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Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. I. Band.

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einem französischen Regiments ein. In dieser Eigenschaft war sie mit den fran¬
zösischen Truppen unter dem Herzoge von Angoulsme in Spanien gewesen,
hatte ferner an der Eroberung von Algier unter dem General Bvurmont und
an der Belagerung von Antwerpen Theil genommen, war kreuz und quer in ganz
Frankreich herummarschirt, so daß sie wol jede Garnisonsstadt kannte, war dann
zum zweiten Male nach Algerien übergeschifft, und dort einige Jahre herumge¬
zogen, war wieder nach Europa zurückgekehrt, hatte mit dem Bataillon an den
Expeditionen gegen Rom Theil genommen, und war jetzt zum dritten Male in ^
Algerien. Zweimal, bei Antwerpen und in einem algerischen Vorpostengcfecht, war
mere Kodweaa leicht verwundet worden, denn wenn ihre Compagnie ins feind¬
liche Feuer mußte, marschirte sie stets furchtlos mit, um den Verwundeten einen
leichten Verband anzulegen, was sie trotz des besten Chirurgus verstand,
ihren Durst zu stillen, oder bei ihrer Fortschaffung thätig zu sein. Unter den
Chasseurs ihrer Compagnie war darum auch kein Einziger, dem sie nicht schon
wiederholt größere oder kleinere Dienste geleistet; aber auch die alte vivanöiöre
hatte eine solche Anhänglichkeit zu deu Soldaten, daß sie trotz ihres vorgerückten
Alters ihren unruhigen Stand nicht aufgeben wollte. Umsonst hatte man ihr
eine kleine Pension angeboten, vergebens hatte ihr Sohn sie gebeten, ihre alten
Tage ruhig bei ihm zu beschließen. "In der Mitte der französischen Soldaten
bin ich geboren, zwischen ihnen will ich auch sterben," hatte sie stets geantwortet.
Heute Abend war 1a more Kodweau, besonders guter Laune; sie freute sich, daß
,,Cadin", die ihr eine Art von verzogenem Kinde war, zum Bataillon zurückge¬
kehrt war. Sie traut wohlgefällig den süßen Punsch aus dem kleinen Leder¬
becher, und erzählte uns manche kleine Züge aus ihrem Leben.

Das Aeußere der Marketenderin der zweiten Compagnie, von den Soldaten
"Cadin " genannt, habe ich vorhin schon beschrieben. Sie war eine Pariser Grisette
mit allen Vorzügen und Fehlern, gutmüthig, aufopfernd, stets heitern Sinnes,
von unerschöpflichen Witz, gewandter Zunge, dabei stets thätig in ihrem Ge¬
schäfte, und bei Tag und Nacht, wenn es-galt, rasch und tüchtig, bei der Hand,
sonst aber leichtsinnig, verschwenderisch, wankelmüthig und vergnügungssüchtig.
Das "Faubourg Se. Antoine" war ihre Heimat!), hier hatte sie die Bekanntschaft
eines jungen Lieutenants des Bataillons gemacht. Als er mit seinem Bataillon die
Hauptstadt verließ, war gerade die Stelle einer Vivandiöre offen; aus Liebe für ihren
Lieutenant, auch aus Hang zu dem abenteuerlichen Leben bewarb sich die Kleine
um diese Stelle, und erhielt dieselbe durch die Protection der mere Koliinsau,
deren Gunst sie sich schon damals in hohem Grade zu erwerben gewußt hatte.
Das Verhältniß zu dem Lieutenant, der übrigens später vor Rom fiel, soll nicht
allzu lange gedauert haben. Wie man bei den Chasseurs behauptete, hatte sie
seitdem schon an ein Dutzend neue Liebhaber gehabt, doch stets dabei einen ge¬
wissen Anstand, so weit derselbe von einer französischen Vivandiöre verlangt wird,


