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Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. I. Band.

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er die Unterköche zu Bereitung eines Gerichts instruirte. War dies geschehen,
so schrieb er mit goldener Schreibfeder in ein dickes Buch, in Maroquin gebunden
mit Goldschnitt, ein Paar Worte, um zu bemerken, zwischen welchen Gerichten
und wann das eben Befohlene aufgetragen werden sollte, zur gehörigen Notiz
für den Haushofmeister, und schüttete zugleich mit der linken Hand Gewürz in
eine Casserole, die der Gegenstand seiner ernsten Betrachtungen war. So drei¬
fach, wie Cäsar, beschäftigt, gab er mit dem Kopfe winkend verschiedene Befehle,
und um ihn standen einige Köche mit Tiegeln und Pfannen, damit er mit kunst¬
reichen Fingern die sublimsten Mischungen selbst verrichte. Der berühmteste
Schüler Caröme's ist Soyer, welcher der Küche des Londoner Nesormclubs vor¬
steht. Aber während der Lehrer nur für die in Götternähe thronenden Sterb¬
lichen schuf, ist der Schüler, von dem Geiste der Neuzeit erfüllt, darauf bedacht,
die seine Küche zu popularisireu, und ihre Genüsse jedem nicht über allzu be¬
schränkte Mittel gebietenden Haushalt zugänglich zu machen. Sein Werk:
inoüoi-ki Kein,L<zvvtt'(;" lModerue Küche für's Haus) ist in dieser Hinsicht unter
allen .Kochbüchern vielleicht das verdienstlichste, und enthalt viel Merkwürdiges
und Belehrendes.

Wie nach der alten Sage die Zerstörung des babylonischen Thurmes, eine
Strafe des vermessenen Menschengeschlechts, die verschiedenen Völker über die
weite Erde zerstreute, und dadurch die Cultur über die Welt verbreitete, so be¬
wirkte auch die-blutige Katastrophe der französischen Revolution, welche das Ge¬
bäude der alten Gesellschaft mit ihrem Blitz vernichtete, daß die Ganmenkünstler
und Köche in alle Welt aus einander stoben, und mit der Flamme echter Kunst
die noch über Deutschland und England liegende Nacht erhellten. Seitdem die
Gastronomie in Frankreich als eine aristokratische Eigenschaft zum Staatsver¬
brechen geworden war, mußten die Köche für ihre Kunst, und die Gourmands
und Gourmets für ihren Gaumen jenseits der ungastlichen Grenze Beschäftigung
suchen. Selbst die Kunst der Salatbereitung brachte erst Chevalier Gambel nach
London. Er besaß Nichts als das nackte Leben, als er in England landete, doch
mit dieser Kunst erwarb er sich ein Vermögen. Aber was für ein Salatkünstler
war er! Mit unübertroffenen Takt wußte er zwischen dem Nichtzuviel und Nicht-
zuwenig der Salz-, Essig- und Oelmischung die richtige Mitte zu halten, die
dem Salat, der Jahreszeit und den Umständen angemessene Fournitnre zu mah-
len, und mjt welcher Grazie zerriß er die Blätter, mit welch' edlem Anstand
durcharbeitete er die Schüssel, bis die mancherlei Ingredienzien wie ein viel- '
stimmiger Accord in eine schöne Harmonie zusammenstimmten. Nie anders als
in voller Gala, den Degen an der Seite, trat er vor die Salatschüssel. Die
vornehmsten Häuser indem ihn ein, damit er die Gäste mit seiner Kunst erfreue.
Er forderte zehn Guineen für eine Bereitung, war aber so beschäftigt und so noth¬
wendig geworden, daß der Herzog von Devonshire einmal ein Gastmahl eine


er die Unterköche zu Bereitung eines Gerichts instruirte. War dies geschehen,
so schrieb er mit goldener Schreibfeder in ein dickes Buch, in Maroquin gebunden
mit Goldschnitt, ein Paar Worte, um zu bemerken, zwischen welchen Gerichten
und wann das eben Befohlene aufgetragen werden sollte, zur gehörigen Notiz
für den Haushofmeister, und schüttete zugleich mit der linken Hand Gewürz in
eine Casserole, die der Gegenstand seiner ernsten Betrachtungen war. So drei¬
fach, wie Cäsar, beschäftigt, gab er mit dem Kopfe winkend verschiedene Befehle,
und um ihn standen einige Köche mit Tiegeln und Pfannen, damit er mit kunst¬
reichen Fingern die sublimsten Mischungen selbst verrichte. Der berühmteste
Schüler Caröme's ist Soyer, welcher der Küche des Londoner Nesormclubs vor¬
steht. Aber während der Lehrer nur für die in Götternähe thronenden Sterb¬
lichen schuf, ist der Schüler, von dem Geiste der Neuzeit erfüllt, darauf bedacht,
die seine Küche zu popularisireu, und ihre Genüsse jedem nicht über allzu be¬
schränkte Mittel gebietenden Haushalt zugänglich zu machen. Sein Werk:
inoüoi-ki Kein,L<zvvtt'(;" lModerue Küche für's Haus) ist in dieser Hinsicht unter
allen .Kochbüchern vielleicht das verdienstlichste, und enthalt viel Merkwürdiges
und Belehrendes.

