Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

Ein Beispiel des brüderlichen Gefühls, mit welchem die Zigeuner sich
betrachten, theilt Borrow aus Cordova mit, wo es 2 -- 3 Jahre, bevor er
dort war, vorgekommen war. Einer der ärmsten der dortigen Gitanos hatte
einen Spanier niedergestochen, war festgenommen, vor Gericht gestellt und ver-
urtheilt worden. Ein Mord wird in Spanien nicht mit allzugroßem Abscheu
angesehen, und der Verbrecher wird selten am Leben gestraft, wenn er nur Geld
genug hat, um den öffentlichen Notar zu einer günstigen Berichterstattung zu
bewegen. Aber in diesem Falle half Geld nicht; der Ermordete hatte mächtige
Freunde und Verwandte, welche laut uach Gerechtigkeit schrien. Vergebens boten
die Gitanos zur Rettung ihres Kameraden allen ihren Einfluß bei den Behörden
auf, und dieser Einfluß war nicht gering; vergebens boten sie große Summen
für die Umwandlung der Todesstrafe in ewige Gefangenschaft in Ceuta -- eiuer
der reichsten Gitanos,, Frnto, erbot sich nicht weniger als ö000 Kronen für seinen
Theil zu geben, während alle Uebrigen nach ihren Mitteln beisteuerten -- es
half Nichts, und der Zigeuner wurde aus dem Plaza hingerichtet. Am Tage vor
der Hinrichtung verließen die Zigeuner alle ohne Ausnahme Cordova, verschlossen
ihre Häuser und nahmen ihre Pferde, ihre Maulthiere, ihre Esel, ihre Weiber
und Kinder und den größten Theil ihres Hausraths mit. Niemand wußte, wohin
sie sich begeben hatten, und mehrere Monate blieben sie unsichtbar, bis sie auf ein¬
mal wieder in Cordova erschienen; einige jedoch kehrten nie wieder zurück. So
groß war das Entsetzen der Zigeuner über das Schicksal ihres Bruders, daß sie
den Plaza als verflucht betrachtete", und als Borrow in Cordova war, wollten
noch viele Gitanos den Ort, wo ihr Bruder hingerichtet worden, um keinen
Preis betreten.

Bei der immer noch sehr geringen Annäherung, welche zwischen den Spa¬
niern und den Zigeunern stattgefunden hat, ist es kein Wunder, daß Letztere
größtenteils ihre Eigenthümlichkeit im Aeußern und in den Sitten beibehalten
haben. In der Tracht ist der Unterschied nicht so sehr groß. Der Zigeuner
trägt einen spitzen Hut mit schmaler Krempe, eine Zamarra vou Schafpelz im
Winter, eine brauntuchne Jacke im Sommer; darunter am liebsten eine rothe
Plüschweste mit vielen Knöpfen und Hefteln. Ein rothseidner Gürtel umschließt
den Leib und birgt meistens die Cachas. Beinkleider von grobem Tuch oder Leder
gehen bis zu den Knien herab; die Waden schützen wollene Strümpfe, und
manchmal eine Art Kamasche von Tuch oder Leder; derbe Schuhe vollenden den
Anzug, der im Ganzen dem der Chalanes (Noßhändler) und Maulthiertreiber
gleicht, nur daß ihn der Zigeuner mit einer stutzerhafter Nachlässigkeit trägt, die
ihn auf den ersten Blick erkennen läßt. Die Gitana trägt die gewöhnliche spa¬
nische Frauentracht, aber ohne die Mantilla, und zeichnet sich oft durch fliegendes
Haar und stets durch große glänzende Ohrringe ans. Ihrem Aeußern nach sind
die Zigeuner von mittler Größe, und ihre körperlichen Verhältnisse verrathen un-


Ein Beispiel des brüderlichen Gefühls, mit welchem die Zigeuner sich
betrachten, theilt Borrow aus Cordova mit, wo es 2 — 3 Jahre, bevor er
