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Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. I. Band.

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Marktplatz und die Hauptstraßen waren mit ihren Leichen bedeckt. O! welch
gräßlicher Aublick: da lagen Männer, schwärzer wie Mulatten, Wuth und Grimm
noch auf den erstarrten Zügen ausgeprägt; wildanssehende Frauen in fremder
Tracht, das Haar, schwarz und lang wie ein Pferdeschweif, auf dem Erdboden
ausgebreitet; und hagere nackte Kinder, Messer und Dolche noch mit der kleinen
Hand krampfhaft umspannend. Von den Bürgern schien keiner gefallen zu sein;
und als sie, nachdem der Feind mit wildem Geheul und Jammer geflohen, ihre
Häupter zählten, da fehlte nur Einer, und dieser Eine war Alvarez, der nie
wieder zum Vorschein kam. Inmitten des Kampfes war das Gewitter, das so
lange über Logronno geschwebt, mit fürchterlicher Wuth und nächtiger Finsterniß
losgebrochen. Ein Bürger behauptete, als er zuletzt Alvarez gesehen, sei er seinen
Gefährten weit vorausgewesen, in verzweifeltem Kampfe mit drei riesigen Zigeuner¬
jünglingen, anscheinend unter der Leitung einer hohen Frauengestalt, welche da¬
neben stand, beladen mit barbarischem Schmuck und das Haupt mit einem silbernen
Reis gekrönt. Das ist die Sage vom Buchhändler von Logronno.

Die Beschwerden des Volkes über die Missethaten der Zigeuner wurden
endlich so laut, daß die träge spanische Justiz nicht länger anstehen konnte, ein¬
zuschreiten. 1499 wurde das erste Gesetz gegen sie erlassen, welches sie bei Ga¬
leerenstrafe ans Spanien verbannte. Diese Strenge hatte aber um so weniger
Erfolg, als die Gitanos bei den großen Herren, denen sie sich beim Pferdehandel
oder durch andere Gefälligkeiten zu empfehlen wußten, und bei den Gerichtsper¬
sonen, welche sie bestachen, Schutz fanden, und erst seit Karl III., welcher die
Zigeuner den übrigen Spaniern gleichstellte, und den Gebrauch ihrer Sprache,
ihrer Lebensweise und ihrer Tracht verbot, ist einige Veränderung in ihrem Zu¬
stande eingetreten; freilich gering genug, aber doch so groß, daß sie selbst uur
bittere Klagen über die neue böse Zeit haben, und in einer Richtung, welche das
feste Band, welches sie unter einander zusammenhält, mit der Zeit zu lösen ver¬
spricht -- der erste Schritt zu ihrem allmählichen Aufgehen in die civilisirte Ge¬
sellschaft. Der Zigeuner mit dem verdorrten Arm klagte selbst gegen Borrow:
"Wir sind nicht mehr die Leute, die wir früher waren, als wir noch in den
Sierras und Einöden hausten, und uns vom Buhuo fern hielten; wir haben
unter deu Buhuo gelebt, bis wir ihnen fast gleich geworden sind; und wir sind
nicht mehr wie eine Seele, bereit einander zu allen Zeiten und in allen Verhält¬
nissen beizustehen, und sehr häufig ist der Gitano der schlimmste Feind seines
Bruders. . . . Nur wenige von uns thun sich im Sommer zusammen und leben
in der Haide und im Gebirge, und dabei gelingt es uns manchmal, ein Pferd
oder ein Maulthier umsonst zu bekommen, und manchmal geben wir einem Buhuo
eins auf den Kopf und ziehen ihn aus, aber selten wagen wir so viel." Diese
Aussage fand Borrow durch seine Erfahrungen vollkommen bestätigt: die meisten
Zigeuner sind in Städten und Dörfern seßhaft geworden, und wenn sie im Lande


Marktplatz und die Hauptstraßen waren mit ihren Leichen bedeckt. O! welch
gräßlicher Aublick: da lagen Männer, schwärzer wie Mulatten, Wuth und Grimm
noch auf den erstarrten Zügen ausgeprägt; wildanssehende Frauen in fremder
Tracht, das Haar, schwarz und lang wie ein Pferdeschweif, auf dem Erdboden
ausgebreitet; und hagere nackte Kinder, Messer und Dolche noch mit der kleinen
Hand krampfhaft umspannend. Von den Bürgern schien keiner gefallen zu sein;
und als sie, nachdem der Feind mit wildem Geheul und Jammer geflohen, ihre
Häupter zählten, da fehlte nur Einer, und dieser Eine war Alvarez, der nie
wieder zum Vorschein kam. Inmitten des Kampfes war das Gewitter, das so
lange über Logronno geschwebt, mit fürchterlicher Wuth und nächtiger Finsterniß
losgebrochen. Ein Bürger behauptete, als er zuletzt Alvarez gesehen, sei er seinen
Gefährten weit vorausgewesen, in verzweifeltem Kampfe mit drei riesigen Zigeuner¬
jünglingen, anscheinend unter der Leitung einer hohen Frauengestalt, welche da¬
neben stand, beladen mit barbarischem Schmuck und das Haupt mit einem silbernen
Reis gekrönt. Das ist die Sage vom Buchhändler von Logronno.

