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Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. I. Band.

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pöbelhafter Umgebungen, die betrügerischen Sachwalter Quirl, Gammon und
Snap, der Epicier, der gern seine Tochter an einen reichen Mann verheirathen
will, der einfältige, sectirerische Pfaff, der hochmüthige Aristokrat, der trotz seines
Ekels vor den gemeinen Manieren des Emporkömmlings ihm dennoch um des
Mammons willen dienstbar wird, alle diese Figuren sind mit großer Schärfe und
Wahrheit gezeichnet; aber man hat doch keine Freude daran, deun sie sind ein
Ausdruck der ganz gemeinen Häßlichkeit ohne irgend eine kölnische Idealisirung.
Es ist nicht ein übermüthiger Humor, der mit dem Häßlichen und Lächerliche"
ein souverain.es Spiel treibt, sondern der moralische Ekel, der sich mit dem
absolut Abscheulichen zu thun macht, weil er es für seine Pflicht hält. Wenn
sich daher die Handlung durch die unendlichen Hindernisse mit ermüdender Lang¬
samkeit vorwärts bewegt, so werden wir nicht, wie bei Dickens, durch deu
heiteren. Eindruck der Landschaften, durch welche wir komme", entschädigt; weder
die Personen, noch die Begebenheiten haben ein wirkliches Interesse für ums,
deun an dein rein Negativen erlahmt alles Interesse. Derartige Darstellungen
sind eigentlich der Tod aller Poesie.

Wenn aber bei deu Caricaturen wenigstens unser Scharfsinn unterhalten
wird, -erlahmt bei der Schilderung der tugendhaften Personen das Talent der
Ausführung, und die Heftigkeit des Gefühls tritt an die Stelle der Plastik.
Warren hat nur ein allgemeines Gefühl für das Schöne und Edle, aber nicht
jenes schärft Auge, welches er für das Häßliche mitbringt. Es ist das ein.
Mangel in seinem Gemüth, der ihn. aus dem Kreise der eigentlichen Poesie
ausschließt. Die tugendhaften Personen stehen in gar keinem Verhältniß zu
der übrige" durch eine unendliche Kluft von ihnen getrennten Welt. Die einzige
Bestimmtheit, die sie charakterisirt, ist der aristokratische Stolz gege" das Ge¬
meine. Diese Vorliebe für die Aristokratie bei den neueren Humoristen. (Hood,
Hook ze.) hat etwas sehr Ungesundes, denn sie schränkt die Begriffe des
Gentlemanmäßigen, wenn sie aufrichtig ist, auf einen bestimmten Stand ein.
Wie ganz anders ist das bei W. Scott, den man so häufig wegen seiner aristo¬
kratischen Gesinnung angefochten hat. Bei ihm dehnt sich diese Gesinnung auf
alle Kreise aus, in de"e" ein gesundes, unabhängiges Selbstgefühl möglich ist.
Der Pächter, der Pfarrer, der Jurist, der Kaufmann hat bei ihm eben so viel
richtiges und entschiedenes Selbstgefühl und ist darin eben sowol Aristokrat als-
der hochländische Häuptling und der royalistische Officier. Er hat den festen und
freudigen Glauben an die allgemeine Güte der menschlichen Natur, wo sie sich
frei von äußerliche" Fessel" entwickelt. Bei ihm ist die Caricatur eine Ausnahme,
bei Warren dagegen, die Tugend und mit ihr die aristokratische Gesinnung.

Trotz aller dieser Schwächen ist dieser Roman doch das Maximum, was
Warren erreicht hat. Der folgende: ann dten. ^roug-K g, ^lass clgrkl^,
1847, deutet schon durch seinen Titel das Hinneigen zur Manier der neumodi-


pöbelhafter Umgebungen, die betrügerischen Sachwalter Quirl, Gammon und
Snap, der Epicier, der gern seine Tochter an einen reichen Mann verheirathen
will, der einfältige, sectirerische Pfaff, der hochmüthige Aristokrat, der trotz seines
Ekels vor den gemeinen Manieren des Emporkömmlings ihm dennoch um des
Mammons willen dienstbar wird, alle diese Figuren sind mit großer Schärfe und
Wahrheit gezeichnet; aber man hat doch keine Freude daran, deun sie sind ein
Ausdruck der ganz gemeinen Häßlichkeit ohne irgend eine kölnische Idealisirung.
Es ist nicht ein übermüthiger Humor, der mit dem Häßlichen und Lächerliche»
ein souverain.es Spiel treibt, sondern der moralische Ekel, der sich mit dem
absolut Abscheulichen zu thun macht, weil er es für seine Pflicht hält. Wenn
sich daher die Handlung durch die unendlichen Hindernisse mit ermüdender Lang¬
samkeit vorwärts bewegt, so werden wir nicht, wie bei Dickens, durch deu
heiteren. Eindruck der Landschaften, durch welche wir komme», entschädigt; weder
die Personen, noch die Begebenheiten haben ein wirkliches Interesse für ums,
deun an dein rein Negativen erlahmt alles Interesse. Derartige Darstellungen
sind eigentlich der Tod aller Poesie.

Wenn aber bei deu Caricaturen wenigstens unser Scharfsinn unterhalten
wird, -erlahmt bei der Schilderung der tugendhaften Personen das Talent der
Ausführung, und die Heftigkeit des Gefühls tritt an die Stelle der Plastik.
Warren hat nur ein allgemeines Gefühl für das Schöne und Edle, aber nicht
jenes schärft Auge, welches er für das Häßliche mitbringt. Es ist das ein.
Mangel in seinem Gemüth, der ihn. aus dem Kreise der eigentlichen Poesie
ausschließt. Die tugendhaften Personen stehen in gar keinem Verhältniß zu
der übrige» durch eine unendliche Kluft von ihnen getrennten Welt. Die einzige
Bestimmtheit, die sie charakterisirt, ist der aristokratische Stolz gege» das Ge¬
meine. Diese Vorliebe für die Aristokratie bei den neueren Humoristen. (Hood,
Hook ze.) hat etwas sehr Ungesundes, denn sie schränkt die Begriffe des
Gentlemanmäßigen, wenn sie aufrichtig ist, auf einen bestimmten Stand ein.
Wie ganz anders ist das bei W. Scott, den man so häufig wegen seiner aristo¬
kratischen Gesinnung angefochten hat. Bei ihm dehnt sich diese Gesinnung auf
alle Kreise aus, in de»e» ein gesundes, unabhängiges Selbstgefühl möglich ist.
Der Pächter, der Pfarrer, der Jurist, der Kaufmann hat bei ihm eben so viel
richtiges und entschiedenes Selbstgefühl und ist darin eben sowol Aristokrat als-
der hochländische Häuptling und der royalistische Officier. Er hat den festen und
freudigen Glauben an die allgemeine Güte der menschlichen Natur, wo sie sich
frei von äußerliche» Fessel» entwickelt. Bei ihm ist die Caricatur eine Ausnahme,
bei Warren dagegen, die Tugend und mit ihr die aristokratische Gesinnung.

Trotz aller dieser Schwächen ist dieser Roman doch das Maximum, was
Warren erreicht hat. Der folgende: ann dten. ^roug-K g, ^lass clgrkl^,
1847, deutet schon durch seinen Titel das Hinneigen zur Manier der neumodi-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_93364/416>, abgerufen am 22.07.2024.