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Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. I. Band.

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von Paris; und wenn man der Chronique scandalcnse jener Zeit glauben darf,
so war ihr Vater, der Regent, aus strafbareren Zwecken als aus bloßer Gour-
mandise ein Gast ihrer Tafel und ihres Boudoirs.

Die Soupers des Herzogs von Orleans, berichtet Se. Simon, wurden zu einer
Schule der Libertinage. Hatte die Stunde des Mahles geschlagen, so verbarri-
cadirten sich der Prinz und seine Genossen in den Gemächern, und mochte eine
Angelegenheit noch so wichtig, die Gefahr noch so dringend sein, es warder
strengste Befehl gegeben, seine Orgion nicht zu stören. Er sah die seltsamste Tisch¬
gesellschaft bei sich, seine Maitressen, Operntänzerinnen, oft die Herzogin von
Berry, einige Frauen von zweideutigem Rufe, und Leute, die wegen ihres Witzes
und ihrer Liederlichkeit berühmt waren. Die Tafel bot das Auserlesenste, was
Küche und Keller liefern konnten; die vergangenen und die gegenwärtigen Galan¬
terien am Hofe und in der Stadt wurden abwechselnd besprochen, und zur Würze
wurde dann und wann eine schmuzige Geschichte eingeflochten. Weder Männer
noch Frauen, weder Personen noch Sachen fanden Gnade. Güter Wein wurde
in großen Quantitäten getrunken; die Gesellschaft wurde mit jeder Minute zügel¬
loser, und wenn die sauberen Gesellen nicht mehr stehen oder sitzen konnten, ging
es zu Bette. "Mit einem Wort," sagt der planderhafte Herzog in seiner gra¬
phischen Ausdrucksweise, "der Prinz begrub sich ganz und gar in die Orgie."

Die Tochter des Regenten, die Herzogin von Berry, zeichnete sich nicht blos
dnrch ihre Galanterien, sondern auch durch ihre Feinzüngelci aus, und sie wird
von den Köchen und Gourmands vergöttert, weil die Kochkunst ihrem erfinderischen
Geiste eine große Anzahl der schönsten Recepte verdankt. Uebrigens war sie
nicht die einzige Dame, welche sich in jener Zeit um die Kochkunst verdient machte,
denn es wurde zur Modesache, ein Gericht zu erfinden. Die Med8 alö volaNW
a 1a Kcllovue erfand die Marquise von Pompadour für die Petitssoupers des
Königs im Schlosse Bellevue. Die ?ont6t8 a 1a Villero^ verdanken ihren
Ursprung der Marquise von Luxembourg, damals Herzogin von Villeroi, einer der
sinnlichsten "Gourmandes" des Hofes Ludwig's XV. Die Cliartrouso a 1a Ncm-
oonseZI stammt, von der Marquise dieses Namens, die dnrch ihren Geschmack und
ihre Galanterien gleich berühmt war. Der Vo! an vent a la wsslv ist ein Er¬
zeugnis; des Marquis de Nesle, welcher die Pairie ausschlug, um erster Marquis
vou Frankreich zu bleiben, und, die ?nu1al'ac ü 1a Noutluorcznc-i ist von dem da¬
maligen Haupte dieses uralten Hauses erfunden. hö11el,8 6<z veau a 1a Nongol-
lwr verdanken ihre" Namen ihrer ballonartigen Form, und erinnern an jene
Zeit, wo am Vorabend der Revolution die französische seine Welt für alles Neue,
vou den Luftballons bis zu der amerikanischen Freiheit, schwärmte. Die Mil,s5
bonouves a 1a Koluo haben ihren Namen von der Gemahlin Ludwig's XV., Marie
Lescynska, die Frömmigkeit und Feinschmeckerei geschickt mit einander zu verbinden
wußte, und eben so gern in die Kirche, als zu einem guten Diner ging. Die


Grenzboten. I. 19

von Paris; und wenn man der Chronique scandalcnse jener Zeit glauben darf,
so war ihr Vater, der Regent, aus strafbareren Zwecken als aus bloßer Gour-
mandise ein Gast ihrer Tafel und ihres Boudoirs.