Grenzboten. I. I8ö2. 38

einem französischen Regiments ein. In dieser Eigenschaft war sie mit den fran¬
zösischen Truppen unter dem Herzoge von Angoulsme in Spanien gewesen,
hatte ferner an der Eroberung von Algier unter dem General Bvurmont und
an der Belagerung von Antwerpen Theil genommen, war kreuz und quer in ganz
Frankreich herummarschirt, so daß sie wol jede Garnisonsstadt kannte, war dann
zum zweiten Male nach Algerien übergeschifft, und dort einige Jahre herumge¬
zogen, war wieder nach Europa zurückgekehrt, hatte mit dem Bataillon an den
Expeditionen gegen Rom Theil genommen, und war jetzt zum dritten Male in ^
Algerien. Zweimal, bei Antwerpen und in einem algerischen Vorpostengcfecht, war
mere Kodweaa leicht verwundet worden, denn wenn ihre Compagnie ins feind¬
liche Feuer mußte, marschirte sie stets furchtlos mit, um den Verwundeten einen
leichten Verband anzulegen, was sie trotz des besten Chirurgus verstand,
ihren Durst zu stillen, oder bei ihrer Fortschaffung thätig zu sein. Unter den
Chasseurs ihrer Compagnie war darum auch kein Einziger, dem sie nicht schon
wiederholt größere oder kleinere Dienste geleistet; aber auch die alte vivanöiöre
hatte eine solche Anhänglichkeit zu deu Soldaten, daß sie trotz ihres vorgerückten
Alters ihren unruhigen Stand nicht aufgeben wollte. Umsonst hatte man ihr
eine kleine Pension angeboten, vergebens hatte ihr Sohn sie gebeten, ihre alten
Tage ruhig bei ihm zu beschließen. „In der Mitte der französischen Soldaten
bin ich geboren, zwischen ihnen will ich auch sterben," hatte sie stets geantwortet.
Heute Abend war 1a more Kodweau, besonders guter Laune; sie freute sich, daß
,,Cadin", die ihr eine Art von verzogenem Kinde war, zum Bataillon zurückge¬
kehrt war. Sie traut wohlgefällig den süßen Punsch aus dem kleinen Leder¬
becher, und erzählte uns manche kleine Züge aus ihrem Leben.

Das Aeußere der Marketenderin der zweiten Compagnie, von den Soldaten
„Cadin " genannt, habe ich vorhin schon beschrieben. Sie war eine Pariser Grisette
mit allen Vorzügen und Fehlern, gutmüthig, aufopfernd, stets heitern Sinnes,
von unerschöpflichen Witz, gewandter Zunge, dabei stets thätig in ihrem Ge¬
schäfte, und bei Tag und Nacht, wenn es-galt, rasch und tüchtig, bei der Hand,
sonst aber leichtsinnig, verschwenderisch, wankelmüthig und vergnügungssüchtig.
Das „Faubourg Se. Antoine" war ihre Heimat!), hier hatte sie die Bekanntschaft
eines jungen Lieutenants des Bataillons gemacht. Als er mit seinem Bataillon die
Hauptstadt verließ, war gerade die Stelle einer Vivandiöre offen; aus Liebe für ihren
Lieutenant, auch aus Hang zu dem abenteuerlichen Leben bewarb sich die Kleine
um diese Stelle, und erhielt dieselbe durch die Protection der mere Koliinsau,
deren Gunst sie sich schon damals in hohem Grade zu erwerben gewußt hatte.
Das Verhältniß zu dem Lieutenant, der übrigens später vor Rom fiel, soll nicht
allzu lange gedauert haben. Wie man bei den Chasseurs behauptete, hatte sie
seitdem schon an ein Dutzend neue Liebhaber gehabt, doch stets dabei einen ge¬
wissen Anstand, so weit derselbe von einer französischen Vivandiöre verlangt wird,


Grenzboten. I. I8ö2. 38
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_93364/307>, abgerufen am 28.09.2024.