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Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. I. Band.

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' Hatte doch mancher von ihnen geglaubt, er mache sich durch das frühere indirecte
Votum gegen Czapka dem Herrn Minister des Innern heimlich gefällig, dein: war es
doch dieser, welcher im März 1848 als Dr. Alexander Bach dem Herrn Czavka im
Namen des Volkes die Abdankung dictirt und ihn zur Unterschrift bestimmt hatte,
und in wenig Tagen läuft Minister Bach Gefahr denselben Herrn Czavka im Namen
des Kaisers als gewählten Bürgermeister zu bestätigen. Es ist Humor in der Sache.
Schwingt nun erst Herr Czavka in der teils euruiis und in behaglichem Verein mit
dem neu ernannten Polizeidirector Weiß von Starkenfels der Zuchtstab über der Kai-
serstadt, so kann man den Ausnahmszustaud unbedenklich aufheben, die beiden Herren
sind Ausnalnnezustand genug. Daß die Wähler der Mieder, früherhin die Neichstags-
wähler des Ministers Bach, Herrn von Pillersdvrs in den Gemeinderath wählten zur
Nevressalie, mag immerhin tröstlich erscheinen, wir gönnen dem gcschmäheten, tief gebeug¬
ten Manne diese Genugthuung, aber wir übersehen darüber nicht das Tiefschucidcnde
des Contrastes, daß Pillersoorf in einer Gemeindcrathswahl Genugthuung zu suchen
hat, während bei dem trostlosen Mangel an Kapacitäten derselbe Pillcrsdorf vielleicht
der Einzige wäre, geeignet an die Spitze der Finanzleitung zu treten. Jetzt tritt er
eine neue politische Carrivre im 'Gemeinderäthe an, und dient gleichsam wieder von
der Pike auf, und doch bin ich überzeugt, man entschlösse sich weit unbedenklicher zur
Erklärung des Staatsbankerotts, als daß man Pillersdorf die Finanzen ordnen
ließe. Es soll uns gar nicht wundern, wenn nächstens das Gcmeindestatut wieder
dahin erläutert wird, daß ehemalige Minister von der Ausübung der Gemeinderath¬
schaft ausgeschlossen seien. Ist es doch sehr bequem, das Legislaturmaschinchen com-
pendiös wie eine Tiegelpresse neben sich stehen zu haben, man macht sich das Gesetz
rasch wie eine Omelette, wie es eben paßt, und läßt es daun in zehn Sprachen über¬
setzen. Es wäre dem Ministerium zu wünschen, es vermöchte eben so rasch wie seine
GelegcnheitSgesetze auch das ersehnte östreichische Gesammtbewußtsein zu Stande zu bringen.
Jüngst hat uns die stets sublime östreichische Correspondenz in einem Artikelchen gegen die
subversive Presse des Auslandes darüber belehrt, daß man an der Ergeuzung jenes Ge-
sammtbewußtseinS eben arbeite. Was waren wir doch kurzsichtig! Sahen wir doch die
Apparate seit Jahren arbeiten, hörten sie klappern und knallen, und ahnten nicht, was
eigentlich fabricirt werde. Wer hätte irgend errathen sollen, daß man, wie uns der
östreichische Correspondent ganz naiv erzählt, eben durch das Festhalten der Aus-
nahmszustäude jenes Gesammtbewußtsein zu Stande bringe! Ebenso wie man
unter der Schnee- und Eisdecke die Wintersaaten sprießen läßt? Etwa dadurch, daß man
die Völker durch den Gesammtjammer zu solidarischen Bewußtsein drängt? Zur Solida¬
rität kann man die Völker auf diesem Wege führen, ob aber zur östreichischen, mag ich
nicht entscheiden.


Von der Freyung.


Verlag von F. L. Herbig. -- Redacteure - Gustav Freytag und Julian Schmidt.
Druck von C. E. Elbert.

