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Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. I. Band.

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ernstliche Aufmerksamkeit, aber ohne Spannung hat, ist im Pastellbilde höchst
energisch, ein Nacken und Gesicht voll jugendlich männlicher'Kraft, mit schlichtem,
aber reichlichem Haar, kurzem, leichtlockigem Bart, in den Zügen eine kerngesunde
Biederkeit, in der Stirnrunzel über dem Auge und dem Muskel am Mund den
Ausdruck des ehrlichsten Verdrusses, Alles so einfach und eins, daß mich die
plastische Lauterkeit an Phidias erinnerte. Zunächst sitzt Jacobus der Jüngere,
der die Linke an die Schulter des Nebenmanns gelegt hat, mit der ausgestreckten
Rechten den Arm des bereits aufgestandenen Petrus berührt, ihn zu näherer
Nachfrage anzuregen. Die Schönheit dieses Kopfs und die Verwandtschaft mit
dem Christustypus (da er Christi Bruder ist) haben alle Copisten sich wiederzugeben
bemüht, keiner aber die Seeleufeinheit bei ruhigem Charakter, wie sie das Pastell¬
bild fühlen läßt, keiner den verhaltenen Schmerz erreicht, der leise um die Lippen
zuckt. Der Greis Andreas neben ihm, das Gesicht ebenfalls nach dem Meister
gewandt, lehnt sich zurück, und drückt mit beiden aufwärts gekehrten Händen sein
unwilliges Erstaunen aus. Schon diese Hände sind in den Copien nicht in
gleichem Grade sprechend wie in der Pastellzeichnung, wo die Finger der Rechten
gestreckt, uicht eingekrümmt sind. Das Gesicht, bei Morghen ins Carikirte
gedrechselt, bei Soutman im Ausdruck warm, aber nicht so charaktervoll wie im
Pastell, hat in diesem eine bedeutende, trotz der am Mund, am Ohr und im
Haar verwischten Farbe, unmittelbar ergreifende Erhabenheit. Es ist ein mäch¬
tiger, in sich abgeschlossener Alter, uicht leicht von außen anzuregen und zu stören,
dessen Gefühl aber, wenn es, wie jetzt, heransgenöthigt wird, mit voller Entschieden¬
heit sich -ausspricht. Petrus, der sich rasch erhoben hat, deu Kopf hinter Judas
weg^ zu Johannes neigt und Diesen mit der Linken am Halse berührt, daß er
mehr erfrage, hat bei Marco und Rubens den Ausdruck einer schmerzvollen, nicht
(wie fälschlich bei Anderen) zornigen Erregung. Im Pastellbild macht das erhitzte,
so zu sagen, gebrochene Auge und der offene Mund, dem man den heißen Athem
anzusehen glaubt, die Gährung seiner Brust fühlbar, von der das Leiden im
Gesicht herrührt. Beim raschen Aufstehen hat Petrus das Tischmesser in der
Rechten umgelegt an seiue Hüfte gezogen, und den Nebenmann Judas zufällig
berührt. Dieser fährt beunruhigt zurück, um an dem über ihn weg bewegten
Petrus fragend' hinauszusehen. Sein verkürztes Profil zeichnet sich so noch
schärfer, und der dunkle Gesichtston wird durch die Beschattung uoch düsterer.
Bei Soutmau ist der Verräther häßlich genug, bei Marco sein Haar kraus, die
Kopfform rundlicher, wenn man will, schöner als jm Pastell, so noch mehr bei
Morghen. Jm Pastell ist sein Haar struppiger, das Gesicht länglicher und hagerer,
der dürre, geizige, kalttrotzige Egoist schärfer ausgesprochen; der carikirte Ein¬
schnitt vom Augenüwchen zur Nasenwurzel uicht schwächer als in den Copien.
Dieses Profil ist das absichtlichste, und sein Anblick widerlegt die Anekdote, Leonardo
habe im Judas den Prior des Klosters gemalt. Ohnehin sagen die.ersten Er-


