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Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. I. Band.

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Geiz ab, sondern auch, nachdem die Pflanze 8 bis 10 Blätter getrieben hat, die
Spitze des Stengels, und verhindert sie so, Blüthen zu treiben. Aus diesem
Grnnde hat man fast jeden Tag jede einzelne Pflanze genau zu untersuchen, und
ihre zweckmäßige Ausbildung zu überwachen.

Eine noch langweiligere und mehr Zeit in Anspruch nehmende Arbeit ist das
Absuchen der Raupen. Diese Raupen sind ungefähr vou der bedeutenden Große
unsrer Todteukopfsraupeu, vou grüner Farbe, mit einzelnen schmalen Querstreifen.
Solche Raupe" würden allerdings leicht sichtbar sein, und ihre Aufsuchung demnach
uicht mühsam. Der Uebelstand ist aber, daß diese Unthiere schon sämmtliche
Blätter beschädigt haben würden, wenn man sie zur Ausbildung kommen ließe;
man hat sich daher mit allem Eifer auf die Aufsuchung der Eier zu legen, die
der Schmetterling einzeln auf deu unteren Seiten der Blätter absetzt. In grö¬
ßeren Tabaksplantagen läßt man dieses Geschäft durch zahme Truthühner ver¬
sehen, die freilich sehr oft durch ihre wildeu Geschwister verführt werdeu, die
Flucht zu ergreifen; solche Truthühner standen mir nicht zu Gebote, ebeu so wenig
Negerkinder, für welche diese Arbeit gerade geistreich genug ist; und daher sah
ich mich genöthigt, jeden Morgen kurz uach Sonnenaufgang, wenn das Kuh¬
melken und das Frühstück vorüber war, auf das Feld zu gehen, und die Arbeit
selbst zu verrichten. Während der Nacht fällt in Texas stets ein sehr heftiger
Thau, so daß alle Pflanzen am frühen Morgen vollständig naß sind, und daß
auf meinem Wege durch die Prairie und das Feld mein Schuhwerk eben so völlig
durchnäßt wurde. Um nicht genöthigt zu sein, mich Stunden lang mit nasser Fu߬
bekleidung ans dem Felde aufzuhalten, zog ich es vor, meine Feldarbeiten lieber
barfuß auszuführen. Wenn nun gleich die stacheligen Mimosen und andere Ge¬
wächse nicht ebeu wohlthätig auf meine Haut einwirkten, so hatte ich doch den
Vortheil errungen, daß ich für meine Gesundheit weniger besorgt zu sein brauchte,
indem die auf dem Wege naß gewordenen Füße auf dem fortwährend umgearbei¬
teten, grasfreien Tabaksfelde durch die Lust leicht getrocknet wurden. Dies war
die größte Abweichung, die ich mir von der Sitte der gebildeten Deutschen ge¬
stattete, und ich hoffe, daß dieselbe nicht wiederkehren wird.

So war ich Tabakspflauzer und Cigarreuarbeiter geworden, aber ich fühlte
mich sehr unglücklich dabei. Der Reiz, den das Naturleben im Anfange für
mich hatte, hörte mit der Zeit aus, mich zu fesseln; die Hoffnung, meine finan¬
ziellen Verhältnisse in einem möglichst kurzen Zeitraume zu verbessern, hatte ihr
lebhaft grünes Gewand gegen ein fahles, bleiches, verschossenes vertauscht; der
gesellige Verkehr war ohne geistige Anregung: ich konnte den trüben Gedanken
nicht verjagen, daß alle Mühe und Zeit, die ich auf meine geistige Ausbildung
verwandt hatte, vergebens gewesen war; daß ich vielleicht ein besserer Tabaks¬
pflanzer, ein geschickterer Cigarrenmacher sein würde, wenn ich nie Bekanntschaft
mit Wissenschaft und Kunst gemacht hätte; mit einem Worte: das machte mich


Geiz ab, sondern auch, nachdem die Pflanze 8 bis 10 Blätter getrieben hat, die
Spitze des Stengels, und verhindert sie so, Blüthen zu treiben. Aus diesem
Grnnde hat man fast jeden Tag jede einzelne Pflanze genau zu untersuchen, und
ihre zweckmäßige Ausbildung zu überwachen.

Eine noch langweiligere und mehr Zeit in Anspruch nehmende Arbeit ist das
Absuchen der Raupen. Diese Raupen sind ungefähr vou der bedeutenden Große
unsrer Todteukopfsraupeu, vou grüner Farbe, mit einzelnen schmalen Querstreifen.
Solche Raupe« würden allerdings leicht sichtbar sein, und ihre Aufsuchung demnach
uicht mühsam. Der Uebelstand ist aber, daß diese Unthiere schon sämmtliche
Blätter beschädigt haben würden, wenn man sie zur Ausbildung kommen ließe;
man hat sich daher mit allem Eifer auf die Aufsuchung der Eier zu legen, die
der Schmetterling einzeln auf deu unteren Seiten der Blätter absetzt. In grö¬
ßeren Tabaksplantagen läßt man dieses Geschäft durch zahme Truthühner ver¬
sehen, die freilich sehr oft durch ihre wildeu Geschwister verführt werdeu, die
Flucht zu ergreifen; solche Truthühner standen mir nicht zu Gebote, ebeu so wenig
Negerkinder, für welche diese Arbeit gerade geistreich genug ist; und daher sah
ich mich genöthigt, jeden Morgen kurz uach Sonnenaufgang, wenn das Kuh¬
melken und das Frühstück vorüber war, auf das Feld zu gehen, und die Arbeit
selbst zu verrichten. Während der Nacht fällt in Texas stets ein sehr heftiger
Thau, so daß alle Pflanzen am frühen Morgen vollständig naß sind, und daß
auf meinem Wege durch die Prairie und das Feld mein Schuhwerk eben so völlig
durchnäßt wurde. Um nicht genöthigt zu sein, mich Stunden lang mit nasser Fu߬
bekleidung ans dem Felde aufzuhalten, zog ich es vor, meine Feldarbeiten lieber
barfuß auszuführen. Wenn nun gleich die stacheligen Mimosen und andere Ge¬
wächse nicht ebeu wohlthätig auf meine Haut einwirkten, so hatte ich doch den
Vortheil errungen, daß ich für meine Gesundheit weniger besorgt zu sein brauchte,
indem die auf dem Wege naß gewordenen Füße auf dem fortwährend umgearbei¬
teten, grasfreien Tabaksfelde durch die Lust leicht getrocknet wurden. Dies war
die größte Abweichung, die ich mir von der Sitte der gebildeten Deutschen ge¬
stattete, und ich hoffe, daß dieselbe nicht wiederkehren wird.

