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Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. I. Band.

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die Zeit vom elften bis zum sechzehnten Jahrhundert, und er bestand aus kost¬
baren Borden, aus Leder, mit werthvollen Steinen besetzt, oder aus an einander
gefugten goldenen oder silbernen Platten. Die Frauen befestigten an den Gürtel
ihre Tasche, die Männer das Schwert. Außer deu Schmucksachen, welche Män¬
ner und Weiber am Körper trugen, entwickelte das Mittelalter die Gold- und
Silberarbeit zu einem großartigen Kunstzweig. Zahllose Monstranzen, Taufbecken,
Räuchergefäße, Reliquienkästchen, Pokale und Trinkbecher, ganze Statuen und
Statuengruppen für reiche Kirchen gössen und trieben die Künstler des Mittel¬
alters in edlen Metallen.

Warum ich diesen geschichtlichen Ueberblick meiner Betrachtung der modernsten
Formen vorausgehen ließ, bedarf wol kaum eiuer Erläuterung. Wer mit dem
Gegenstande bekannt ist, dem wird es nicht entgangen sein, daß die meisten
Hauptformen des Schmucks im Alterthum wie im Mittelalter noch heute ihrem
Grundwesen nach fortleben, daß die historische Folge auch in diesem Zweige der
menschlichen Thätigkeit und des menschlichen Genusses ihre Wirkungen bis in die
jüngste Gegenwart bemerken läßt. Ich bin dadurch der langweiligen Breite über¬
hoben, welche ein weitschichtiges Aufzählen und Katalogisiren immer mit sich bringt,
und kann mich ausschließlich an das Neueste und Jnteressanteste halten.

Der am weitesten, nicht allein durch alle Länder, sondern auch durch alle
Schichten der Gesellschaft verbreitete Schmuck sind gegenwärtig die Ohrringe, die, wie
fast aller Schmuck, jetzt nur den Frauen zugehören. Oertliche Sitte, welche in
Südfrankreich und Italien auch unter den Männern den Ohrring zur Gewohnheit
macht, kann hier wenig in Betracht kommen, verschwindet auch mehr und mehr.
Neuerdings wird der Ohrring als runder oder ovaler Reif getragen mit Bondorf
von mattem Golde, Brillant, Koralle, Gemme oder anderem Edelstein; auch sah
ich statt des Knopfes ein sehr zierliches Bouquet von Brillanten. Die Knöpfe
sind zuweilen so eingerichtet, daß sie aus dem Ringe genommen und an Nadeln
geschraubt werden können, um zur-Befestigung des Haares zu dienen. Ueberhaupt
liebt man es sehr, den Schmuck so compendiös zu verschiedenem Gebrauche ein¬
zurichten. Gehänge, sogenannte Bommeln u. dergl. werden im Ringe nicht mehr
getragen, und ich finde in dieser größern Einfachheit einen Fortschritt des
Geschmacks.

Kräftige Haarnadeln, welche den Knauf des Haares im Nacken zusammen¬
halten und mit verziertem Knopfe zugleich als Schmuck dienen, liebt man sehr.
Schön ist folgende Form des Knopfes: an der goldenen Nadel haftet ein noch
etwas stärkerer goldener Ring, der einem vergrößerten Trauringe gleicht. Daran
lehnt sich auf jeder Seite ein hübsch geformtes Phantasieblatt von blauer Emaille,
die Oeffnung des Ringes so verschließend, daß man dnrch die durchbrochenen
Stellen auf die goldene Rückseite des gegenüber liegenden Blattes sieht. Auf
diese Weise verbindet die Form eine große Freiheit mit massiver Solidität. Gleiche


die Zeit vom elften bis zum sechzehnten Jahrhundert, und er bestand aus kost¬
baren Borden, aus Leder, mit werthvollen Steinen besetzt, oder aus an einander
gefugten goldenen oder silbernen Platten. Die Frauen befestigten an den Gürtel
ihre Tasche, die Männer das Schwert. Außer deu Schmucksachen, welche Män¬
ner und Weiber am Körper trugen, entwickelte das Mittelalter die Gold- und
Silberarbeit zu einem großartigen Kunstzweig. Zahllose Monstranzen, Taufbecken,
Räuchergefäße, Reliquienkästchen, Pokale und Trinkbecher, ganze Statuen und
Statuengruppen für reiche Kirchen gössen und trieben die Künstler des Mittel¬
alters in edlen Metallen.

Warum ich diesen geschichtlichen Ueberblick meiner Betrachtung der modernsten
Formen vorausgehen ließ, bedarf wol kaum eiuer Erläuterung. Wer mit dem
Gegenstande bekannt ist, dem wird es nicht entgangen sein, daß die meisten
Hauptformen des Schmucks im Alterthum wie im Mittelalter noch heute ihrem
Grundwesen nach fortleben, daß die historische Folge auch in diesem Zweige der
menschlichen Thätigkeit und des menschlichen Genusses ihre Wirkungen bis in die
jüngste Gegenwart bemerken läßt. Ich bin dadurch der langweiligen Breite über¬
hoben, welche ein weitschichtiges Aufzählen und Katalogisiren immer mit sich bringt,
und kann mich ausschließlich an das Neueste und Jnteressanteste halten.

