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Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. I. Band.

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Der Angekommene öffnet die Thür, und sieht seine' ganze Familie in jedem
Grade der Verzweiflung und in jeder Art von Nachtkleidern an der Thür auf¬
gehäuft. Auf der Treppe steht das weibliche Dienstpersonal, und schwenkt zitternd
Spinnenbesen und Ofenhaken; im Dunkel am Fuß der Treppe erscheinen
männliche Hausgenossen mit Gewehr und Jagdmessern. -- Da sah der
Angekommene, daß sein ganzes Haus erkrankt war, und stellte ein Examen an.
Es ergab sich sogleich Folgendes: In der Nachbarschaft war vor wenigen Tagen
ein gräulicher Mord verübt worden, und das eifrige Besprechen der Unthat hatte
die Phantasie des ganzen Hauses in bedenklichster Weise aufgeregt. Wenn in der
Speisekammer ein kleiner vergnügter Mausrich seinen Kameraden pfiff, so war das
ein Signal der hernmschleichenden Mörder; wenn ein Holzwurm pickte, so hörte
man deutlich das Bohren eines fürchterlichen Einbrechers; wenn der Nachtwind
an den Fensterladen klapperte, so bemühte sich ein Brecheisen Eimern für unzählige
Galgenvögel zu erzwingen. Vom Morgen bis'zum Abend waren alle möglichen
Gräuelthaten und Mördereien Gegenstand der Unterhaltung in den Wohnzimmern,
und in der Dienerstube las die Köchin merkwürdige Criminalgeschichten vor.
Das friedliche Haus war in eine melancholische Stätte des Grausens verwandelt.
-- Es dauerte längere Zeit, bevor es möglich wurde, durch Lachen und strenges
Verbot der beliebten Unterhaltungsstoffe die nervöse Aufregung zu heilen.

Das waren die ersten Anfänge des ConftableriSmns, wie sie zu allen Zeiten
und bei allen Völkern vorkommen. Seit dem Jahre 48 aber hat bei uns dieser
Zustand in gefährlichem Grade zugenommen, er hat ganze Klassen der bedächtigsten
Staatsbürger ergriffen, ja er hat vorzugsweise unsre guten, verständigen, und sonst
so wenig phantastischen Sicherheitsbehörden ergriffen. -Während sie sonst ein
großes Pflichtgefühl durch Überwachung der Spitzbuben und anderer armen
Teufel des Gesetzes befriedigten, schwelgt ihre Phantasie jetzt in den gräulichen
Bildern von politischen Verbrechern, von Demokraten, von Nöthen, von Commu-
nisten. Wohl Dem, der jetzt einen Dietrich in der Tasche trägt, er ist gewisser¬
maßen ein harmloser Kerl geworden; glücklich der Unscheinbare, der eine Eisenstange
im Stiefel herumschleppt, er ist gewissermaßen ein anerkanntes Mitglied der Ge¬
sellschaft, ein Mann von offenem Charakter; aber wehe dem Unglücklichen, dessen Hut¬
krempe um einen Zoll breiter ist, als die seiner Mitmenschen: hundert Augen folgen
ihm auf Schritt und Tritt. Wehe dem Fremden, der einen anständigen Rock
trägt, und vergessen hat, seine Legitimationskarte in die Brusttasche zu stecken;
der anständige Rock macht ihn gerade verdächtig. Ueberall sehen die würdigen
Wächter unsrer Sicherheit demokratische Ungeheuer in verdächtigen Verklei¬
dungen durch das Land ziehen; auf allen Straßen tragen die Handwerksburschen
hohle Stöcke, in welchen giftige Papiere verborgen sind, welche den Staat um¬
stürzen werden; in allen Winkelkneipen halten communistische Verschwörer geheime
Kongresse, in welchem sie Hab und Gut der deutscheu Staaten unter ihre Trink-


Der Angekommene öffnet die Thür, und sieht seine' ganze Familie in jedem
Grade der Verzweiflung und in jeder Art von Nachtkleidern an der Thür auf¬
gehäuft. Auf der Treppe steht das weibliche Dienstpersonal, und schwenkt zitternd
Spinnenbesen und Ofenhaken; im Dunkel am Fuß der Treppe erscheinen
männliche Hausgenossen mit Gewehr und Jagdmessern. — Da sah der
Angekommene, daß sein ganzes Haus erkrankt war, und stellte ein Examen an.
Es ergab sich sogleich Folgendes: In der Nachbarschaft war vor wenigen Tagen
ein gräulicher Mord verübt worden, und das eifrige Besprechen der Unthat hatte
die Phantasie des ganzen Hauses in bedenklichster Weise aufgeregt. Wenn in der
Speisekammer ein kleiner vergnügter Mausrich seinen Kameraden pfiff, so war das
ein Signal der hernmschleichenden Mörder; wenn ein Holzwurm pickte, so hörte
man deutlich das Bohren eines fürchterlichen Einbrechers; wenn der Nachtwind
an den Fensterladen klapperte, so bemühte sich ein Brecheisen Eimern für unzählige
Galgenvögel zu erzwingen. Vom Morgen bis'zum Abend waren alle möglichen
Gräuelthaten und Mördereien Gegenstand der Unterhaltung in den Wohnzimmern,
und in der Dienerstube las die Köchin merkwürdige Criminalgeschichten vor.
Das friedliche Haus war in eine melancholische Stätte des Grausens verwandelt.
— Es dauerte längere Zeit, bevor es möglich wurde, durch Lachen und strenges
Verbot der beliebten Unterhaltungsstoffe die nervöse Aufregung zu heilen.

