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Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. I. Band.

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Das Papstthum hat das eigene Schicksal, mit seinen Anmaßungen gerade
dann am dreistesten hervorzutreten, wenn seine wirkliche Macht am kleinsten ist.
Niemals steigerten sie sich so hoch, als ein Jahr vor dem Exil von Avignon. Und
heute, wo der Papst nur uoch durch die Gnade der französischen Republikaner
besteht, entwirft er einen vollständigen Feldzugsplan gegen die erste Macht der
Erde, das stolze Albion.

Dieses Beispiel wird unsere Legitimisten daran erinnern, daß nicht alle con-
servativen Interessen identisch sind; daß nicht in jeder beliebigen Kirche die Stütze
des Bestehenden zu suchen sei.

Die Idee ist auch so absurd, daß man sich über ihr Entstehen gar nicht
zurecht finden könnte, wenn man sich nicht daran erinnerte, daß unsere Reaction
keinen weitern Inhalt hat, als die Verneinung des Radicalismus. Weil der
Radikalismus eiuen weltbürgerlichen Charakter hatte, weil die Verbannten aller
Länder überall auf den Barricaden standen, und weil sie die Kirche ebenso befeh¬
deten, wie den Staat, glaubt die Reaction, desgleichen thun zu müssen.

Aber einmal ist der Kampf gegen die Revolution nur eine untergeordnete
Aufgabe des Staats, die seinen Begriff nicht im Mindesten erschöpft; sodann
ist das Interesse der Zerstörung wohl ein gemeinsames; die Interessen der
Erhaltung dagegen, weil sie sich aus Positives, also auf Verschiedenes stützen,
stimmen uur bis zu einem gewissen Grade zusammen. Fast wäre es geschehen,
daß die preußische Reaction sich mit der östreichischen in einen Krieg auf Tod
und Leben hätte einlassen müssen, und sobald die eigentlich materiellen Fragen
auf die Tagesordnung kommen, wird die Solidarität des blos conservativen Prin¬
cips nicht allsreichen, die widerstreitenden Interessen zu versöhnen. --

Was die Religion betrifft, so ist es in der neuesten Zeit nicht allein bei der
reactionären Partei, sondern auch bei einem Theil der Socialisten Ton geworden,
einen recht schreiend christlichen Aufputz zu tragen. Zwei vor Kurzem erschienene
Schriften: ^'en-zeixnemenl ckr ?eux>Je von Edgar Quiuet und I^sUres sur 1e
0wiLtmrii8M6 et 1e Lvewlisme, ergänzen nach dieser Richtung hin die zahlreichen
Erfahrungen, welche man schon an Lamennais"), Louis Blanc, Lamartine,



Ich behalte mir vor, noch einmal ausführlich auf diesen prötre abommablo, wie ihn
Heine nannte, zurückzukommen; ich beziehe mich hier nnr auf die Parole" <1'un oioz'fut
(133"), welche den wildesten Republicanismus mit christlicher Mystik verbinden. Das Buch
besteht ans lyrischen Gedichten in biblischer Prosa, zum Theil von großem Schwung, selbst in
der Form an Beranger erinnernd. Es fängt an: Im Namen des Vaters, des Sohnes
und des heiligen Geistes, Amen; und schließt mit den Mysterien der heiligen Dreieinigkeit.
"Sohn des Menschen, heißt es, steige auf die Höhen, und verkündige, was du siehst."
Der Sohn des Meuschen hat eine Reihe Visionen, die sich alle auf das Axiom gründe", daß
die Könige daS Reich Satans ausmachen. "Darum find die Könige und Fürsten und Alle,
welche die Welt Große nennt, verflucht, denn sie haben ihre Brüder nicht geliebt, und sie
als Feinde behandelt." Namentlich sind es sieben Schatten mit Königskronen, die sich in
den schrecklichsten Blasphemien gegen den "Gott der armen Leute" ergehen: ölaudU: soU:

Das Papstthum hat das eigene Schicksal, mit seinen Anmaßungen gerade
dann am dreistesten hervorzutreten, wenn seine wirkliche Macht am kleinsten ist.
Niemals steigerten sie sich so hoch, als ein Jahr vor dem Exil von Avignon. Und
heute, wo der Papst nur uoch durch die Gnade der französischen Republikaner
besteht, entwirft er einen vollständigen Feldzugsplan gegen die erste Macht der
Erde, das stolze Albion.