Grenzbotcn. l. 34

ernstliche Aufmerksamkeit, aber ohne Spannung hat, ist im Pastellbilde höchst
energisch, ein Nacken und Gesicht voll jugendlich männlicher'Kraft, mit schlichtem,
aber reichlichem Haar, kurzem, leichtlockigem Bart, in den Zügen eine kerngesunde
Biederkeit, in der Stirnrunzel über dem Auge und dem Muskel am Mund den
Ausdruck des ehrlichsten Verdrusses, Alles so einfach und eins, daß mich die
plastische Lauterkeit an Phidias erinnerte. Zunächst sitzt Jacobus der Jüngere,
der die Linke an die Schulter des Nebenmanns gelegt hat, mit der ausgestreckten
Rechten den Arm des bereits aufgestandenen Petrus berührt, ihn zu näherer
Nachfrage anzuregen. Die Schönheit dieses Kopfs und die Verwandtschaft mit
dem Christustypus (da er Christi Bruder ist) haben alle Copisten sich wiederzugeben
bemüht, keiner aber die Seeleufeinheit bei ruhigem Charakter, wie sie das Pastell¬
bild fühlen läßt, keiner den verhaltenen Schmerz erreicht, der leise um die Lippen
zuckt. Der Greis Andreas neben ihm, das Gesicht ebenfalls nach dem Meister
gewandt, lehnt sich zurück, und drückt mit beiden aufwärts gekehrten Händen sein
unwilliges Erstaunen aus. Schon diese Hände sind in den Copien nicht in
gleichem Grade sprechend wie in der Pastellzeichnung, wo die Finger der Rechten
gestreckt, uicht eingekrümmt sind. Das Gesicht, bei Morghen ins Carikirte
gedrechselt, bei Soutman im Ausdruck warm, aber nicht so charaktervoll wie im
Pastell, hat in diesem eine bedeutende, trotz der am Mund, am Ohr und im
Haar verwischten Farbe, unmittelbar ergreifende Erhabenheit. Es ist ein mäch¬
tiger, in sich abgeschlossener Alter, uicht leicht von außen anzuregen und zu stören,
dessen Gefühl aber, wenn es, wie jetzt, heransgenöthigt wird, mit voller Entschieden¬
heit sich -ausspricht. Petrus, der sich rasch erhoben hat, deu Kopf hinter Judas
weg^ zu Johannes neigt und Diesen mit der Linken am Halse berührt, daß er
mehr erfrage, hat bei Marco und Rubens den Ausdruck einer schmerzvollen, nicht
(wie fälschlich bei Anderen) zornigen Erregung. Im Pastellbild macht das erhitzte,
so zu sagen, gebrochene Auge und der offene Mund, dem man den heißen Athem
anzusehen glaubt, die Gährung seiner Brust fühlbar, von der das Leiden im
Gesicht herrührt. Beim raschen Aufstehen hat Petrus das Tischmesser in der
Rechten umgelegt an seiue Hüfte gezogen, und den Nebenmann Judas zufällig
berührt. Dieser fährt beunruhigt zurück, um an dem über ihn weg bewegten
Petrus fragend' hinauszusehen. Sein verkürztes Profil zeichnet sich so noch
schärfer, und der dunkle Gesichtston wird durch die Beschattung uoch düsterer.
Bei Soutmau ist der Verräther häßlich genug, bei Marco sein Haar kraus, die
Kopfform rundlicher, wenn man will, schöner als jm Pastell, so noch mehr bei
Morghen. Jm Pastell ist sein Haar struppiger, das Gesicht länglicher und hagerer,
der dürre, geizige, kalttrotzige Egoist schärfer ausgesprochen; der carikirte Ein¬
schnitt vom Augenüwchen zur Nasenwurzel uicht schwächer als in den Copien.
Dieses Profil ist das absichtlichste, und sein Anblick widerlegt die Anekdote, Leonardo
habe im Judas den Prior des Klosters gemalt. Ohnehin sagen die.ersten Er-