Die Beschwerden des Volkes über die Missethaten der Zigeuner wurden
endlich so laut, daß die träge spanische Justiz nicht länger anstehen konnte, ein¬
zuschreiten. 1499 wurde das erste Gesetz gegen sie erlassen, welches sie bei Ga¬
leerenstrafe ans Spanien verbannte. Diese Strenge hatte aber um so weniger
Erfolg, als die Gitanos bei den großen Herren, denen sie sich beim Pferdehandel
oder durch andere Gefälligkeiten zu empfehlen wußten, und bei den Gerichtsper¬
sonen, welche sie bestachen, Schutz fanden, und erst seit Karl III., welcher die
Zigeuner den übrigen Spaniern gleichstellte, und den Gebrauch ihrer Sprache,
ihrer Lebensweise und ihrer Tracht verbot, ist einige Veränderung in ihrem Zu¬
stande eingetreten; freilich gering genug, aber doch so groß, daß sie selbst uur
bittere Klagen über die neue böse Zeit haben, und in einer Richtung, welche das
feste Band, welches sie unter einander zusammenhält, mit der Zeit zu lösen ver¬
spricht — der erste Schritt zu ihrem allmählichen Aufgehen in die civilisirte Ge¬
sellschaft. Der Zigeuner mit dem verdorrten Arm klagte selbst gegen Borrow:
„Wir sind nicht mehr die Leute, die wir früher waren, als wir noch in den
Sierras und Einöden hausten, und uns vom Buhuo fern hielten; wir haben
unter deu Buhuo gelebt, bis wir ihnen fast gleich geworden sind; und wir sind
nicht mehr wie eine Seele, bereit einander zu allen Zeiten und in allen Verhält¬
nissen beizustehen, und sehr häufig ist der Gitano der schlimmste Feind seines
Bruders. . . . Nur wenige von uns thun sich im Sommer zusammen und leben
in der Haide und im Gebirge, und dabei gelingt es uns manchmal, ein Pferd
oder ein Maulthier umsonst zu bekommen, und manchmal geben wir einem Buhuo
eins auf den Kopf und ziehen ihn aus, aber selten wagen wir so viel." Diese
Aussage fand Borrow durch seine Erfahrungen vollkommen bestätigt: die meisten
Zigeuner sind in Städten und Dörfern seßhaft geworden, und wenn sie im Lande


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[0262] Marktplatz und die Hauptstraßen waren mit ihren Leichen bedeckt. O! welch gräßlicher Aublick: da lagen Männer, schwärzer wie Mulatten, Wuth und Grimm noch auf den erstarrten Zügen ausgeprägt; wildanssehende Frauen in fremder Tracht, das Haar, schwarz und lang wie ein Pferdeschweif, auf dem Erdboden ausgebreitet; und hagere nackte Kinder, Messer und Dolche noch mit der kleinen Hand krampfhaft umspannend. Von den Bürgern schien keiner gefallen zu sein; und als sie, nachdem der Feind mit wildem Geheul und Jammer geflohen, ihre Häupter zählten, da fehlte nur Einer, und dieser Eine war Alvarez, der nie wieder zum Vorschein kam. Inmitten des Kampfes war das Gewitter, das so lange über Logronno geschwebt, mit fürchterlicher Wuth und nächtiger Finsterniß losgebrochen. Ein Bürger behauptete, als er zuletzt Alvarez gesehen, sei er seinen Gefährten weit vorausgewesen, in verzweifeltem Kampfe mit drei riesigen Zigeuner¬ jünglingen, anscheinend unter der Leitung einer hohen Frauengestalt, welche da¬ neben stand, beladen mit barbarischem Schmuck und das Haupt mit einem silbernen Reis gekrönt. Das ist die Sage vom Buchhändler von Logronno. Die Beschwerden des Volkes über die Missethaten der Zigeuner wurden endlich so laut, daß die träge spanische Justiz nicht länger anstehen konnte, ein¬ zuschreiten. 1499 wurde das erste Gesetz gegen sie erlassen, welches sie bei Ga¬ leerenstrafe ans Spanien verbannte. Diese Strenge hatte aber um so weniger Erfolg, als die Gitanos bei den großen Herren, denen sie sich beim Pferdehandel oder durch andere Gefälligkeiten zu empfehlen wußten, und bei den Gerichtsper¬ sonen, welche sie bestachen, Schutz fanden, und erst seit Karl III., welcher die Zigeuner den übrigen Spaniern gleichstellte, und den Gebrauch ihrer Sprache, ihrer Lebensweise und ihrer Tracht verbot, ist einige Veränderung in ihrem Zu¬ stande eingetreten; freilich gering genug, aber doch so groß, daß sie selbst uur bittere Klagen über die neue böse Zeit haben, und in einer Richtung, welche das feste Band, welches sie unter einander zusammenhält, mit der Zeit zu lösen ver¬ spricht — der erste Schritt zu ihrem allmählichen Aufgehen in die civilisirte Ge¬ sellschaft. Der Zigeuner mit dem verdorrten Arm klagte selbst gegen Borrow: „Wir sind nicht mehr die Leute, die wir früher waren, als wir noch in den Sierras und Einöden hausten, und uns vom Buhuo fern hielten; wir haben unter deu Buhuo gelebt, bis wir ihnen fast gleich geworden sind; und wir sind nicht mehr wie eine Seele, bereit einander zu allen Zeiten und in allen Verhält¬ nissen beizustehen, und sehr häufig ist der Gitano der schlimmste Feind seines Bruders. . . . Nur wenige von uns thun sich im Sommer zusammen und leben in der Haide und im Gebirge, und dabei gelingt es uns manchmal, ein Pferd oder ein Maulthier umsonst zu bekommen, und manchmal geben wir einem Buhuo eins auf den Kopf und ziehen ihn aus, aber selten wagen wir so viel." Diese Aussage fand Borrow durch seine Erfahrungen vollkommen bestätigt: die meisten Zigeuner sind in Städten und Dörfern seßhaft geworden, und wenn sie im Lande

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_93364/262>, abgerufen am 22.07.2024.