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Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. I. Band.

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daher gezwungen, am Meere zu suchen, was ihm das Land nicht gewährt: Be¬
schäftigung, Nahrung, Genuß. Und wieder offenbart sich hierin die weltbefreiende
Macht der Thalassa: der unter den drückendsten politischen Verhältnissen aufge-
Wachsens Mann ist ein kühner, geschickter Schiffer, ein kluger Geschäftsmann,
ein unbeugsamer Opponent gegen jede Gewalt und jeden Zwang, ein Manu,
der sich Achtung zu verschaffen weiß. Die magyarisch-italienische Agitation gewann
hier im Jahre 1848 keinen Zoll breit Boden; eben so wenig der Jllyrismus und
die Hallucinationen der Sloweuokroaten. "

Die küstenländischen Kroaten sind ebenfalls Katholiken; der slavische Ritus
hat sich aber trotz aller römischen Bemühungen bei ihnen bis jetzt erhalten.
Diese Gleichheit des Ritus, vielleicht auch die nähere Verwandtschaft mit dem
serbischen nationalen Elemente, bewirkt, daß sich die küstenländischen Kroaten
mit den Serben sehr wohl vertragen, gegenseitig ihre Kirchen besuchen und als
ein Volk ansehen. In neuester Zeit ist es aber dem Eifer des höhern katho¬
lischen Klerus gelungen, die slavische Liturgie immer mehr zu beschränken; die
alten Priester (Glagoliten) sterben aus, und die jungen müssen sich theilweise
dem lateinischen Ritus fügen -- zum großen Verdrusse des Volkes, das im
slavischen Ritus das letzte Denkmal seiner Nationalkirche fallen sieht, und lieber
keine, als eine lateinische Messe hören mag. Die östreichische Negierung hat ein
früheres glagolitisches Seminar in Zara vor einigen Jahren wiederhergestellt; ob
aber damit dem Latinisirnngscifer der Prälaten ein Ziel gesetzt werden soll, muß
erst die Zukunft lehren. Gewiß ist, daß sich der Katholicismus hier nur durch
seine nationale Cultuöform erhalten hat, ohne deren Bestand das ganze Volk
zur griechisch-slavischen Kirche übergetreten wäre.

Vielleicht war es auch diese nationale Form der Kirche, welche die Nationa¬
lität des eigentlichen Volkes gegenüber der italienischen aufrecht erhielt. Während
in den Städten das italienische Element -- ans eingewanderten Italienern und
italisirten Slaven bestehend -- das Uebergewicht hat, ist außerhalb der Stadt-
mauern Alles slavisch; die meisten Leute aus dem Volke sprechen italienisch (und
zwar den venetianischen Dialekt) mit der Fertigkeit des Jtalieners, aber sie be¬
dienen sich dieser Sprache nur zur Verständigung mit dem Fremden, niemals
unter sich. Eben so wenig konnte italienische Sitte unter dem Volke festen Fuß
fassen, obwol dasselbe zu Land und zur See hauptsächlich mit Italien verkehrte,
und ein solcher Einfluß leichter erklärbar wäre, als der Mangel desselben. In¬
dessen hat sich unter diesen Kroaten eine sociale Institution erhalten, die sich, so
viel ich weiß, gegenwärtig uur noch bei den Großrussen wiederfindet: die freie
Arbeiterassociation.

Sobald das Frühjahr herannaht, verlassen ganze Schaaren arbeitsfähiger
Männer und Jünglinge, welche keine Lust zum Seeleben fühlen, ihre Heimath,
und ziehen als Maurer nach Trieft, Kram, Steiermark und Provinzialkroatien,


daher gezwungen, am Meere zu suchen, was ihm das Land nicht gewährt: Be¬
schäftigung, Nahrung, Genuß. Und wieder offenbart sich hierin die weltbefreiende
Macht der Thalassa: der unter den drückendsten politischen Verhältnissen aufge-
Wachsens Mann ist ein kühner, geschickter Schiffer, ein kluger Geschäftsmann,
ein unbeugsamer Opponent gegen jede Gewalt und jeden Zwang, ein Manu,
der sich Achtung zu verschaffen weiß. Die magyarisch-italienische Agitation gewann
hier im Jahre 1848 keinen Zoll breit Boden; eben so wenig der Jllyrismus und
die Hallucinationen der Sloweuokroaten. "

Die küstenländischen Kroaten sind ebenfalls Katholiken; der slavische Ritus
hat sich aber trotz aller römischen Bemühungen bei ihnen bis jetzt erhalten.
Diese Gleichheit des Ritus, vielleicht auch die nähere Verwandtschaft mit dem
serbischen nationalen Elemente, bewirkt, daß sich die küstenländischen Kroaten
mit den Serben sehr wohl vertragen, gegenseitig ihre Kirchen besuchen und als
ein Volk ansehen. In neuester Zeit ist es aber dem Eifer des höhern katho¬
lischen Klerus gelungen, die slavische Liturgie immer mehr zu beschränken; die
alten Priester (Glagoliten) sterben aus, und die jungen müssen sich theilweise
dem lateinischen Ritus fügen — zum großen Verdrusse des Volkes, das im
slavischen Ritus das letzte Denkmal seiner Nationalkirche fallen sieht, und lieber
keine, als eine lateinische Messe hören mag. Die östreichische Negierung hat ein
früheres glagolitisches Seminar in Zara vor einigen Jahren wiederhergestellt; ob
aber damit dem Latinisirnngscifer der Prälaten ein Ziel gesetzt werden soll, muß
erst die Zukunft lehren. Gewiß ist, daß sich der Katholicismus hier nur durch
seine nationale Cultuöform erhalten hat, ohne deren Bestand das ganze Volk
zur griechisch-slavischen Kirche übergetreten wäre.

