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Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. I. Band.

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durch die Centralisation eigentlich das Volk doch immer nur selbst tyrannisirt,
in Oestreich aber geht daraus ein ganz äußerlicher Despotismus hervor,
der untrügliche Vorläufer der Revolution. Wir müssen daher die Opposition
der sogenannten altcvnservativen Partei, die sich mehr und mehr in auswärtige
Blätter flüchtet, so wenig wir im Uebrigen ihre aristokratischen Sympathien theilen,
im Gegensatz zu diesem centralisirenden Absolutismus als berechtigt betrachten.

Endlich müssen wir noch einen Blick auf Preußen werfen, indem die nämliche
Frage jetzt in den Kammern verhandelt ist. Die Frage wird in diesen Kammern
ihren Austrag uicht finden, und zwar nicht blos, weil der Einfluß der Regierung
sowol innerhalb der Kammern, als außerhalb derselben zu groß ist, um eine freie
parlamentarische Entscheidung möglich zu machen, sondern vor Allem, weil von
den sämmtlichen Parteien der Kammern, die Regierungspartei mit eingeschlossen,
keine einzige sich ein klares Bild davon gemacht hat, wie die Municipalverfassung
mit der allgemeinen Staatsverfassung in Einklang zu bringen ist. Wenn die
Regierung im vorigen Jahre die alten Provinzialstände einberief, um über die neue
Municipalverfassung ihr Gutachten zu geben, so war dies allerdings zum Theil
Coquetterie mit den Ideen der Kreuzzeitungspartei, welche an die Rechtsbestän-
digkeit dieser Institute zu glaube" vorgab, zum Theil aber auch Unsicherheit des
eigenen Willens, die sich gern anderswo Raths erholen mochte. Diese Unsicher¬
heit drückt sich anch bei den beredtesten Vertheidigern der Regierung aus. Wenn
Herr Stahl z. B. versichert, daß seine Partei für das parlamentarische Wesen
sei, nicht blos wegen des formellen Rechts, wegen der beschworenen Verfassung,
sondern ans wirklicher Sympathie, da die Kammern ein viel bequemeres Mittel
zur Entfaltung einer geistreichen und schulmäßig gebildeten Partei hergeben, als
die alten Provinzialstände, so glauben wir, daß er darin eben so aufrichtig ist,
als in seiner Anpreisung des ständischen Princips für die Kreis- und Provinzial-
vertretnng; aber daß er im Staatsorganismus beides neben einander für möglich
hält, darin täuscht er sich selbst. Eine Kammer, die uicht auf die provinziellen
Einrichtungen bastrt ist, die im Gegentheil denselben widerspricht, ist entweder
ohnmächtig, oder sie wird ihren Gegensatz unterdrücken. Beides liegt außerhalb
des Bereichs der reactionairen Wünsche, und es wird daher weder die eine uoch
die andere Frage in dieser Session ihre definitive Lösung finden. Da der gegen¬
wärtige Augenblick zur Organisation in großem Umfang nicht eben sehr geeignet
ist, so dürfte es nicht sehr zu bedauern sein, daß wir noch nicht fertig werden.




durch die Centralisation eigentlich das Volk doch immer nur selbst tyrannisirt,
in Oestreich aber geht daraus ein ganz äußerlicher Despotismus hervor,
der untrügliche Vorläufer der Revolution. Wir müssen daher die Opposition
der sogenannten altcvnservativen Partei, die sich mehr und mehr in auswärtige
Blätter flüchtet, so wenig wir im Uebrigen ihre aristokratischen Sympathien theilen,
im Gegensatz zu diesem centralisirenden Absolutismus als berechtigt betrachten.

Endlich müssen wir noch einen Blick auf Preußen werfen, indem die nämliche
Frage jetzt in den Kammern verhandelt ist. Die Frage wird in diesen Kammern
ihren Austrag uicht finden, und zwar nicht blos, weil der Einfluß der Regierung
sowol innerhalb der Kammern, als außerhalb derselben zu groß ist, um eine freie
parlamentarische Entscheidung möglich zu machen, sondern vor Allem, weil von
den sämmtlichen Parteien der Kammern, die Regierungspartei mit eingeschlossen,
keine einzige sich ein klares Bild davon gemacht hat, wie die Municipalverfassung
mit der allgemeinen Staatsverfassung in Einklang zu bringen ist. Wenn die
Regierung im vorigen Jahre die alten Provinzialstände einberief, um über die neue
Municipalverfassung ihr Gutachten zu geben, so war dies allerdings zum Theil
Coquetterie mit den Ideen der Kreuzzeitungspartei, welche an die Rechtsbestän-
digkeit dieser Institute zu glaube» vorgab, zum Theil aber auch Unsicherheit des
eigenen Willens, die sich gern anderswo Raths erholen mochte. Diese Unsicher¬
heit drückt sich anch bei den beredtesten Vertheidigern der Regierung aus. Wenn
Herr Stahl z. B. versichert, daß seine Partei für das parlamentarische Wesen
sei, nicht blos wegen des formellen Rechts, wegen der beschworenen Verfassung,
sondern ans wirklicher Sympathie, da die Kammern ein viel bequemeres Mittel
zur Entfaltung einer geistreichen und schulmäßig gebildeten Partei hergeben, als
die alten Provinzialstände, so glauben wir, daß er darin eben so aufrichtig ist,
als in seiner Anpreisung des ständischen Princips für die Kreis- und Provinzial-
vertretnng; aber daß er im Staatsorganismus beides neben einander für möglich
hält, darin täuscht er sich selbst. Eine Kammer, die uicht auf die provinziellen
Einrichtungen bastrt ist, die im Gegentheil denselben widerspricht, ist entweder
ohnmächtig, oder sie wird ihren Gegensatz unterdrücken. Beides liegt außerhalb
des Bereichs der reactionairen Wünsche, und es wird daher weder die eine uoch
die andere Frage in dieser Session ihre definitive Lösung finden. Da der gegen¬
wärtige Augenblick zur Organisation in großem Umfang nicht eben sehr geeignet
ist, so dürfte es nicht sehr zu bedauern sein, daß wir noch nicht fertig werden.




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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_93364/385>, abgerufen am 22.07.2024.