So war ich Tabakspflauzer und Cigarreuarbeiter geworden, aber ich fühlte
mich sehr unglücklich dabei. Der Reiz, den das Naturleben im Anfange für
mich hatte, hörte mit der Zeit aus, mich zu fesseln; die Hoffnung, meine finan¬
ziellen Verhältnisse in einem möglichst kurzen Zeitraume zu verbessern, hatte ihr
lebhaft grünes Gewand gegen ein fahles, bleiches, verschossenes vertauscht; der
gesellige Verkehr war ohne geistige Anregung: ich konnte den trüben Gedanken
nicht verjagen, daß alle Mühe und Zeit, die ich auf meine geistige Ausbildung
verwandt hatte, vergebens gewesen war; daß ich vielleicht ein besserer Tabaks¬
pflanzer, ein geschickterer Cigarrenmacher sein würde, wenn ich nie Bekanntschaft
mit Wissenschaft und Kunst gemacht hätte; mit einem Worte: das machte mich


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[0144] Geiz ab, sondern auch, nachdem die Pflanze 8 bis 10 Blätter getrieben hat, die Spitze des Stengels, und verhindert sie so, Blüthen zu treiben. Aus diesem Grnnde hat man fast jeden Tag jede einzelne Pflanze genau zu untersuchen, und ihre zweckmäßige Ausbildung zu überwachen. Eine noch langweiligere und mehr Zeit in Anspruch nehmende Arbeit ist das Absuchen der Raupen. Diese Raupen sind ungefähr vou der bedeutenden Große unsrer Todteukopfsraupeu, vou grüner Farbe, mit einzelnen schmalen Querstreifen. Solche Raupe« würden allerdings leicht sichtbar sein, und ihre Aufsuchung demnach uicht mühsam. Der Uebelstand ist aber, daß diese Unthiere schon sämmtliche Blätter beschädigt haben würden, wenn man sie zur Ausbildung kommen ließe; man hat sich daher mit allem Eifer auf die Aufsuchung der Eier zu legen, die der Schmetterling einzeln auf deu unteren Seiten der Blätter absetzt. In grö¬ ßeren Tabaksplantagen läßt man dieses Geschäft durch zahme Truthühner ver¬ sehen, die freilich sehr oft durch ihre wildeu Geschwister verführt werdeu, die Flucht zu ergreifen; solche Truthühner standen mir nicht zu Gebote, ebeu so wenig Negerkinder, für welche diese Arbeit gerade geistreich genug ist; und daher sah ich mich genöthigt, jeden Morgen kurz uach Sonnenaufgang, wenn das Kuh¬ melken und das Frühstück vorüber war, auf das Feld zu gehen, und die Arbeit selbst zu verrichten. Während der Nacht fällt in Texas stets ein sehr heftiger Thau, so daß alle Pflanzen am frühen Morgen vollständig naß sind, und daß auf meinem Wege durch die Prairie und das Feld mein Schuhwerk eben so völlig durchnäßt wurde. Um nicht genöthigt zu sein, mich Stunden lang mit nasser Fu߬ bekleidung ans dem Felde aufzuhalten, zog ich es vor, meine Feldarbeiten lieber barfuß auszuführen. Wenn nun gleich die stacheligen Mimosen und andere Ge¬ wächse nicht ebeu wohlthätig auf meine Haut einwirkten, so hatte ich doch den Vortheil errungen, daß ich für meine Gesundheit weniger besorgt zu sein brauchte, indem die auf dem Wege naß gewordenen Füße auf dem fortwährend umgearbei¬ teten, grasfreien Tabaksfelde durch die Lust leicht getrocknet wurden. Dies war die größte Abweichung, die ich mir von der Sitte der gebildeten Deutschen ge¬ stattete, und ich hoffe, daß dieselbe nicht wiederkehren wird. So war ich Tabakspflauzer und Cigarreuarbeiter geworden, aber ich fühlte mich sehr unglücklich dabei. Der Reiz, den das Naturleben im Anfange für mich hatte, hörte mit der Zeit aus, mich zu fesseln; die Hoffnung, meine finan¬ ziellen Verhältnisse in einem möglichst kurzen Zeitraume zu verbessern, hatte ihr lebhaft grünes Gewand gegen ein fahles, bleiches, verschossenes vertauscht; der gesellige Verkehr war ohne geistige Anregung: ich konnte den trüben Gedanken nicht verjagen, daß alle Mühe und Zeit, die ich auf meine geistige Ausbildung verwandt hatte, vergebens gewesen war; daß ich vielleicht ein besserer Tabaks¬ pflanzer, ein geschickterer Cigarrenmacher sein würde, wenn ich nie Bekanntschaft mit Wissenschaft und Kunst gemacht hätte; mit einem Worte: das machte mich

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_93364/144>, abgerufen am 22.07.2024.