dort war, vorgekommen war. Einer der ärmsten der dortigen Gitanos hatte
einen Spanier niedergestochen, war festgenommen, vor Gericht gestellt und ver-
urtheilt worden. Ein Mord wird in Spanien nicht mit allzugroßem Abscheu
angesehen, und der Verbrecher wird selten am Leben gestraft, wenn er nur Geld
genug hat, um den öffentlichen Notar zu einer günstigen Berichterstattung zu
bewegen. Aber in diesem Falle half Geld nicht; der Ermordete hatte mächtige
Freunde und Verwandte, welche laut uach Gerechtigkeit schrien. Vergebens boten
die Gitanos zur Rettung ihres Kameraden allen ihren Einfluß bei den Behörden
auf, und dieser Einfluß war nicht gering; vergebens boten sie große Summen
für die Umwandlung der Todesstrafe in ewige Gefangenschaft in Ceuta — eiuer
der reichsten Gitanos,, Frnto, erbot sich nicht weniger als ö000 Kronen für seinen
Theil zu geben, während alle Uebrigen nach ihren Mitteln beisteuerten — es
half Nichts, und der Zigeuner wurde aus dem Plaza hingerichtet. Am Tage vor
der Hinrichtung verließen die Zigeuner alle ohne Ausnahme Cordova, verschlossen
ihre Häuser und nahmen ihre Pferde, ihre Maulthiere, ihre Esel, ihre Weiber
und Kinder und den größten Theil ihres Hausraths mit. Niemand wußte, wohin
sie sich begeben hatten, und mehrere Monate blieben sie unsichtbar, bis sie auf ein¬
mal wieder in Cordova erschienen; einige jedoch kehrten nie wieder zurück. So
groß war das Entsetzen der Zigeuner über das Schicksal ihres Bruders, daß sie
den Plaza als verflucht betrachtete», und als Borrow in Cordova war, wollten
noch viele Gitanos den Ort, wo ihr Bruder hingerichtet worden, um keinen
Preis betreten.

Bei der immer noch sehr geringen Annäherung, welche zwischen den Spa¬
niern und den Zigeunern stattgefunden hat, ist es kein Wunder, daß Letztere
größtenteils ihre Eigenthümlichkeit im Aeußern und in den Sitten beibehalten
haben. In der Tracht ist der Unterschied nicht so sehr groß. Der Zigeuner
trägt einen spitzen Hut mit schmaler Krempe, eine Zamarra vou Schafpelz im
Winter, eine brauntuchne Jacke im Sommer; darunter am liebsten eine rothe
Plüschweste mit vielen Knöpfen und Hefteln. Ein rothseidner Gürtel umschließt
den Leib und birgt meistens die Cachas. Beinkleider von grobem Tuch oder Leder
gehen bis zu den Knien herab; die Waden schützen wollene Strümpfe, und
manchmal eine Art Kamasche von Tuch oder Leder; derbe Schuhe vollenden den
Anzug, der im Ganzen dem der Chalanes (Noßhändler) und Maulthiertreiber
gleicht, nur daß ihn der Zigeuner mit einer stutzerhafter Nachlässigkeit trägt, die
ihn auf den ersten Blick erkennen läßt. Die Gitana trägt die gewöhnliche spa¬
nische Frauentracht, aber ohne die Mantilla, und zeichnet sich oft durch fliegendes
Haar und stets durch große glänzende Ohrringe ans. Ihrem Aeußern nach sind
die Zigeuner von mittler Größe, und ihre körperlichen Verhältnisse verrathen un-


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0266" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/93631"/>
            <p xml:id="ID_720"> Ein Beispiel des brüderlichen Gefühls, mit welchem die Zigeuner sich<lb/>
betrachten, theilt Borrow aus Cordova mit, wo es 2 &#x2014; 3 Jahre, bevor er<lb/>