Das waren die ersten Anfänge des ConftableriSmns, wie sie zu allen Zeiten
und bei allen Völkern vorkommen. Seit dem Jahre 48 aber hat bei uns dieser
Zustand in gefährlichem Grade zugenommen, er hat ganze Klassen der bedächtigsten
Staatsbürger ergriffen, ja er hat vorzugsweise unsre guten, verständigen, und sonst
so wenig phantastischen Sicherheitsbehörden ergriffen. -Während sie sonst ein
großes Pflichtgefühl durch Überwachung der Spitzbuben und anderer armen
Teufel des Gesetzes befriedigten, schwelgt ihre Phantasie jetzt in den gräulichen
Bildern von politischen Verbrechern, von Demokraten, von Nöthen, von Commu-
nisten. Wohl Dem, der jetzt einen Dietrich in der Tasche trägt, er ist gewisser¬
maßen ein harmloser Kerl geworden; glücklich der Unscheinbare, der eine Eisenstange
im Stiefel herumschleppt, er ist gewissermaßen ein anerkanntes Mitglied der Ge¬
sellschaft, ein Mann von offenem Charakter; aber wehe dem Unglücklichen, dessen Hut¬
krempe um einen Zoll breiter ist, als die seiner Mitmenschen: hundert Augen folgen
ihm auf Schritt und Tritt. Wehe dem Fremden, der einen anständigen Rock
trägt, und vergessen hat, seine Legitimationskarte in die Brusttasche zu stecken;
der anständige Rock macht ihn gerade verdächtig. Ueberall sehen die würdigen
Wächter unsrer Sicherheit demokratische Ungeheuer in verdächtigen Verklei¬
dungen durch das Land ziehen; auf allen Straßen tragen die Handwerksburschen
hohle Stöcke, in welchen giftige Papiere verborgen sind, welche den Staat um¬
stürzen werden; in allen Winkelkneipen halten communistische Verschwörer geheime
Kongresse, in welchem sie Hab und Gut der deutscheu Staaten unter ihre Trink-


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[0320] Der Angekommene öffnet die Thür, und sieht seine' ganze Familie in jedem Grade der Verzweiflung und in jeder Art von Nachtkleidern an der Thür auf¬ gehäuft. Auf der Treppe steht das weibliche Dienstpersonal, und schwenkt zitternd Spinnenbesen und Ofenhaken; im Dunkel am Fuß der Treppe erscheinen männliche Hausgenossen mit Gewehr und Jagdmessern. — Da sah der Angekommene, daß sein ganzes Haus erkrankt war, und stellte ein Examen an. Es ergab sich sogleich Folgendes: In der Nachbarschaft war vor wenigen Tagen ein gräulicher Mord verübt worden, und das eifrige Besprechen der Unthat hatte die Phantasie des ganzen Hauses in bedenklichster Weise aufgeregt. Wenn in der Speisekammer ein kleiner vergnügter Mausrich seinen Kameraden pfiff, so war das ein Signal der hernmschleichenden Mörder; wenn ein Holzwurm pickte, so hörte man deutlich das Bohren eines fürchterlichen Einbrechers; wenn der Nachtwind an den Fensterladen klapperte, so bemühte sich ein Brecheisen Eimern für unzählige Galgenvögel zu erzwingen. Vom Morgen bis'zum Abend waren alle möglichen Gräuelthaten und Mördereien Gegenstand der Unterhaltung in den Wohnzimmern, und in der Dienerstube las die Köchin merkwürdige Criminalgeschichten vor. Das friedliche Haus war in eine melancholische Stätte des Grausens verwandelt. — Es dauerte längere Zeit, bevor es möglich wurde, durch Lachen und strenges Verbot der beliebten Unterhaltungsstoffe die nervöse Aufregung zu heilen. Das waren die ersten Anfänge des ConftableriSmns, wie sie zu allen Zeiten und bei allen Völkern vorkommen. Seit dem Jahre 48 aber hat bei uns dieser Zustand in gefährlichem Grade zugenommen, er hat ganze Klassen der bedächtigsten Staatsbürger ergriffen, ja er hat vorzugsweise unsre guten, verständigen, und sonst so wenig phantastischen Sicherheitsbehörden ergriffen. -Während sie sonst ein großes Pflichtgefühl durch Überwachung der Spitzbuben und anderer armen Teufel des Gesetzes befriedigten, schwelgt ihre Phantasie jetzt in den gräulichen Bildern von politischen Verbrechern, von Demokraten, von Nöthen, von Commu- nisten. Wohl Dem, der jetzt einen Dietrich in der Tasche trägt, er ist gewisser¬ maßen ein harmloser Kerl geworden; glücklich der Unscheinbare, der eine Eisenstange im Stiefel herumschleppt, er ist gewissermaßen ein anerkanntes Mitglied der Ge¬ sellschaft, ein Mann von offenem Charakter; aber wehe dem Unglücklichen, dessen Hut¬ krempe um einen Zoll breiter ist, als die seiner Mitmenschen: hundert Augen folgen ihm auf Schritt und Tritt. Wehe dem Fremden, der einen anständigen Rock trägt, und vergessen hat, seine Legitimationskarte in die Brusttasche zu stecken; der anständige Rock macht ihn gerade verdächtig. Ueberall sehen die würdigen Wächter unsrer Sicherheit demokratische Ungeheuer in verdächtigen Verklei¬ dungen durch das Land ziehen; auf allen Straßen tragen die Handwerksburschen hohle Stöcke, in welchen giftige Papiere verborgen sind, welche den Staat um¬ stürzen werden; in allen Winkelkneipen halten communistische Verschwörer geheime Kongresse, in welchem sie Hab und Gut der deutscheu Staaten unter ihre Trink-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_93364/320>, abgerufen am 29.06.2024.