Dieses Beispiel wird unsere Legitimisten daran erinnern, daß nicht alle con-
servativen Interessen identisch sind; daß nicht in jeder beliebigen Kirche die Stütze
des Bestehenden zu suchen sei.

Die Idee ist auch so absurd, daß man sich über ihr Entstehen gar nicht
zurecht finden könnte, wenn man sich nicht daran erinnerte, daß unsere Reaction
keinen weitern Inhalt hat, als die Verneinung des Radicalismus. Weil der
Radikalismus eiuen weltbürgerlichen Charakter hatte, weil die Verbannten aller
Länder überall auf den Barricaden standen, und weil sie die Kirche ebenso befeh¬
deten, wie den Staat, glaubt die Reaction, desgleichen thun zu müssen.

Aber einmal ist der Kampf gegen die Revolution nur eine untergeordnete
Aufgabe des Staats, die seinen Begriff nicht im Mindesten erschöpft; sodann
ist das Interesse der Zerstörung wohl ein gemeinsames; die Interessen der
Erhaltung dagegen, weil sie sich aus Positives, also auf Verschiedenes stützen,
stimmen uur bis zu einem gewissen Grade zusammen. Fast wäre es geschehen,
daß die preußische Reaction sich mit der östreichischen in einen Krieg auf Tod
und Leben hätte einlassen müssen, und sobald die eigentlich materiellen Fragen
auf die Tagesordnung kommen, wird die Solidarität des blos conservativen Prin¬
cips nicht allsreichen, die widerstreitenden Interessen zu versöhnen. —

Was die Religion betrifft, so ist es in der neuesten Zeit nicht allein bei der
reactionären Partei, sondern auch bei einem Theil der Socialisten Ton geworden,
einen recht schreiend christlichen Aufputz zu tragen. Zwei vor Kurzem erschienene
Schriften: ^'en-zeixnemenl ckr ?eux>Je von Edgar Quiuet und I^sUres sur 1e
0wiLtmrii8M6 et 1e Lvewlisme, ergänzen nach dieser Richtung hin die zahlreichen
Erfahrungen, welche man schon an Lamennais"), Louis Blanc, Lamartine,