dort war, vorgekommen war. Einer der ärmsten der dortigen Gitanos hatte<lb/>
einen Spanier niedergestochen, war festgenommen, vor Gericht gestellt und ver-<lb/>
urtheilt worden. Ein Mord wird in Spanien nicht mit allzugroßem Abscheu<lb/>
angesehen, und der Verbrecher wird selten am Leben gestraft, wenn er nur Geld<lb/>
genug hat, um den öffentlichen Notar zu einer günstigen Berichterstattung zu<lb/>
bewegen. Aber in diesem Falle half Geld nicht; der Ermordete hatte mächtige<lb/>
Freunde und Verwandte, welche laut uach Gerechtigkeit schrien. Vergebens boten<lb/>
die Gitanos zur Rettung ihres Kameraden allen ihren Einfluß bei den Behörden<lb/>
auf, und dieser Einfluß war nicht gering; vergebens boten sie große Summen<lb/>
für die Umwandlung der Todesstrafe in ewige Gefangenschaft in Ceuta &#x2014; eiuer<lb/>
der reichsten Gitanos,, Frnto, erbot sich nicht weniger als ö000 Kronen für seinen<lb/>
Theil zu geben, während alle Uebrigen nach ihren Mitteln beisteuerten &#x2014; es<lb/>
half Nichts, und der Zigeuner wurde aus dem Plaza hingerichtet. Am Tage vor<lb/>
der Hinrichtung verließen die Zigeuner alle ohne Ausnahme Cordova, verschlossen<lb/>
ihre Häuser und nahmen ihre Pferde, ihre Maulthiere, ihre Esel, ihre Weiber<lb/>
und Kinder und den größten Theil ihres Hausraths mit. Niemand wußte, wohin<lb/>
sie sich begeben hatten, und mehrere Monate blieben sie unsichtbar, bis sie auf ein¬<lb/>
mal wieder in Cordova erschienen; einige jedoch kehrten nie wieder zurück. So<lb/>
groß war das Entsetzen der Zigeuner über das Schicksal ihres Bruders, daß sie<lb/>
den Plaza als verflucht betrachtete», und als Borrow in Cordova war, wollten<lb/>
noch viele Gitanos den Ort, wo ihr Bruder hingerichtet worden, um keinen<lb/>
Preis betreten.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_721" next="#ID_722"> Bei der immer noch sehr geringen Annäherung, welche zwischen den Spa¬<lb/>
niern und den Zigeunern stattgefunden hat, ist es kein Wunder, daß Letztere<lb/>
größtenteils ihre Eigenthümlichkeit im Aeußern und in den Sitten beibehalten<lb/>
haben. In der Tracht ist der Unterschied nicht so sehr groß. Der Zigeuner<lb/>
trägt einen spitzen Hut mit schmaler Krempe, eine Zamarra vou Schafpelz im<lb/>
Winter, eine brauntuchne Jacke im Sommer; darunter am liebsten eine rothe<lb/>
Plüschweste mit vielen Knöpfen und Hefteln. Ein rothseidner Gürtel umschließt<lb/>
den Leib und birgt meistens die Cachas. Beinkleider von grobem Tuch oder Leder<lb/>
gehen bis zu den Knien herab; die Waden schützen wollene Strümpfe, und<lb/>
manchmal eine Art Kamasche von Tuch oder Leder; derbe Schuhe vollenden den<lb/>
Anzug, der im Ganzen dem der Chalanes (Noßhändler) und Maulthiertreiber<lb/>
gleicht, nur daß ihn der Zigeuner mit einer stutzerhafter Nachlässigkeit trägt, die<lb/>
ihn auf den ersten Blick erkennen läßt. Die Gitana trägt die gewöhnliche spa¬<lb/>
nische Frauentracht, aber ohne die Mantilla, und zeichnet sich oft durch fliegendes<lb/>
Haar und stets durch große glänzende Ohrringe ans. Ihrem Aeußern nach sind<lb/>