Der am weitesten, nicht allein durch alle Länder, sondern auch durch alle
Schichten der Gesellschaft verbreitete Schmuck sind gegenwärtig die Ohrringe, die, wie
fast aller Schmuck, jetzt nur den Frauen zugehören. Oertliche Sitte, welche in
Südfrankreich und Italien auch unter den Männern den Ohrring zur Gewohnheit
macht, kann hier wenig in Betracht kommen, verschwindet auch mehr und mehr.
Neuerdings wird der Ohrring als runder oder ovaler Reif getragen mit Bondorf
von mattem Golde, Brillant, Koralle, Gemme oder anderem Edelstein; auch sah
ich statt des Knopfes ein sehr zierliches Bouquet von Brillanten. Die Knöpfe
sind zuweilen so eingerichtet, daß sie aus dem Ringe genommen und an Nadeln
geschraubt werden können, um zur-Befestigung des Haares zu dienen. Ueberhaupt
liebt man es sehr, den Schmuck so compendiös zu verschiedenem Gebrauche ein¬
zurichten. Gehänge, sogenannte Bommeln u. dergl. werden im Ringe nicht mehr
getragen, und ich finde in dieser größern Einfachheit einen Fortschritt des
Geschmacks.

Kräftige Haarnadeln, welche den Knauf des Haares im Nacken zusammen¬
halten und mit verziertem Knopfe zugleich als Schmuck dienen, liebt man sehr.
Schön ist folgende Form des Knopfes: an der goldenen Nadel haftet ein noch
etwas stärkerer goldener Ring, der einem vergrößerten Trauringe gleicht. Daran
lehnt sich auf jeder Seite ein hübsch geformtes Phantasieblatt von blauer Emaille,
die Oeffnung des Ringes so verschließend, daß man dnrch die durchbrochenen
Stellen auf die goldene Rückseite des gegenüber liegenden Blattes sieht. Auf
diese Weise verbindet die Form eine große Freiheit mit massiver Solidität. Gleiche


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[0398] die Zeit vom elften bis zum sechzehnten Jahrhundert, und er bestand aus kost¬ baren Borden, aus Leder, mit werthvollen Steinen besetzt, oder aus an einander gefugten goldenen oder silbernen Platten. Die Frauen befestigten an den Gürtel ihre Tasche, die Männer das Schwert. Außer deu Schmucksachen, welche Män¬ ner und Weiber am Körper trugen, entwickelte das Mittelalter die Gold- und Silberarbeit zu einem großartigen Kunstzweig. Zahllose Monstranzen, Taufbecken, Räuchergefäße, Reliquienkästchen, Pokale und Trinkbecher, ganze Statuen und Statuengruppen für reiche Kirchen gössen und trieben die Künstler des Mittel¬ alters in edlen Metallen. Warum ich diesen geschichtlichen Ueberblick meiner Betrachtung der modernsten Formen vorausgehen ließ, bedarf wol kaum eiuer Erläuterung. Wer mit dem Gegenstande bekannt ist, dem wird es nicht entgangen sein, daß die meisten Hauptformen des Schmucks im Alterthum wie im Mittelalter noch heute ihrem Grundwesen nach fortleben, daß die historische Folge auch in diesem Zweige der menschlichen Thätigkeit und des menschlichen Genusses ihre Wirkungen bis in die jüngste Gegenwart bemerken läßt. Ich bin dadurch der langweiligen Breite über¬ hoben, welche ein weitschichtiges Aufzählen und Katalogisiren immer mit sich bringt, und kann mich ausschließlich an das Neueste und Jnteressanteste halten. Der am weitesten, nicht allein durch alle Länder, sondern auch durch alle Schichten der Gesellschaft verbreitete Schmuck sind gegenwärtig die Ohrringe, die, wie fast aller Schmuck, jetzt nur den Frauen zugehören. Oertliche Sitte, welche in Südfrankreich und Italien auch unter den Männern den Ohrring zur Gewohnheit macht, kann hier wenig in Betracht kommen, verschwindet auch mehr und mehr. Neuerdings wird der Ohrring als runder oder ovaler Reif getragen mit Bondorf von mattem Golde, Brillant, Koralle, Gemme oder anderem Edelstein; auch sah ich statt des Knopfes ein sehr zierliches Bouquet von Brillanten. Die Knöpfe sind zuweilen so eingerichtet, daß sie aus dem Ringe genommen und an Nadeln geschraubt werden können, um zur-Befestigung des Haares zu dienen. Ueberhaupt liebt man es sehr, den Schmuck so compendiös zu verschiedenem Gebrauche ein¬ zurichten. Gehänge, sogenannte Bommeln u. dergl. werden im Ringe nicht mehr getragen, und ich finde in dieser größern Einfachheit einen Fortschritt des Geschmacks. Kräftige Haarnadeln, welche den Knauf des Haares im Nacken zusammen¬ halten und mit verziertem Knopfe zugleich als Schmuck dienen, liebt man sehr. Schön ist folgende Form des Knopfes: an der goldenen Nadel haftet ein noch etwas stärkerer goldener Ring, der einem vergrößerten Trauringe gleicht. Daran lehnt sich auf jeder Seite ein hübsch geformtes Phantasieblatt von blauer Emaille, die Oeffnung des Ringes so verschließend, daß man dnrch die durchbrochenen Stellen auf die goldene Rückseite des gegenüber liegenden Blattes sieht. Auf diese Weise verbindet die Form eine große Freiheit mit massiver Solidität. Gleiche

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_93364/398>, abgerufen am 28.09.2024.