an sich selbst niemals einen Fortschritt statuirt, weil er sich
noch heute bei derselben gesinnungslosen Unparteilichkeit beruhigt, die ihm zu den
Zeiten des heiligen römischen Reichs allerdings gerathen war. Ein Unternehmen
freilich, wie die Augsburger Allgemeine Zeitung, das seiue politische Farbe
höchstens durch gewisse Auslassungen zu erkennen giebt, und dafür oft
wirklich werthvolle Berichte von den fähigsten Federn aus alleu Theilen Europa's
bringt, ein solches Unternehmen ist von eigenthümlicher Bedeutung, und erhält
seinen alten Ruf. Der Hamburger Unparteiische jedoch hat nicht die geringste
Aehnlichkeit mit seiner süddeutschen Schwester. Eine bestimmte Farbe hat er noch
weniger als sie, dagegen com wahrhaft erstaunenswerthen Ueberfluß von Artikeln
ohne Kraft und Salz, mit denen ihn geschwätzige Stubeupolitiker von allen Orten
her versorgen. Geist und Entschiedenheit sind Gäste, denen er deu Zutritt aus vor¬
sorglichem Wohlwollen für seine Leser nicht gestattet. Von dieser durchgängigen
Unzulänglichkeit macheu seiue hannoverschen Berichte keine Ausnahme, wenn sie
auch hin und wieder deshalb Beachtung fordern, weil sie an den Thüren der
Großen und Höchsten erlauscht sind.

Die Neue Bremer Zeitung liefert ein sprechendes Bild, wie übel es manchen
Helden von der Phrase wird, wenn sie von der Opposition zur schaffenden Thätigkeit
übergehen sollen. Je höher die Fluth der Reaction diesseits und jenseits des


Grenzboten. I. . 54

Dinge wohnt etwas nachlässig Frivoles bei. Mit allzu sichtlicher Vorliebe giebt
sie sich einer scherzhaften Auffassung mißliebiger Ereignisse hin. Ein Blatt von
ernster Richtung aber sollte sich hüten, dem Witz eine hervorragende Stelle unter
ihren täglich gebrauchten Waffen einzuräumen. Nachdem man einem Gegner mit
Gründen der eigenen Ueberzeugung ernstlich auf den Leib gegangen ist, mag es
erlaubt sein, ihm einen leichten beschwingten Pfeil zum Ueberfluß nachzusenden;
aber zum Hauptgeschoß darf er nicht werden, denn ein berechtigter Kampf, ein
wirklicher Sieg durch ihn ist undenkbar. Dazu bedarf es einer sittlichen Grund¬
lage und einer, ernsten geistigen Anstrengung. Gewiß ist es außerdem, daß
gerade dieses zersetzende Element die schlimmsten Wirkungen auf die Menge der
unmündigen oder halbreifen Staatsbürger äußert. Zudem es der alltägliche»
Gesinnung durch Herabsetzung höherer Menschen und Zustände schmeichelt, be¬
stärkt es sie zugleich in ihrer Gedankenträgheit, ohne das Geringste zu ihrer
Bildung beizutragen, statt die Steigerung des öffentlichen Lebens zu befördern,
hält es sie gerade am sichersten zurück. Möge der hannover'schen Presse in dem
wachsenden Ernst der Ereignisse auch die Neigung zu einer strengern Auffassung
und ernstern Behandlung der politischen Dinge kommen!

Wir wenden uns zu unsre» publicistischeu Freundinnen an der Elbe und an
der Weser. In der Fähigkeit, derpolitischen Parteinahme entgegenzuwirken, und die
vormärzliche Unmündigkeit der Staatsbürger zu verewigen, steht der Hamburger
Correspondent mit dem losen Kladderadatsch ungefähr auf gleicher Höhe. Und
uur deshalb, weil er an sich selbst niemals einen Fortschritt statuirt, weil er sich
noch heute bei derselben gesinnungslosen Unparteilichkeit beruhigt, die ihm zu den
Zeiten des heiligen römischen Reichs allerdings gerathen war. Ein Unternehmen
freilich, wie die Augsburger Allgemeine Zeitung, das seiue politische Farbe
höchstens durch gewisse Auslassungen zu erkennen giebt, und dafür oft
wirklich werthvolle Berichte von den fähigsten Federn aus alleu Theilen Europa's
bringt, ein solches Unternehmen ist von eigenthümlicher Bedeutung, und erhält
seinen alten Ruf. Der Hamburger Unparteiische jedoch hat nicht die geringste
Aehnlichkeit mit seiner süddeutschen Schwester. Eine bestimmte Farbe hat er noch
weniger als sie, dagegen com wahrhaft erstaunenswerthen Ueberfluß von Artikeln
ohne Kraft und Salz, mit denen ihn geschwätzige Stubeupolitiker von allen Orten
her versorgen. Geist und Entschiedenheit sind Gäste, denen er deu Zutritt aus vor¬
sorglichem Wohlwollen für seine Leser nicht gestattet. Von dieser durchgängigen
Unzulänglichkeit macheu seiue hannoverschen Berichte keine Ausnahme, wenn sie
auch hin und wieder deshalb Beachtung fordern, weil sie an den Thüren der
Großen und Höchsten erlauscht sind.