die Zigeuner von mittler Größe, und ihre körperlichen Verhältnisse verrathen un-</p><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0266] Ein Beispiel des brüderlichen Gefühls, mit welchem die Zigeuner sich betrachten, theilt Borrow aus Cordova mit, wo es 2 — 3 Jahre, bevor er dort war, vorgekommen war. Einer der ärmsten der dortigen Gitanos hatte einen Spanier niedergestochen, war festgenommen, vor Gericht gestellt und ver- urtheilt worden. Ein Mord wird in Spanien nicht mit allzugroßem Abscheu angesehen, und der Verbrecher wird selten am Leben gestraft, wenn er nur Geld genug hat, um den öffentlichen Notar zu einer günstigen Berichterstattung zu bewegen. Aber in diesem Falle half Geld nicht; der Ermordete hatte mächtige Freunde und Verwandte, welche laut uach Gerechtigkeit schrien. Vergebens boten die Gitanos zur Rettung ihres Kameraden allen ihren Einfluß bei den Behörden auf, und dieser Einfluß war nicht gering; vergebens boten sie große Summen für die Umwandlung der Todesstrafe in ewige Gefangenschaft in Ceuta — eiuer der reichsten Gitanos,, Frnto, erbot sich nicht weniger als ö000 Kronen für seinen Theil zu geben, während alle Uebrigen nach ihren Mitteln beisteuerten — es half Nichts, und der Zigeuner wurde aus dem Plaza hingerichtet. Am Tage vor der Hinrichtung verließen die Zigeuner alle ohne Ausnahme Cordova, verschlossen ihre Häuser und nahmen ihre Pferde, ihre Maulthiere, ihre Esel, ihre Weiber und Kinder und den größten Theil ihres Hausraths mit. Niemand wußte, wohin sie sich begeben hatten, und mehrere Monate blieben sie unsichtbar, bis sie auf ein¬ mal wieder in Cordova erschienen; einige jedoch kehrten nie wieder zurück. So groß war das Entsetzen der Zigeuner über das Schicksal ihres Bruders, daß sie den Plaza als verflucht betrachtete», und als Borrow in Cordova war, wollten noch viele Gitanos den Ort, wo ihr Bruder hingerichtet worden, um keinen Preis betreten. Bei der immer noch sehr geringen Annäherung, welche zwischen den Spa¬ niern und den Zigeunern stattgefunden hat, ist es kein Wunder, daß Letztere größtenteils ihre Eigenthümlichkeit im Aeußern und in den Sitten beibehalten haben. In der Tracht ist der Unterschied nicht so sehr groß. Der Zigeuner trägt einen spitzen Hut mit schmaler Krempe, eine Zamarra vou Schafpelz im Winter, eine brauntuchne Jacke im Sommer; darunter am liebsten eine rothe Plüschweste mit vielen Knöpfen und Hefteln. Ein rothseidner Gürtel umschließt den Leib und birgt meistens die Cachas. Beinkleider von grobem Tuch oder Leder gehen bis zu den Knien herab; die Waden schützen wollene Strümpfe, und manchmal eine Art Kamasche von Tuch oder Leder; derbe Schuhe vollenden den Anzug, der im Ganzen dem der Chalanes (Noßhändler) und Maulthiertreiber gleicht, nur daß ihn der Zigeuner mit einer stutzerhafter Nachlässigkeit trägt, die ihn auf den ersten Blick erkennen läßt. Die Gitana trägt die gewöhnliche spa¬ nische Frauentracht, aber ohne die Mantilla, und zeichnet sich oft durch fliegendes Haar und stets durch große glänzende Ohrringe ans. Ihrem Aeußern nach sind die Zigeuner von mittler Größe, und ihre körperlichen Verhältnisse verrathen un-

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_93364
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_93364/266
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_93364/266>, abgerufen am 22.07.2024.