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Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. I. Band.

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gewöhnliche Kraft und Gewandtheit; selten findet man einen Krüppel oder einen
Schwächling, unter beiden Geschlechtern; sie verkommen wahrscheinlich schon in
der Kindheit/ unfähig die Entbehrungen und Widerwärtigkeiten des Zigeuner-,
lebens zu ertragen, welche auch den scharfgeschnittenen und ausdrucksvollen Gesichts¬
zügen stets etwas Herdes und Rohes geben. Die Gesichtsfarbe ist nicht immer
gleich, nnr ist sie stets dunkler, als die der Spanier, und Einzelne findet man,
die fast so schwarz wie Neger sind. Die Zähne sind weiß und stark, der Mund
meistens gut geformt. Was sie aber vou jedem andern Menschenschlag unter¬
scheidet, ist der seltsame, starre Blick des Auges, von einem unheimlich wilden
Ausdruck, den man nicht leicht vergessen wird, wenn man ihn einmal gesehen hat.

Die wenigen Spuren von Religion, welche sich bei ihnen entdecken lassen,
erinnern an den Orient. Sie beobachten zwar stets die Religionsgebräuche des
Landes,- in welchem sie sich gerade befinden, aber lediglich ans Klugheit; von
einem höhern Wesen erklären sie Nichts zu wissen, und nur bei Einigen findet
man den Glauben an eine Art Seelenwanderung verbreitet. Dagegen kann die
Schen, mit der sie gewisse an sich unverdächtige Nahrungsmittel betrachten, nnr von
Vorschriften herstammön, deren Zusammenhang mit ihrer ehemaligen Religion
ihnen längst verloren gegangen ist. Sie essen Schnecken mit großem Appetit,
hüten sich aber wohl, einen Aal zu berühren, den sie wegen seiner Aehnlichkeit
mit eiuer Schlange als unrein betrachten, und obgleich sie ohne Besinnen einen
Igel braten, gilt ihnen doch das reinliche Eichhörnchen für unerlaubt.

Viel Eigenthümliches haben die Zigeunerhochzeiten. Die Zigeunerin wird mei¬
stens schon im 14. Jahre durch ihre Aeltern verlobt, welche ihr einen Bräutigam aus¬
suchen; erst zwei Jahre später darf nach den Gesetzen der Cakes die Hochzeit stattfinden.
Die Verlobten dürfen sich als gewöhnliche Bekannte behandeln, mit einander reden,
und sich sogar gelegentlich beschenken. Aber wehe ihnen, wenn sie sich ein Stell¬
dichein außerhalb der Thore ihres Wohnortes geben: denn dann wird die Ver¬
lobung unfehlbar rückgängig gemacht, und unauslöschliche Schande ist des Braut¬
paars Loos. Endlich ist die Prüfungszeit verstrichen und der Hochzeittag bricht
an. Nach vielem Schmausen, Trinken und Schreien setzt sich der Hochzeitzug in
Bewegung. An der Spitze geht ein Kerl mit einem confiscirten Gesicht, in der
Hand eine lange Stange, von deren Spitze ein schneeweißes Taschentuch als
Zeichen der Reinheit der Braut weht. Dann kommt das Brautpaar, und hinter
ihm die beiderseitigen Verwandten; dann ein wildes Heer von Zigeunern, krei¬
schend und brüllend, und Flinten und Pistolen abfeuernd, bis die Dorfhunde ihr
Gebell in den Höllenlärm mischen. An der Kirchthür angelangt, pflanzt der
Kerl mit der Stange diese mit einem lauten Hussa in die Erde, und der Zug,
in zwei Reihen getheilt, zieht um die Stange in die Kirche hinein. Nach der
Trauung kehren sie in derselben Weise nach Hause zurück. Der Tag wird mit
Singen, Schmausen, Trinken und Tanzen verbracht; aber der eigenthümlichste