Vielleicht war es auch diese nationale Form der Kirche, welche die Nationa¬
lität des eigentlichen Volkes gegenüber der italienischen aufrecht erhielt. Während
in den Städten das italienische Element — ans eingewanderten Italienern und
italisirten Slaven bestehend — das Uebergewicht hat, ist außerhalb der Stadt-
mauern Alles slavisch; die meisten Leute aus dem Volke sprechen italienisch (und
zwar den venetianischen Dialekt) mit der Fertigkeit des Jtalieners, aber sie be¬
dienen sich dieser Sprache nur zur Verständigung mit dem Fremden, niemals
unter sich. Eben so wenig konnte italienische Sitte unter dem Volke festen Fuß
fassen, obwol dasselbe zu Land und zur See hauptsächlich mit Italien verkehrte,
und ein solcher Einfluß leichter erklärbar wäre, als der Mangel desselben. In¬
dessen hat sich unter diesen Kroaten eine sociale Institution erhalten, die sich, so
viel ich weiß, gegenwärtig uur noch bei den Großrussen wiederfindet: die freie
Arbeiterassociation.

Sobald das Frühjahr herannaht, verlassen ganze Schaaren arbeitsfähiger
Männer und Jünglinge, welche keine Lust zum Seeleben fühlen, ihre Heimath,
und ziehen als Maurer nach Trieft, Kram, Steiermark und Provinzialkroatien,


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[0352] daher gezwungen, am Meere zu suchen, was ihm das Land nicht gewährt: Be¬ schäftigung, Nahrung, Genuß. Und wieder offenbart sich hierin die weltbefreiende Macht der Thalassa: der unter den drückendsten politischen Verhältnissen aufge- Wachsens Mann ist ein kühner, geschickter Schiffer, ein kluger Geschäftsmann, ein unbeugsamer Opponent gegen jede Gewalt und jeden Zwang, ein Manu, der sich Achtung zu verschaffen weiß. Die magyarisch-italienische Agitation gewann hier im Jahre 1848 keinen Zoll breit Boden; eben so wenig der Jllyrismus und die Hallucinationen der Sloweuokroaten. " Die küstenländischen Kroaten sind ebenfalls Katholiken; der slavische Ritus hat sich aber trotz aller römischen Bemühungen bei ihnen bis jetzt erhalten. Diese Gleichheit des Ritus, vielleicht auch die nähere Verwandtschaft mit dem serbischen nationalen Elemente, bewirkt, daß sich die küstenländischen Kroaten mit den Serben sehr wohl vertragen, gegenseitig ihre Kirchen besuchen und als ein Volk ansehen. In neuester Zeit ist es aber dem Eifer des höhern katho¬ lischen Klerus gelungen, die slavische Liturgie immer mehr zu beschränken; die alten Priester (Glagoliten) sterben aus, und die jungen müssen sich theilweise dem lateinischen Ritus fügen — zum großen Verdrusse des Volkes, das im slavischen Ritus das letzte Denkmal seiner Nationalkirche fallen sieht, und lieber keine, als eine lateinische Messe hören mag. Die östreichische Negierung hat ein früheres glagolitisches Seminar in Zara vor einigen Jahren wiederhergestellt; ob aber damit dem Latinisirnngscifer der Prälaten ein Ziel gesetzt werden soll, muß erst die Zukunft lehren. Gewiß ist, daß sich der Katholicismus hier nur durch seine nationale Cultuöform erhalten hat, ohne deren Bestand das ganze Volk zur griechisch-slavischen Kirche übergetreten wäre. Vielleicht war es auch diese nationale Form der Kirche, welche die Nationa¬ lität des eigentlichen Volkes gegenüber der italienischen aufrecht erhielt. Während in den Städten das italienische Element — ans eingewanderten Italienern und italisirten Slaven bestehend — das Uebergewicht hat, ist außerhalb der Stadt- mauern Alles slavisch; die meisten Leute aus dem Volke sprechen italienisch (und zwar den venetianischen Dialekt) mit der Fertigkeit des Jtalieners, aber sie be¬ dienen sich dieser Sprache nur zur Verständigung mit dem Fremden, niemals unter sich. Eben so wenig konnte italienische Sitte unter dem Volke festen Fuß fassen, obwol dasselbe zu Land und zur See hauptsächlich mit Italien verkehrte, und ein solcher Einfluß leichter erklärbar wäre, als der Mangel desselben. In¬ dessen hat sich unter diesen Kroaten eine sociale Institution erhalten, die sich, so viel ich weiß, gegenwärtig uur noch bei den Großrussen wiederfindet: die freie Arbeiterassociation. Sobald das Frühjahr herannaht, verlassen ganze Schaaren arbeitsfähiger Männer und Jünglinge, welche keine Lust zum Seeleben fühlen, ihre Heimath, und ziehen als Maurer nach Trieft, Kram, Steiermark und Provinzialkroatien,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_93364/352>, abgerufen am 26.06.2024.