Die Neue Bremer Zeitung liefert ein sprechendes Bild, wie übel es manchen
Helden von der Phrase wird, wenn sie von der Opposition zur schaffenden Thätigkeit
übergehen sollen. Je höher die Fluth der Reaction diesseits und jenseits des


Grenzboten. I. . 54
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0435" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/93800"/>
          <p xml:id="ID_1198" prev="#ID_1197"> Dinge wohnt etwas nachlässig Frivoles bei. Mit allzu sichtlicher Vorliebe giebt<lb/>
sie sich einer scherzhaften Auffassung mißliebiger Ereignisse hin. Ein Blatt von<lb/>
ernster Richtung aber sollte sich hüten, dem Witz eine hervorragende Stelle unter<lb/>
ihren täglich gebrauchten Waffen einzuräumen. Nachdem man einem Gegner mit<lb/>
Gründen der eigenen Ueberzeugung ernstlich auf den Leib gegangen ist, mag es<lb/>
erlaubt sein, ihm einen leichten beschwingten Pfeil zum Ueberfluß nachzusenden;<lb/>
aber zum Hauptgeschoß darf er nicht werden, denn ein berechtigter Kampf, ein<lb/>
wirklicher Sieg durch ihn ist undenkbar. Dazu bedarf es einer sittlichen Grund¬<lb/>
lage und einer, ernsten geistigen Anstrengung. Gewiß ist es außerdem, daß<lb/>
gerade dieses zersetzende Element die schlimmsten Wirkungen auf die Menge der<lb/>
unmündigen oder halbreifen Staatsbürger äußert. Zudem es der alltägliche»<lb/>
Gesinnung durch Herabsetzung höherer Menschen und Zustände schmeichelt, be¬<lb/>
stärkt es sie zugleich in ihrer Gedankenträgheit, ohne das Geringste zu ihrer<lb/>
Bildung beizutragen, statt die Steigerung des öffentlichen Lebens zu befördern,<lb/>
hält es sie gerade am sichersten zurück. Möge der hannover'schen Presse in dem<lb/>
wachsenden Ernst der Ereignisse auch die Neigung zu einer strengern Auffassung<lb/>
und ernstern Behandlung der politischen Dinge kommen!</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1199"> Wir wenden uns zu unsre» publicistischeu Freundinnen an der Elbe und an<lb/>
der Weser. In der Fähigkeit, derpolitischen Parteinahme entgegenzuwirken, und die<lb/>
vormärzliche Unmündigkeit der Staatsbürger zu verewigen, steht der Hamburger<lb/>
Correspondent mit dem losen Kladderadatsch ungefähr auf gleicher Höhe. Und<lb/>
uur deshalb, weil er an sich selbst niemals einen Fortschritt statuirt, weil er sich<lb/>
noch heute bei derselben gesinnungslosen Unparteilichkeit beruhigt, die ihm zu den<lb/>
Zeiten des heiligen römischen Reichs allerdings gerathen war. Ein Unternehmen<lb/>
freilich, wie die Augsburger Allgemeine Zeitung, das seiue politische Farbe<lb/>
höchstens durch gewisse Auslassungen zu erkennen giebt, und dafür oft<lb/>
wirklich werthvolle Berichte von den fähigsten Federn aus alleu Theilen Europa's<lb/>
bringt, ein solches Unternehmen ist von eigenthümlicher Bedeutung, und erhält<lb/>
seinen alten Ruf. Der Hamburger Unparteiische jedoch hat nicht die geringste<lb/>
Aehnlichkeit mit seiner süddeutschen Schwester. Eine bestimmte Farbe hat er noch<lb/>
weniger als sie, dagegen com wahrhaft erstaunenswerthen Ueberfluß von Artikeln<lb/>
ohne Kraft und Salz, mit denen ihn geschwätzige Stubeupolitiker von allen Orten<lb/>
her versorgen. Geist und Entschiedenheit sind Gäste, denen er deu Zutritt aus vor¬<lb/>
sorglichem Wohlwollen für seine Leser nicht gestattet. Von dieser durchgängigen<lb/>
Unzulänglichkeit macheu seiue hannoverschen Berichte keine Ausnahme, wenn sie<lb/>
auch hin und wieder deshalb Beachtung fordern, weil sie an den Thüren der<lb/>
Großen und Höchsten erlauscht sind.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1200" next="#ID_1201"> Die Neue Bremer Zeitung liefert ein sprechendes Bild, wie übel es manchen<lb/>