Ich behalte mir vor, noch einmal ausführlich auf diesen prötre abommablo, wie ihn
Heine nannte, zurückzukommen; ich beziehe mich hier nnr auf die Parole» <1'un oioz'fut
(133»), welche den wildesten Republicanismus mit christlicher Mystik verbinden. Das Buch
besteht ans lyrischen Gedichten in biblischer Prosa, zum Theil von großem Schwung, selbst in
der Form an Beranger erinnernd. Es fängt an: Im Namen des Vaters, des Sohnes
und des heiligen Geistes, Amen; und schließt mit den Mysterien der heiligen Dreieinigkeit.
„Sohn des Menschen, heißt es, steige auf die Höhen, und verkündige, was du siehst."
Der Sohn des Meuschen hat eine Reihe Visionen, die sich alle auf das Axiom gründe», daß
die Könige daS Reich Satans ausmachen. „Darum find die Könige und Fürsten und Alle,
welche die Welt Große nennt, verflucht, denn sie haben ihre Brüder nicht geliebt, und sie
als Feinde behandelt." Namentlich sind es sieben Schatten mit Königskronen, die sich in
den schrecklichsten Blasphemien gegen den „Gott der armen Leute" ergehen: ölaudU: soU:
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[0078] Das Papstthum hat das eigene Schicksal, mit seinen Anmaßungen gerade dann am dreistesten hervorzutreten, wenn seine wirkliche Macht am kleinsten ist. Niemals steigerten sie sich so hoch, als ein Jahr vor dem Exil von Avignon. Und heute, wo der Papst nur uoch durch die Gnade der französischen Republikaner besteht, entwirft er einen vollständigen Feldzugsplan gegen die erste Macht der Erde, das stolze Albion. Dieses Beispiel wird unsere Legitimisten daran erinnern, daß nicht alle con- servativen Interessen identisch sind; daß nicht in jeder beliebigen Kirche die Stütze des Bestehenden zu suchen sei. Die Idee ist auch so absurd, daß man sich über ihr Entstehen gar nicht zurecht finden könnte, wenn man sich nicht daran erinnerte, daß unsere Reaction keinen weitern Inhalt hat, als die Verneinung des Radicalismus. Weil der Radikalismus eiuen weltbürgerlichen Charakter hatte, weil die Verbannten aller Länder überall auf den Barricaden standen, und weil sie die Kirche ebenso befeh¬ deten, wie den Staat, glaubt die Reaction, desgleichen thun zu müssen. Aber einmal ist der Kampf gegen die Revolution nur eine untergeordnete Aufgabe des Staats, die seinen Begriff nicht im Mindesten erschöpft; sodann ist das Interesse der Zerstörung wohl ein gemeinsames; die Interessen der Erhaltung dagegen, weil sie sich aus Positives, also auf Verschiedenes stützen, stimmen uur bis zu einem gewissen Grade zusammen. Fast wäre es geschehen, daß die preußische Reaction sich mit der östreichischen in einen Krieg auf Tod und Leben hätte einlassen müssen, und sobald die eigentlich materiellen Fragen auf die Tagesordnung kommen, wird die Solidarität des blos conservativen Prin¬ cips nicht allsreichen, die widerstreitenden Interessen zu versöhnen. — Was die Religion betrifft, so ist es in der neuesten Zeit nicht allein bei der reactionären Partei, sondern auch bei einem Theil der Socialisten Ton geworden, einen recht schreiend christlichen Aufputz zu tragen. Zwei vor Kurzem erschienene Schriften: ^'en-zeixnemenl ckr ?eux>Je von Edgar Quiuet und I^sUres sur 1e 0wiLtmrii8M6 et 1e Lvewlisme, ergänzen nach dieser Richtung hin die zahlreichen Erfahrungen, welche man schon an Lamennais"), Louis Blanc, Lamartine, Ich behalte mir vor, noch einmal ausführlich auf diesen prötre abommablo, wie ihn Heine nannte, zurückzukommen; ich beziehe mich hier nnr auf die Parole» <1'un oioz'fut (133»), welche den wildesten Republicanismus mit christlicher Mystik verbinden. Das Buch besteht ans lyrischen Gedichten in biblischer Prosa, zum Theil von großem Schwung, selbst in der Form an Beranger erinnernd. Es fängt an: Im Namen des Vaters, des Sohnes und des heiligen Geistes, Amen; und schließt mit den Mysterien der heiligen Dreieinigkeit. „Sohn des Menschen, heißt es, steige auf die Höhen, und verkündige, was du siehst." Der Sohn des Meuschen hat eine Reihe Visionen, die sich alle auf das Axiom gründe», daß die Könige daS Reich Satans ausmachen. „Darum find die Könige und Fürsten und Alle, welche die Welt Große nennt, verflucht, denn sie haben ihre Brüder nicht geliebt, und sie als Feinde behandelt." Namentlich sind es sieben Schatten mit Königskronen, die sich in den schrecklichsten Blasphemien gegen den „Gott der armen Leute" ergehen: ölaudU: soU:

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_345606/78>, abgerufen am 27.06.2024.