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Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. I. Band.

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malischer Nullen, welche sich damals in den Antichambres der Tuilerien drängte.
Einmal schickte die Stadt Genf dem Erzkanzler eine Nieseuforelle nebst der Same,
deren Kosten der Nechuuugshof ans 6000 Fr. constatirte. Ein andermal erfuhr
Buvuaparte, damals noch Consul, daß die Negieruugscouriere stets mit Delicatessen
für verschiedene Gourmands seiner Umgebung beladen seien. Er verbot den Mi߬
brauch, aber bald erschien Ca>nbac6roh in großer Verlegenheit vor ihm, und
machte ihn auf die große politische Wichtigkeit dieser Sendungen aufmerksam, da
seit dem Ausbleiben dieser Delicatessen die diplomatischen Geschäfte nicht mehr
recht in Gang bleiben wollten. Bnonaparte mußte sein Verbot zurücknehmen,
und fand nicht Veranlassung'', deshalb unzufrieden zu sein.

Wir kommen zu einer großen Epoche in der Geschichte der Kochkunst. Wir
sprechen vou dem Erscheinen der ersten Nummer des ^ImanaeK des Kourmauäs
zu Anfang des Jahres 1803, nach dem Zeugniß des verstorbenen Herzogs von
Uork, der selbst ein Adept in der Kunst war, das angenehmste Buch, das jemals
die Presse verlassen hat. Der Absatz dieses Werkes war ungeheuer: 22,000
Exemplare der ersten vier Jahre waren rasch verkauft, und später wurden mehrere
neue Auflagen ausgegeben. Gastronomie wurde die Mode des Tages. Jeder
sprach davon, Viele schrieben darüber. Die Kochkunst drang ans der Küche in
den Laden, aus dem Laden in das Comptoir, aus dem Comptoir in die Expe¬
ditionen und Studirzimmer der Advocaten und Aerzte; vou dort in die Salons
und Kabinette der Damen und Staatsmänner. Anderwärts ißt mau, um zu
leben; in Frankreich schien man damals zu leben, um zu essen.

'Jeder Band des ^lumnaek clvs ^oui'miinÄs giebt einen Kalender für das
laufende Jahr und eine Art gastronomischen Wegweisers zu den verschiedenen
Traitenrs, Rotisseurs, Restaurateurs, Wild- und Geflügelhändlern, Fleischern, Bäckern,
Delicatessenläden n. s. w. Auch die Cas6ö, Limonadiers, Glaciers, Wein- und
Liquenrläden waren nicht vergessen. Die Bändchen sind meistens in einem leich¬
ten, humoristischen Style geschrieben, doch fehlt es anch nicht an Artikeln, welche
sich durch Gründlichkeit und Originalität auszeichnen.' Die ersten vier sind bei
weitem die besten, doch finden sich anch in Band 7., 8. und 9. Stellen, welche
den besten in den früheren Jahrgängen Nichts nachgeben. Der Verfasser nennt
sich Griinod de la Reyniöre, sein eigentlicher Name aber war Laurent. Sein
Vater, ein Generalpächter, erstickte 1754, weil er allzu hastig einen Schnitt Gänse¬
leberpastete hinunterschlingen wollte. Der Sohn erbte vom Vater die Leidenschaft
für die Freuden der Tafel, und verband damit einen drolligen Humor, der ihn zum
allgemeinen Liebling machte. Ihm gebührt nicht blos das Verdienst, einen Ge¬
schmack für die Kochkunst verbreitet zu haben, er hat auch ihre Sprache veredelt.
Als eine Probe seines Styls wollen wir eine Stelle aus dem zweiten Bande
über die Gesundheit der Köche geben:

"Der Finger eines guten Koches sollte beständig zwischen dem Casserol und


malischer Nullen, welche sich damals in den Antichambres der Tuilerien drängte.
Einmal schickte die Stadt Genf dem Erzkanzler eine Nieseuforelle nebst der Same,
deren Kosten der Nechuuugshof ans 6000 Fr. constatirte. Ein andermal erfuhr
Buvuaparte, damals noch Consul, daß die Negieruugscouriere stets mit Delicatessen
für verschiedene Gourmands seiner Umgebung beladen seien. Er verbot den Mi߬
brauch, aber bald erschien Ca>nbac6roh in großer Verlegenheit vor ihm, und
machte ihn auf die große politische Wichtigkeit dieser Sendungen aufmerksam, da
seit dem Ausbleiben dieser Delicatessen die diplomatischen Geschäfte nicht mehr
recht in Gang bleiben wollten. Bnonaparte mußte sein Verbot zurücknehmen,
und fand nicht Veranlassung'', deshalb unzufrieden zu sein.

Wir kommen zu einer großen Epoche in der Geschichte der Kochkunst. Wir
sprechen vou dem Erscheinen der ersten Nummer des ^ImanaeK des Kourmauäs
zu Anfang des Jahres 1803, nach dem Zeugniß des verstorbenen Herzogs von
Uork, der selbst ein Adept in der Kunst war, das angenehmste Buch, das jemals
die Presse verlassen hat. Der Absatz dieses Werkes war ungeheuer: 22,000
Exemplare der ersten vier Jahre waren rasch verkauft, und später wurden mehrere
neue Auflagen ausgegeben. Gastronomie wurde die Mode des Tages. Jeder
sprach davon, Viele schrieben darüber. Die Kochkunst drang ans der Küche in
den Laden, aus dem Laden in das Comptoir, aus dem Comptoir in die Expe¬
ditionen und Studirzimmer der Advocaten und Aerzte; vou dort in die Salons
und Kabinette der Damen und Staatsmänner. Anderwärts ißt mau, um zu
leben; in Frankreich schien man damals zu leben, um zu essen.