Die Soupers des Herzogs von Orleans, berichtet Se. Simon, wurden zu einer
Schule der Libertinage. Hatte die Stunde des Mahles geschlagen, so verbarri-
cadirten sich der Prinz und seine Genossen in den Gemächern, und mochte eine
Angelegenheit noch so wichtig, die Gefahr noch so dringend sein, es warder
strengste Befehl gegeben, seine Orgion nicht zu stören. Er sah die seltsamste Tisch¬
gesellschaft bei sich, seine Maitressen, Operntänzerinnen, oft die Herzogin von
Berry, einige Frauen von zweideutigem Rufe, und Leute, die wegen ihres Witzes
und ihrer Liederlichkeit berühmt waren. Die Tafel bot das Auserlesenste, was
Küche und Keller liefern konnten; die vergangenen und die gegenwärtigen Galan¬
terien am Hofe und in der Stadt wurden abwechselnd besprochen, und zur Würze
wurde dann und wann eine schmuzige Geschichte eingeflochten. Weder Männer
noch Frauen, weder Personen noch Sachen fanden Gnade. Güter Wein wurde
in großen Quantitäten getrunken; die Gesellschaft wurde mit jeder Minute zügel¬
loser, und wenn die sauberen Gesellen nicht mehr stehen oder sitzen konnten, ging
es zu Bette. „Mit einem Wort," sagt der planderhafte Herzog in seiner gra¬
phischen Ausdrucksweise, „der Prinz begrub sich ganz und gar in die Orgie."

Die Tochter des Regenten, die Herzogin von Berry, zeichnete sich nicht blos
dnrch ihre Galanterien, sondern auch durch ihre Feinzüngelci aus, und sie wird
von den Köchen und Gourmands vergöttert, weil die Kochkunst ihrem erfinderischen
Geiste eine große Anzahl der schönsten Recepte verdankt. Uebrigens war sie
nicht die einzige Dame, welche sich in jener Zeit um die Kochkunst verdient machte,
denn es wurde zur Modesache, ein Gericht zu erfinden. Die Med8 alö volaNW
a 1a Kcllovue erfand die Marquise von Pompadour für die Petitssoupers des
Königs im Schlosse Bellevue. Die ?ont6t8 a 1a Villero^ verdanken ihren
Ursprung der Marquise von Luxembourg, damals Herzogin von Villeroi, einer der
sinnlichsten „Gourmandes" des Hofes Ludwig's XV. Die Cliartrouso a 1a Ncm-
oonseZI stammt, von der Marquise dieses Namens, die dnrch ihren Geschmack und
ihre Galanterien gleich berühmt war. Der Vo! an vent a la wsslv ist ein Er¬
zeugnis; des Marquis de Nesle, welcher die Pairie ausschlug, um erster Marquis
vou Frankreich zu bleiben, und, die ?nu1al'ac ü 1a Noutluorcznc-i ist von dem da¬
maligen Haupte dieses uralten Hauses erfunden. hö11el,8 6<z veau a 1a Nongol-
lwr verdanken ihre« Namen ihrer ballonartigen Form, und erinnern an jene
Zeit, wo am Vorabend der Revolution die französische seine Welt für alles Neue,
vou den Luftballons bis zu der amerikanischen Freiheit, schwärmte. Die Mil,s5
bonouves a 1a Koluo haben ihren Namen von der Gemahlin Ludwig's XV., Marie
Lescynska, die Frömmigkeit und Feinschmeckerei geschickt mit einander zu verbinden
wußte, und eben so gern in die Kirche, als zu einem guten Diner ging. Die


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_93364/155>, abgerufen am 22.07.2024.