Wie nach der alten Sage die Zerstörung des babylonischen Thurmes, eine
Strafe des vermessenen Menschengeschlechts, die verschiedenen Völker über die
weite Erde zerstreute, und dadurch die Cultur über die Welt verbreitete, so be¬
wirkte auch die-blutige Katastrophe der französischen Revolution, welche das Ge¬
bäude der alten Gesellschaft mit ihrem Blitz vernichtete, daß die Ganmenkünstler
und Köche in alle Welt aus einander stoben, und mit der Flamme echter Kunst
die noch über Deutschland und England liegende Nacht erhellten. Seitdem die
Gastronomie in Frankreich als eine aristokratische Eigenschaft zum Staatsver¬
brechen geworden war, mußten die Köche für ihre Kunst, und die Gourmands
und Gourmets für ihren Gaumen jenseits der ungastlichen Grenze Beschäftigung
suchen. Selbst die Kunst der Salatbereitung brachte erst Chevalier Gambel nach
London. Er besaß Nichts als das nackte Leben, als er in England landete, doch
mit dieser Kunst erwarb er sich ein Vermögen. Aber was für ein Salatkünstler
war er! Mit unübertroffenen Takt wußte er zwischen dem Nichtzuviel und Nicht-
zuwenig der Salz-, Essig- und Oelmischung die richtige Mitte zu halten, die
dem Salat, der Jahreszeit und den Umständen angemessene Fournitnre zu mah-
len, und mjt welcher Grazie zerriß er die Blätter, mit welch' edlem Anstand
durcharbeitete er die Schüssel, bis die mancherlei Ingredienzien wie ein viel- '
stimmiger Accord in eine schöne Harmonie zusammenstimmten. Nie anders als
in voller Gala, den Degen an der Seite, trat er vor die Salatschüssel. Die
vornehmsten Häuser indem ihn ein, damit er die Gäste mit seiner Kunst erfreue.
Er forderte zehn Guineen für eine Bereitung, war aber so beschäftigt und so noth¬
wendig geworden, daß der Herzog von Devonshire einmal ein Gastmahl eine


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[0164] er die Unterköche zu Bereitung eines Gerichts instruirte. War dies geschehen, so schrieb er mit goldener Schreibfeder in ein dickes Buch, in Maroquin gebunden mit Goldschnitt, ein Paar Worte, um zu bemerken, zwischen welchen Gerichten und wann das eben Befohlene aufgetragen werden sollte, zur gehörigen Notiz für den Haushofmeister, und schüttete zugleich mit der linken Hand Gewürz in eine Casserole, die der Gegenstand seiner ernsten Betrachtungen war. So drei¬ fach, wie Cäsar, beschäftigt, gab er mit dem Kopfe winkend verschiedene Befehle, und um ihn standen einige Köche mit Tiegeln und Pfannen, damit er mit kunst¬ reichen Fingern die sublimsten Mischungen selbst verrichte. Der berühmteste Schüler Caröme's ist Soyer, welcher der Küche des Londoner Nesormclubs vor¬ steht. Aber während der Lehrer nur für die in Götternähe thronenden Sterb¬ lichen schuf, ist der Schüler, von dem Geiste der Neuzeit erfüllt, darauf bedacht, die seine Küche zu popularisireu, und ihre Genüsse jedem nicht über allzu be¬ schränkte Mittel gebietenden Haushalt zugänglich zu machen. Sein Werk: inoüoi-ki Kein,L<zvvtt'(;" lModerue Küche für's Haus) ist in dieser Hinsicht unter allen .Kochbüchern vielleicht das verdienstlichste, und enthalt viel Merkwürdiges und Belehrendes. Wie nach der alten Sage die Zerstörung des babylonischen Thurmes, eine Strafe des vermessenen Menschengeschlechts, die verschiedenen Völker über die weite Erde zerstreute, und dadurch die Cultur über die Welt verbreitete, so be¬ wirkte auch die-blutige Katastrophe der französischen Revolution, welche das Ge¬ bäude der alten Gesellschaft mit ihrem Blitz vernichtete, daß die Ganmenkünstler und Köche in alle Welt aus einander stoben, und mit der Flamme echter Kunst die noch über Deutschland und England liegende Nacht erhellten. Seitdem die Gastronomie in Frankreich als eine aristokratische Eigenschaft zum Staatsver¬ brechen geworden war, mußten die Köche für ihre Kunst, und die Gourmands und Gourmets für ihren Gaumen jenseits der ungastlichen Grenze Beschäftigung suchen. Selbst die Kunst der Salatbereitung brachte erst Chevalier Gambel nach London. Er besaß Nichts als das nackte Leben, als er in England landete, doch mit dieser Kunst erwarb er sich ein Vermögen. Aber was für ein Salatkünstler war er! Mit unübertroffenen Takt wußte er zwischen dem Nichtzuviel und Nicht- zuwenig der Salz-, Essig- und Oelmischung die richtige Mitte zu halten, die dem Salat, der Jahreszeit und den Umständen angemessene Fournitnre zu mah- len, und mjt welcher Grazie zerriß er die Blätter, mit welch' edlem Anstand durcharbeitete er die Schüssel, bis die mancherlei Ingredienzien wie ein viel- ' stimmiger Accord in eine schöne Harmonie zusammenstimmten. Nie anders als in voller Gala, den Degen an der Seite, trat er vor die Salatschüssel. Die vornehmsten Häuser indem ihn ein, damit er die Gäste mit seiner Kunst erfreue. Er forderte zehn Guineen für eine Bereitung, war aber so beschäftigt und so noth¬ wendig geworden, daß der Herzog von Devonshire einmal ein Gastmahl eine

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_93364/164>, abgerufen am 22.07.2024.