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Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. I. Band.

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Buchhändler, Mit einem düstern Blicke auf das abgezehrte Gesicht des Priesters,
ausrief: "Auch Ihr, sehe ich, habt von dem Drao gekostet, das die Gitanos ge¬
streut haben. Wisset," fuhr er fort, "daß zur Ausführung eines abscheulichen
Planes die Brunnen von Logronno von Abgeschickten der Banden, welche sich in
der Nachbarschaft versammelt haben, vergiftet sind. Bei dem ersten Auftreten der
Seuche erkannte ich gleich die Wirkungen des Giftes der Gitanos, welches ihre
Vorfahren mit von den ostindischen Inseln gebracht haben, und da ich sogleich
ihre Absichten errieth, verkleidete ich mich als Gitano, um wo möglich ihre Pläne
auszuspioniren. Es ist mir gelungen, und ich weiß jetzt, daß sie von Anfang
an beabsichtigt haben, die Stadt zu plündern, sobald ihre meisten Bewohner
zur Vertheidigung unfähig sind. Morgen Mittag ist die Stunde, wo sie ihren
Versuch machen werden. Es ist keine Zeit zu verlieren; deshalb wollen wir unsre
Mitbürger, so viel ihrer noch am Leben sind, benachrichtigen, damit sie sich zur
Vertheidigung bereit machen können." Darauf begaben sich die beiden Freunde
zum vornehmsten Rathsherrn, der nnr wenig von der Krankheit gelitten hatte;
er vernahm die Erzählung des Buchhändlers mit Schrecken und Erstannen, und
ergriff sofort die geeignetsten Maßregeln zur Vereitelung der Pläne der Gitanos.
Alle waffenfähigen Bewohner von Logronno wurden zusammenberufen, und Waffen
jeder Art unter sie vertheilt. Aus den Rath des Buchhändlers verschloß man
alle Thore der Stadt, mit Ausnahme des vornehmsten; und die kleine Schaar
Vertheidiger, kaum sechzig Mann, stellte sich auf dem Marktplatze auf, den, sagte
er, die Gitanos erst in Besitz nehmen wollten, um sich dann in der Stadt zum
Plündern zu vertheilen. Auf allgemeines Verlangen wurde der Buchhändler zum
Anführer ernannt. Es war schon lange Mittag vorüber; der Himmel war mit
Gewitterwolken bedeckt, welche schwarz nud schwer über der Stadt Logronno hingen.
Die kleine Schaar harrte stumm der Ankunft ihrer Feinde; Wuth erfüllte sie,
wenn sie an den Tod ihrer Väter, ihrer Söhne und ihrer theuersten Verwandten
dachten, welche nicht die Hand Gottes, sondern die höllischen Künste der Gitanos
geschlagen. Sie sehnten sich nach ihrem Erscheinen, entschlossen, an ihnen blutige
Rache zu nehmen; kein Wort wurde laut und tiefes Schweigen herrschte ringsum,
nur manchmal von dem Grollen der Wetterwolken unterbrochen. Plötzlich erhob
Alvarez, der aufmerksam gehorcht hatte, die Hand mit bedeutungsvoller Geberde;
gleich darauf hörte man ein Geräusch -- ein Brausen wie in windbewegten Bäu¬
men, oder fernes Wogenrauschen; es wurde lauter und lauter, und schien aus
der engen Gasse zu kommen, welche von dem Hauptthore nach dem Marktplatze
führte. Aller Augen wendeten sich nach dieser Richtung. . . . Diese Nacht
ertönten alle Glocken von den Thürmen von Logronno, und die wenigen Priester,
welche der Pest entgangen waren, sangen Loblieder auf Gott und die heilige
Jungfrau für die Errettung der Stadt aus den Händen der Heiden. Der An¬
griff der Gitanos war aus das Entschiedenste zurückgeschlagen worden, und der