' Hatte doch mancher von ihnen geglaubt, er mache sich durch das frühere indirecte
Votum gegen Czapka dem Herrn Minister des Innern heimlich gefällig, dein: war es
doch dieser, welcher im März 1848 als Dr. Alexander Bach dem Herrn Czavka im
Namen des Volkes die Abdankung dictirt und ihn zur Unterschrift bestimmt hatte,
und in wenig Tagen läuft Minister Bach Gefahr denselben Herrn Czavka im Namen
des Kaisers als gewählten Bürgermeister zu bestätigen. Es ist Humor in der Sache.
Schwingt nun erst Herr Czavka in der teils euruiis und in behaglichem Verein mit
dem neu ernannten Polizeidirector Weiß von Starkenfels der Zuchtstab über der Kai-
serstadt, so kann man den Ausnahmszustaud unbedenklich aufheben, die beiden Herren
sind Ausnalnnezustand genug. Daß die Wähler der Mieder, früherhin die Neichstags-
wähler des Ministers Bach, Herrn von Pillersdvrs in den Gemeinderath wählten zur
Nevressalie, mag immerhin tröstlich erscheinen, wir gönnen dem gcschmäheten, tief gebeug¬
ten Manne diese Genugthuung, aber wir übersehen darüber nicht das Tiefschucidcnde
des Contrastes, daß Pillersoorf in einer Gemeindcrathswahl Genugthuung zu suchen
hat, während bei dem trostlosen Mangel an Kapacitäten derselbe Pillcrsdorf vielleicht
der Einzige wäre, geeignet an die Spitze der Finanzleitung zu treten. Jetzt tritt er
eine neue politische Carrivre im 'Gemeinderäthe an, und dient gleichsam wieder von
der Pike auf, und doch bin ich überzeugt, man entschlösse sich weit unbedenklicher zur
Erklärung des Staatsbankerotts, als daß man Pillersdorf die Finanzen ordnen
ließe. Es soll uns gar nicht wundern, wenn nächstens das Gcmeindestatut wieder
dahin erläutert wird, daß ehemalige Minister von der Ausübung der Gemeinderath¬
schaft ausgeschlossen seien. Ist es doch sehr bequem, das Legislaturmaschinchen com-
pendiös wie eine Tiegelpresse neben sich stehen zu haben, man macht sich das Gesetz
rasch wie eine Omelette, wie es eben paßt, und läßt es daun in zehn Sprachen über¬
setzen. Es wäre dem Ministerium zu wünschen, es vermöchte eben so rasch wie seine
GelegcnheitSgesetze auch das ersehnte östreichische Gesammtbewußtsein zu Stande zu bringen.
Jüngst hat uns die stets sublime östreichische Correspondenz in einem Artikelchen gegen die
subversive Presse des Auslandes darüber belehrt, daß man an der Ergeuzung jenes Ge-
sammtbewußtseinS eben arbeite. Was waren wir doch kurzsichtig! Sahen wir doch die
Apparate seit Jahren arbeiten, hörten sie klappern und knallen, und ahnten nicht, was
eigentlich fabricirt werde. Wer hätte irgend errathen sollen, daß man, wie uns der
östreichische Correspondent ganz naiv erzählt, eben durch das Festhalten der Aus-
nahmszustäude jenes Gesammtbewußtsein zu Stande bringe! Ebenso wie man
unter der Schnee- und Eisdecke die Wintersaaten sprießen läßt? Etwa dadurch, daß man
die Völker durch den Gesammtjammer zu solidarischen Bewußtsein drängt? Zur Solida¬
rität kann man die Völker auf diesem Wege führen, ob aber zur östreichischen, mag ich
nicht entscheiden.


Von der Freyung.


Verlag von F. L. Herbig. — Redacteure - Gustav Freytag und Julian Schmidt.
Druck von C. E. Elbert.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_345606/92>, abgerufen am 27.06.2024.