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gewöhnliche Kraft und Gewandtheit; selten findet man einen Krüppel oder einen
Schwächling, unter beiden Geschlechtern; sie verkommen wahrscheinlich schon in
der Kindheit/ unfähig die Entbehrungen und Widerwärtigkeiten des Zigeuner-,
lebens zu ertragen, welche auch den scharfgeschnittenen und ausdrucksvollen Gesichts¬
zügen stets etwas Herdes und Rohes geben. Die Gesichtsfarbe ist nicht immer
gleich, nnr ist sie stets dunkler, als die der Spanier, und Einzelne findet man,
die fast so schwarz wie Neger sind. Die Zähne sind weiß und stark, der Mund
meistens gut geformt. Was sie aber vou jedem andern Menschenschlag unter¬
scheidet, ist der seltsame, starre Blick des Auges, von einem unheimlich wilden
Ausdruck, den man nicht leicht vergessen wird, wenn man ihn einmal gesehen hat.

Die wenigen Spuren von Religion, welche sich bei ihnen entdecken lassen,
erinnern an den Orient. Sie beobachten zwar stets die Religionsgebräuche des
Landes,- in welchem sie sich gerade befinden, aber lediglich ans Klugheit; von
einem höhern Wesen erklären sie Nichts zu wissen, und nur bei Einigen findet
man den Glauben an eine Art Seelenwanderung verbreitet. Dagegen kann die
Schen, mit der sie gewisse an sich unverdächtige Nahrungsmittel betrachten, nnr von
Vorschriften herstammön, deren Zusammenhang mit ihrer ehemaligen Religion
ihnen längst verloren gegangen ist. Sie essen Schnecken mit großem Appetit,
hüten sich aber wohl, einen Aal zu berühren, den sie wegen seiner Aehnlichkeit
mit eiuer Schlange als unrein betrachten, und obgleich sie ohne Besinnen einen
Igel braten, gilt ihnen doch das reinliche Eichhörnchen für unerlaubt.

Viel Eigenthümliches haben die Zigeunerhochzeiten. Die Zigeunerin wird mei¬
stens schon im 14. Jahre durch ihre Aeltern verlobt, welche ihr einen Bräutigam aus¬
suchen; erst zwei Jahre später darf nach den Gesetzen der Cakes die Hochzeit stattfinden.
Die Verlobten dürfen sich als gewöhnliche Bekannte behandeln, mit einander reden,
und sich sogar gelegentlich beschenken. Aber wehe ihnen, wenn sie sich ein Stell¬
dichein außerhalb der Thore ihres Wohnortes geben: denn dann wird die Ver¬
lobung unfehlbar rückgängig gemacht, und unauslöschliche Schande ist des Braut¬
paars Loos. Endlich ist die Prüfungszeit verstrichen und der Hochzeittag bricht
an. Nach vielem Schmausen, Trinken und Schreien setzt sich der Hochzeitzug in
Bewegung. An der Spitze geht ein Kerl mit einem confiscirten Gesicht, in der
Hand eine lange Stange, von deren Spitze ein schneeweißes Taschentuch als
Zeichen der Reinheit der Braut weht. Dann kommt das Brautpaar, und hinter
ihm die beiderseitigen Verwandten; dann ein wildes Heer von Zigeunern, krei¬
schend und brüllend, und Flinten und Pistolen abfeuernd, bis die Dorfhunde ihr
Gebell in den Höllenlärm mischen. An der Kirchthür angelangt, pflanzt der
Kerl mit der Stange diese mit einem lauten Hussa in die Erde, und der Zug,
in zwei Reihen getheilt, zieht um die Stange in die Kirche hinein. Nach der
Trauung kehren sie in derselben Weise nach Hause zurück. Der Tag wird mit
Singen, Schmausen, Trinken und Tanzen verbracht; aber der eigenthümlichste


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_93364/267>, abgerufen am 22.07.2024.