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[0275] ernstliche Aufmerksamkeit, aber ohne Spannung hat, ist im Pastellbilde höchst energisch, ein Nacken und Gesicht voll jugendlich männlicher'Kraft, mit schlichtem, aber reichlichem Haar, kurzem, leichtlockigem Bart, in den Zügen eine kerngesunde Biederkeit, in der Stirnrunzel über dem Auge und dem Muskel am Mund den Ausdruck des ehrlichsten Verdrusses, Alles so einfach und eins, daß mich die plastische Lauterkeit an Phidias erinnerte. Zunächst sitzt Jacobus der Jüngere, der die Linke an die Schulter des Nebenmanns gelegt hat, mit der ausgestreckten Rechten den Arm des bereits aufgestandenen Petrus berührt, ihn zu näherer Nachfrage anzuregen. Die Schönheit dieses Kopfs und die Verwandtschaft mit dem Christustypus (da er Christi Bruder ist) haben alle Copisten sich wiederzugeben bemüht, keiner aber die Seeleufeinheit bei ruhigem Charakter, wie sie das Pastell¬ bild fühlen läßt, keiner den verhaltenen Schmerz erreicht, der leise um die Lippen zuckt. Der Greis Andreas neben ihm, das Gesicht ebenfalls nach dem Meister gewandt, lehnt sich zurück, und drückt mit beiden aufwärts gekehrten Händen sein unwilliges Erstaunen aus. Schon diese Hände sind in den Copien nicht in gleichem Grade sprechend wie in der Pastellzeichnung, wo die Finger der Rechten gestreckt, uicht eingekrümmt sind. Das Gesicht, bei Morghen ins Carikirte gedrechselt, bei Soutman im Ausdruck warm, aber nicht so charaktervoll wie im Pastell, hat in diesem eine bedeutende, trotz der am Mund, am Ohr und im Haar verwischten Farbe, unmittelbar ergreifende Erhabenheit. Es ist ein mäch¬ tiger, in sich abgeschlossener Alter, uicht leicht von außen anzuregen und zu stören, dessen Gefühl aber, wenn es, wie jetzt, heransgenöthigt wird, mit voller Entschieden¬ heit sich -ausspricht. Petrus, der sich rasch erhoben hat, deu Kopf hinter Judas weg^ zu Johannes neigt und Diesen mit der Linken am Halse berührt, daß er mehr erfrage, hat bei Marco und Rubens den Ausdruck einer schmerzvollen, nicht (wie fälschlich bei Anderen) zornigen Erregung. Im Pastellbild macht das erhitzte, so zu sagen, gebrochene Auge und der offene Mund, dem man den heißen Athem anzusehen glaubt, die Gährung seiner Brust fühlbar, von der das Leiden im Gesicht herrührt. Beim raschen Aufstehen hat Petrus das Tischmesser in der Rechten umgelegt an seiue Hüfte gezogen, und den Nebenmann Judas zufällig berührt. Dieser fährt beunruhigt zurück, um an dem über ihn weg bewegten Petrus fragend' hinauszusehen. Sein verkürztes Profil zeichnet sich so noch schärfer, und der dunkle Gesichtston wird durch die Beschattung uoch düsterer. Bei Soutmau ist der Verräther häßlich genug, bei Marco sein Haar kraus, die Kopfform rundlicher, wenn man will, schöner als jm Pastell, so noch mehr bei Morghen. Jm Pastell ist sein Haar struppiger, das Gesicht länglicher und hagerer, der dürre, geizige, kalttrotzige Egoist schärfer ausgesprochen; der carikirte Ein¬ schnitt vom Augenüwchen zur Nasenwurzel uicht schwächer als in den Copien. Dieses Profil ist das absichtlichste, und sein Anblick widerlegt die Anekdote, Leonardo habe im Judas den Prior des Klosters gemalt. Ohnehin sagen die.ersten Er- Grenzbotcn. l. 34

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_93364/275>, abgerufen am 22.07.2024.