32*

Buchhändler, Mit einem düstern Blicke auf das abgezehrte Gesicht des Priesters,
ausrief: „Auch Ihr, sehe ich, habt von dem Drao gekostet, das die Gitanos ge¬
streut haben. Wisset," fuhr er fort, „daß zur Ausführung eines abscheulichen
Planes die Brunnen von Logronno von Abgeschickten der Banden, welche sich in
der Nachbarschaft versammelt haben, vergiftet sind. Bei dem ersten Auftreten der
Seuche erkannte ich gleich die Wirkungen des Giftes der Gitanos, welches ihre
Vorfahren mit von den ostindischen Inseln gebracht haben, und da ich sogleich
ihre Absichten errieth, verkleidete ich mich als Gitano, um wo möglich ihre Pläne
auszuspioniren. Es ist mir gelungen, und ich weiß jetzt, daß sie von Anfang
an beabsichtigt haben, die Stadt zu plündern, sobald ihre meisten Bewohner
zur Vertheidigung unfähig sind. Morgen Mittag ist die Stunde, wo sie ihren
Versuch machen werden. Es ist keine Zeit zu verlieren; deshalb wollen wir unsre
Mitbürger, so viel ihrer noch am Leben sind, benachrichtigen, damit sie sich zur
Vertheidigung bereit machen können." Darauf begaben sich die beiden Freunde
zum vornehmsten Rathsherrn, der nnr wenig von der Krankheit gelitten hatte;
er vernahm die Erzählung des Buchhändlers mit Schrecken und Erstannen, und
ergriff sofort die geeignetsten Maßregeln zur Vereitelung der Pläne der Gitanos.
Alle waffenfähigen Bewohner von Logronno wurden zusammenberufen, und Waffen
jeder Art unter sie vertheilt. Aus den Rath des Buchhändlers verschloß man
alle Thore der Stadt, mit Ausnahme des vornehmsten; und die kleine Schaar
Vertheidiger, kaum sechzig Mann, stellte sich auf dem Marktplatze auf, den, sagte
er, die Gitanos erst in Besitz nehmen wollten, um sich dann in der Stadt zum
Plündern zu vertheilen. Auf allgemeines Verlangen wurde der Buchhändler zum
Anführer ernannt. Es war schon lange Mittag vorüber; der Himmel war mit
Gewitterwolken bedeckt, welche schwarz nud schwer über der Stadt Logronno hingen.
Die kleine Schaar harrte stumm der Ankunft ihrer Feinde; Wuth erfüllte sie,
wenn sie an den Tod ihrer Väter, ihrer Söhne und ihrer theuersten Verwandten
dachten, welche nicht die Hand Gottes, sondern die höllischen Künste der Gitanos
geschlagen. Sie sehnten sich nach ihrem Erscheinen, entschlossen, an ihnen blutige
Rache zu nehmen; kein Wort wurde laut und tiefes Schweigen herrschte ringsum,
nur manchmal von dem Grollen der Wetterwolken unterbrochen. Plötzlich erhob
Alvarez, der aufmerksam gehorcht hatte, die Hand mit bedeutungsvoller Geberde;
gleich darauf hörte man ein Geräusch — ein Brausen wie in windbewegten Bäu¬
men, oder fernes Wogenrauschen; es wurde lauter und lauter, und schien aus
der engen Gasse zu kommen, welche von dem Hauptthore nach dem Marktplatze
führte. Aller Augen wendeten sich nach dieser Richtung. . . . Diese Nacht
ertönten alle Glocken von den Thürmen von Logronno, und die wenigen Priester,
welche der Pest entgangen waren, sangen Loblieder auf Gott und die heilige
Jungfrau für die Errettung der Stadt aus den Händen der Heiden. Der An¬
griff der Gitanos war aus das Entschiedenste zurückgeschlagen worden, und der


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[0261] Buchhändler, Mit einem düstern Blicke auf das abgezehrte Gesicht des Priesters, ausrief: „Auch Ihr, sehe ich, habt von dem Drao gekostet, das die Gitanos ge¬ streut haben. Wisset," fuhr er fort, „daß zur Ausführung eines abscheulichen Planes die Brunnen von Logronno von Abgeschickten der Banden, welche sich in der Nachbarschaft versammelt haben, vergiftet sind. Bei dem ersten Auftreten der Seuche erkannte ich gleich die Wirkungen des Giftes der Gitanos, welches ihre Vorfahren mit von den ostindischen Inseln gebracht haben, und da ich sogleich ihre Absichten errieth, verkleidete ich mich als Gitano, um wo möglich ihre Pläne auszuspioniren. Es ist mir gelungen, und ich weiß jetzt, daß sie von Anfang an beabsichtigt haben, die Stadt zu plündern, sobald ihre meisten Bewohner zur Vertheidigung unfähig sind. Morgen Mittag ist die Stunde, wo sie ihren Versuch machen werden. Es ist keine Zeit zu verlieren; deshalb wollen wir unsre Mitbürger, so viel ihrer noch am Leben sind, benachrichtigen, damit sie sich zur Vertheidigung bereit machen können." Darauf begaben sich die beiden Freunde zum vornehmsten Rathsherrn, der nnr wenig von der Krankheit gelitten hatte; er vernahm die Erzählung des Buchhändlers mit Schrecken und Erstannen, und ergriff sofort die geeignetsten Maßregeln zur Vereitelung der Pläne der Gitanos. Alle waffenfähigen Bewohner von Logronno wurden zusammenberufen, und Waffen jeder Art unter sie vertheilt. Aus den Rath des Buchhändlers verschloß man alle Thore der Stadt, mit Ausnahme des vornehmsten; und die kleine Schaar Vertheidiger, kaum sechzig Mann, stellte sich auf dem Marktplatze auf, den, sagte er, die Gitanos erst in Besitz nehmen wollten, um sich dann in der Stadt zum Plündern zu vertheilen. Auf allgemeines Verlangen wurde der Buchhändler zum Anführer ernannt. Es war schon lange Mittag vorüber; der Himmel war mit Gewitterwolken bedeckt, welche schwarz nud schwer über der Stadt Logronno hingen. Die kleine Schaar harrte stumm der Ankunft ihrer Feinde; Wuth erfüllte sie, wenn sie an den Tod ihrer Väter, ihrer Söhne und ihrer theuersten Verwandten dachten, welche nicht die Hand Gottes, sondern die höllischen Künste der Gitanos geschlagen. Sie sehnten sich nach ihrem Erscheinen, entschlossen, an ihnen blutige Rache zu nehmen; kein Wort wurde laut und tiefes Schweigen herrschte ringsum, nur manchmal von dem Grollen der Wetterwolken unterbrochen. Plötzlich erhob Alvarez, der aufmerksam gehorcht hatte, die Hand mit bedeutungsvoller Geberde; gleich darauf hörte man ein Geräusch — ein Brausen wie in windbewegten Bäu¬ men, oder fernes Wogenrauschen; es wurde lauter und lauter, und schien aus der engen Gasse zu kommen, welche von dem Hauptthore nach dem Marktplatze führte. Aller Augen wendeten sich nach dieser Richtung. . . . Diese Nacht ertönten alle Glocken von den Thürmen von Logronno, und die wenigen Priester, welche der Pest entgangen waren, sangen Loblieder auf Gott und die heilige Jungfrau für die Errettung der Stadt aus den Händen der Heiden. Der An¬ griff der Gitanos war aus das Entschiedenste zurückgeschlagen worden, und der 32*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_93364/261>, abgerufen am 22.07.2024.