'Jeder Band des ^lumnaek clvs ^oui'miinÄs giebt einen Kalender für das
laufende Jahr und eine Art gastronomischen Wegweisers zu den verschiedenen
Traitenrs, Rotisseurs, Restaurateurs, Wild- und Geflügelhändlern, Fleischern, Bäckern,
Delicatessenläden n. s. w. Auch die Cas6ö, Limonadiers, Glaciers, Wein- und
Liquenrläden waren nicht vergessen. Die Bändchen sind meistens in einem leich¬
ten, humoristischen Style geschrieben, doch fehlt es anch nicht an Artikeln, welche
sich durch Gründlichkeit und Originalität auszeichnen.' Die ersten vier sind bei
weitem die besten, doch finden sich anch in Band 7., 8. und 9. Stellen, welche
den besten in den früheren Jahrgängen Nichts nachgeben. Der Verfasser nennt
sich Griinod de la Reyniöre, sein eigentlicher Name aber war Laurent. Sein
Vater, ein Generalpächter, erstickte 1754, weil er allzu hastig einen Schnitt Gänse¬
leberpastete hinunterschlingen wollte. Der Sohn erbte vom Vater die Leidenschaft
für die Freuden der Tafel, und verband damit einen drolligen Humor, der ihn zum
allgemeinen Liebling machte. Ihm gebührt nicht blos das Verdienst, einen Ge¬
schmack für die Kochkunst verbreitet zu haben, er hat auch ihre Sprache veredelt.
Als eine Probe seines Styls wollen wir eine Stelle aus dem zweiten Bande
über die Gesundheit der Köche geben:

„Der Finger eines guten Koches sollte beständig zwischen dem Casserol und


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[0161] malischer Nullen, welche sich damals in den Antichambres der Tuilerien drängte. Einmal schickte die Stadt Genf dem Erzkanzler eine Nieseuforelle nebst der Same, deren Kosten der Nechuuugshof ans 6000 Fr. constatirte. Ein andermal erfuhr Buvuaparte, damals noch Consul, daß die Negieruugscouriere stets mit Delicatessen für verschiedene Gourmands seiner Umgebung beladen seien. Er verbot den Mi߬ brauch, aber bald erschien Ca>nbac6roh in großer Verlegenheit vor ihm, und machte ihn auf die große politische Wichtigkeit dieser Sendungen aufmerksam, da seit dem Ausbleiben dieser Delicatessen die diplomatischen Geschäfte nicht mehr recht in Gang bleiben wollten. Bnonaparte mußte sein Verbot zurücknehmen, und fand nicht Veranlassung'', deshalb unzufrieden zu sein. Wir kommen zu einer großen Epoche in der Geschichte der Kochkunst. Wir sprechen vou dem Erscheinen der ersten Nummer des ^ImanaeK des Kourmauäs zu Anfang des Jahres 1803, nach dem Zeugniß des verstorbenen Herzogs von Uork, der selbst ein Adept in der Kunst war, das angenehmste Buch, das jemals die Presse verlassen hat. Der Absatz dieses Werkes war ungeheuer: 22,000 Exemplare der ersten vier Jahre waren rasch verkauft, und später wurden mehrere neue Auflagen ausgegeben. Gastronomie wurde die Mode des Tages. Jeder sprach davon, Viele schrieben darüber. Die Kochkunst drang ans der Küche in den Laden, aus dem Laden in das Comptoir, aus dem Comptoir in die Expe¬ ditionen und Studirzimmer der Advocaten und Aerzte; vou dort in die Salons und Kabinette der Damen und Staatsmänner. Anderwärts ißt mau, um zu leben; in Frankreich schien man damals zu leben, um zu essen. 'Jeder Band des ^lumnaek clvs ^oui'miinÄs giebt einen Kalender für das laufende Jahr und eine Art gastronomischen Wegweisers zu den verschiedenen Traitenrs, Rotisseurs, Restaurateurs, Wild- und Geflügelhändlern, Fleischern, Bäckern, Delicatessenläden n. s. w. Auch die Cas6ö, Limonadiers, Glaciers, Wein- und Liquenrläden waren nicht vergessen. Die Bändchen sind meistens in einem leich¬ ten, humoristischen Style geschrieben, doch fehlt es anch nicht an Artikeln, welche sich durch Gründlichkeit und Originalität auszeichnen.' Die ersten vier sind bei weitem die besten, doch finden sich anch in Band 7., 8. und 9. Stellen, welche den besten in den früheren Jahrgängen Nichts nachgeben. Der Verfasser nennt sich Griinod de la Reyniöre, sein eigentlicher Name aber war Laurent. Sein Vater, ein Generalpächter, erstickte 1754, weil er allzu hastig einen Schnitt Gänse¬ leberpastete hinunterschlingen wollte. Der Sohn erbte vom Vater die Leidenschaft für die Freuden der Tafel, und verband damit einen drolligen Humor, der ihn zum allgemeinen Liebling machte. Ihm gebührt nicht blos das Verdienst, einen Ge¬ schmack für die Kochkunst verbreitet zu haben, er hat auch ihre Sprache veredelt. Als eine Probe seines Styls wollen wir eine Stelle aus dem zweiten Bande über die Gesundheit der Köche geben: „Der Finger eines guten Koches sollte beständig zwischen dem Casserol und

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_93364/161>, abgerufen am 22.07.2024.