Helden von der Phrase wird, wenn sie von der Opposition zur schaffenden Thätigkeit<lb/>
übergehen sollen.  Je höher die Fluth der Reaction diesseits und jenseits des</p><lb/>
          <fw type="sig" place="bottom"> Grenzboten. I. . 54</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0435] Dinge wohnt etwas nachlässig Frivoles bei. Mit allzu sichtlicher Vorliebe giebt sie sich einer scherzhaften Auffassung mißliebiger Ereignisse hin. Ein Blatt von ernster Richtung aber sollte sich hüten, dem Witz eine hervorragende Stelle unter ihren täglich gebrauchten Waffen einzuräumen. Nachdem man einem Gegner mit Gründen der eigenen Ueberzeugung ernstlich auf den Leib gegangen ist, mag es erlaubt sein, ihm einen leichten beschwingten Pfeil zum Ueberfluß nachzusenden; aber zum Hauptgeschoß darf er nicht werden, denn ein berechtigter Kampf, ein wirklicher Sieg durch ihn ist undenkbar. Dazu bedarf es einer sittlichen Grund¬ lage und einer, ernsten geistigen Anstrengung. Gewiß ist es außerdem, daß gerade dieses zersetzende Element die schlimmsten Wirkungen auf die Menge der unmündigen oder halbreifen Staatsbürger äußert. Zudem es der alltägliche» Gesinnung durch Herabsetzung höherer Menschen und Zustände schmeichelt, be¬ stärkt es sie zugleich in ihrer Gedankenträgheit, ohne das Geringste zu ihrer Bildung beizutragen, statt die Steigerung des öffentlichen Lebens zu befördern, hält es sie gerade am sichersten zurück. Möge der hannover'schen Presse in dem wachsenden Ernst der Ereignisse auch die Neigung zu einer strengern Auffassung und ernstern Behandlung der politischen Dinge kommen! Wir wenden uns zu unsre» publicistischeu Freundinnen an der Elbe und an der Weser. In der Fähigkeit, derpolitischen Parteinahme entgegenzuwirken, und die vormärzliche Unmündigkeit der Staatsbürger zu verewigen, steht der Hamburger Correspondent mit dem losen Kladderadatsch ungefähr auf gleicher Höhe. Und uur deshalb, weil er an sich selbst niemals einen Fortschritt statuirt, weil er sich noch heute bei derselben gesinnungslosen Unparteilichkeit beruhigt, die ihm zu den Zeiten des heiligen römischen Reichs allerdings gerathen war. Ein Unternehmen freilich, wie die Augsburger Allgemeine Zeitung, das seiue politische Farbe höchstens durch gewisse Auslassungen zu erkennen giebt, und dafür oft wirklich werthvolle Berichte von den fähigsten Federn aus alleu Theilen Europa's bringt, ein solches Unternehmen ist von eigenthümlicher Bedeutung, und erhält seinen alten Ruf. Der Hamburger Unparteiische jedoch hat nicht die geringste Aehnlichkeit mit seiner süddeutschen Schwester. Eine bestimmte Farbe hat er noch weniger als sie, dagegen com wahrhaft erstaunenswerthen Ueberfluß von Artikeln ohne Kraft und Salz, mit denen ihn geschwätzige Stubeupolitiker von allen Orten her versorgen. Geist und Entschiedenheit sind Gäste, denen er deu Zutritt aus vor¬ sorglichem Wohlwollen für seine Leser nicht gestattet. Von dieser durchgängigen Unzulänglichkeit macheu seiue hannoverschen Berichte keine Ausnahme, wenn sie auch hin und wieder deshalb Beachtung fordern, weil sie an den Thüren der Großen und Höchsten erlauscht sind. Die Neue Bremer Zeitung liefert ein sprechendes Bild, wie übel es manchen Helden von der Phrase wird, wenn sie von der Opposition zur schaffenden Thätigkeit übergehen sollen. Je höher die Fluth der Reaction diesseits und jenseits des Grenzboten. I. . 54

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_93364
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_93364/435
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_93364/435>, abgerufen am 22.07.2024.