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Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. I. Band.

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woraus wir erfahren, daß während der Blokade von Malta durch die Englän¬
der und die Neapolitaner die Bewohner, nachdem sie Pferde, Hunde, Katzen,
Ratten ?e. versucht hatten, auch zum Eselsfleisch griffen, und dieses so vortreff¬
lich fanden, daß die Gourmands voll Valette es dem besten Rind- und Kalb¬
fleisch vorzogen. Wenn ein Esel geschlachtet wurde, so entstand fast Streit um
die besten Stücke. "Der Esel", sagt Jsouard,'der Vater des berühmten Com-
ponisten, ,,darf aber nicht älter als drei oder vier Jahre, und muß sehr fett sein/'

Die culinarische Literatur der Restauration ist reich an vortrefflichen Werken.
Das bedeutendste ist aber die l>KM"1oMo ein K"ü>. vou Brillat Savarin, Nath
am Pariser Cassationshofe. Der Verfasser hatte als Advocat den Beginn der
französischen Revolution gesehen, war Mitglied der Constituante, mußte 1793
auswandern, und lebte eine Zeit laug in den Vereinigten Staaten, wo er in
Newyork Mitglied des Theaterorchesterö war, denu er zeichnete sich auch als Mu¬
siker aus. Während des Directoriums kehrte er in sein Vaterland zurück. Sein
Werk ist übrigens kein praktisches Kochbuch, sondern ein wissenschaftlicher Ver¬
such, eine Sammlung von Aphorismen, tief gedacht und von classischer Kürze.
Eine augenehme Zugabe sind die witzigen Anekdoten, welche das Buch bietet,
und vou denen wir eine zur Probe geben.

"Herr de Sanzai, Erzbischof von Bordeaux, war ein angenehmer Mann und
ein geachteter Prälat. Er hatte von einem seiner Großvicare einen Truthahn mit
Trüffeln farcirt gewonnen, den der Verlierende sich uicht beeilte zu liefern. Ge¬
gen Ende des Carnavals erinnerte der Erzbischof seinen Untergebenen an die
verlorene Wette. "Monseigneur", sagte der Vicar, ,,die Trüffeln langen Heuer
nichts." -- Bah, bah, gab der Erzbischof zur Autwort, das haben blos die
Truthühner ausgesprengt!"

Die Palme des Ruhms gebührt aber vor allen anderen Köchen Anton Ca-
röme, der bei den berühmtesten Gastronomen seiner Zeit, bei Talleyrand, Roth¬
schild und Kaiser Alexander angestellt war; bei Letzterem erhielt er monatlich 2400
Fr. Gehalt, und seiue Ausgaben für die Küche beliefen sich monatlich auf
8g.-100,000 Fr. Daß ihm kollossale Mittel zu Gebote standen, verrathen
auch die Werke, welche er über die Kochkunst herausgegeben hat. Sein Haupt¬
werk ist nicht einmal für reiche Leute im gewöhnlichen Sinne des Worts, sondern
nur für die wenige" Glücklichen, die jährlich Taufende für prächtige Gastereien auszu¬
geben im Stande sind. Caröme war auch der Koch des Wiener Kongresses, wo
ihn Lord Stewart mit hingenommen hatte, der ihn mehr als Freund, denn als
Diener behandelte. Den großen Künstler Befehle zu einem Gastmahle ertheilen,
die verschiedenen Mischungen zu den seltensten Gerichten leiten zu sehen, war ein wah¬
rer Hochgenuß, berichtet Hr. v, Vaerst in seiner Gastrosophie. Wenn er nach heili¬
gen, der Muse einzig geweihten Stunden im Sopha saß und kochte, so schien es, als
ob ein Orakel seine Stimme erschallen ließe. Alles um ihn her verstummte, wenn


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woraus wir erfahren, daß während der Blokade von Malta durch die Englän¬
der und die Neapolitaner die Bewohner, nachdem sie Pferde, Hunde, Katzen,
Ratten ?e. versucht hatten, auch zum Eselsfleisch griffen, und dieses so vortreff¬
lich fanden, daß die Gourmands voll Valette es dem besten Rind- und Kalb¬
fleisch vorzogen. Wenn ein Esel geschlachtet wurde, so entstand fast Streit um
die besten Stücke. „Der Esel", sagt Jsouard,'der Vater des berühmten Com-
ponisten, ,,darf aber nicht älter als drei oder vier Jahre, und muß sehr fett sein/'

Die culinarische Literatur der Restauration ist reich an vortrefflichen Werken.
Das bedeutendste ist aber die l>KM»1oMo ein K»ü>. vou Brillat Savarin, Nath
am Pariser Cassationshofe. Der Verfasser hatte als Advocat den Beginn der
französischen Revolution gesehen, war Mitglied der Constituante, mußte 1793
auswandern, und lebte eine Zeit laug in den Vereinigten Staaten, wo er in
Newyork Mitglied des Theaterorchesterö war, denu er zeichnete sich auch als Mu¬
siker aus. Während des Directoriums kehrte er in sein Vaterland zurück. Sein
Werk ist übrigens kein praktisches Kochbuch, sondern ein wissenschaftlicher Ver¬
such, eine Sammlung von Aphorismen, tief gedacht und von classischer Kürze.
Eine augenehme Zugabe sind die witzigen Anekdoten, welche das Buch bietet,
und vou denen wir eine zur Probe geben.

„Herr de Sanzai, Erzbischof von Bordeaux, war ein angenehmer Mann und
ein geachteter Prälat. Er hatte von einem seiner Großvicare einen Truthahn mit
Trüffeln farcirt gewonnen, den der Verlierende sich uicht beeilte zu liefern. Ge¬
gen Ende des Carnavals erinnerte der Erzbischof seinen Untergebenen an die
verlorene Wette. „Monseigneur", sagte der Vicar, ,,die Trüffeln langen Heuer
nichts." — Bah, bah, gab der Erzbischof zur Autwort, das haben blos die
Truthühner ausgesprengt!"

Die Palme des Ruhms gebührt aber vor allen anderen Köchen Anton Ca-
röme, der bei den berühmtesten Gastronomen seiner Zeit, bei Talleyrand, Roth¬
schild und Kaiser Alexander angestellt war; bei Letzterem erhielt er monatlich 2400
Fr. Gehalt, und seiue Ausgaben für die Küche beliefen sich monatlich auf
8g.-100,000 Fr. Daß ihm kollossale Mittel zu Gebote standen, verrathen
auch die Werke, welche er über die Kochkunst herausgegeben hat. Sein Haupt¬
werk ist nicht einmal für reiche Leute im gewöhnlichen Sinne des Worts, sondern
nur für die wenige» Glücklichen, die jährlich Taufende für prächtige Gastereien auszu¬
geben im Stande sind. Caröme war auch der Koch des Wiener Kongresses, wo
ihn Lord Stewart mit hingenommen hatte, der ihn mehr als Freund, denn als
Diener behandelte. Den großen Künstler Befehle zu einem Gastmahle ertheilen,
die verschiedenen Mischungen zu den seltensten Gerichten leiten zu sehen, war ein wah¬
rer Hochgenuß, berichtet Hr. v, Vaerst in seiner Gastrosophie. Wenn er nach heili¬
gen, der Muse einzig geweihten Stunden im Sopha saß und kochte, so schien es, als
ob ein Orakel seine Stimme erschallen ließe. Alles um ihn her verstummte, wenn


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_93364/163>, abgerufen am 22.07.2024.