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Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. I. Band.

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sichtbarer hervor, was wohl darin seine Ursache findet, daß jede Nachahmung
anfangs eine äußerliche ist, indem sie zunächst das Eigenthümliche, Charakteristische
des Meisters zur Manier ausbildet, nur in seltenem Falle vermag sie den Geist
wieder zu geben und einen neuen hineinzutragen. Marschneru gereicht es zur
Ehre, daß er in seinen spätern Werken sich von der fast knechtischen Nach¬
ahmung, die sich noch in seinem Vampyr findet, emancipirte, er hielt sich
später nur uoch an die Richtung im Allgemeinen, wie sie von Weber angebahnt
war, so wie denn auch in musikalischer Beziehung nur uoch die leitenden Grund¬
sätze zu erkennen sind, da er sich später selbst in einer Originalität ausbildete,
die den in Marschner'S erste Werke Uneingeweihten kaum einen Nachfolger Weber's
erkennen läßt. Am besten lassen sich für diese Behauptung zwei Opern gegenüber
stellen: der Vampyr und Haus Helling. In der ersten Oper ist jede
Note Webern entlehnt, alle Melodieführuugen sind von ihm erborgt, die Harmo-
nisirung beider ist in jedem Accorde übereinstimmend, der Periodenbau in
größern wie in kleinern Formen ist wie dnrch die Chablone nachgeahmt.

Man wird sich wundern, daß bei solchen offenbaren Schwächen diesen:
Werke doch ein ungetheilter Beifall folgen konnte; sicher ist der Erfolg
anderen ähnlichen Erscheinungen gegenüber auffällig. Ein Grund dieses
Erfolges liegt in der Kräftigkeit der Weber'scheu Musik, welche Feuer und
Leben sprüht; in ihr blüht eine so reiche Fülle von natürlichen, gesunden,
glänzenden Melodien, daß ein vielseitigeres Fortarbeiten in derselben Weise
nicht den Ueberdruß zu erregen im Stande ist, als dies in andern Schulen
nothwendig geschehen muß. Dazu kommt als Hauptsache, daß Marschuer
dem feineren Weber'scheu Elemente seine eigue große, gesunde, natürliche Kraft
beigesellte, die, so ungezähnt sie auch anfangs erschien, so oft sie sich anch in
fast widerwärtigen Aeußerungen manifestirte, doch nicht gänzlich verlebte, weil man
von dem jungen, feurigen Künstler mit Recht erwarten dürfte, daß er zu eiuer
milderen Reife gelangen würde. Und so ist es geschehen in der Oper Hans
Helling. Wir vermissen darin keinesweges die Kraft des Vampyrs, nnr ge¬
schehen die Aeußerungen derselben auf weniger excentrische und rauhe Art, dafür
siud sie desto inhaltsvoller und vom ersten Augenblick überzeugender. In dieser
Oper ist ferner die Manier des Vorbildes fast verschwunden, erkennbar ist sie
nnr Dem, welcher als musikalisch gebildet in deu veränderten Erscheinungen den
ersten Entstehungsgrund nachzuweisen vermag. Wohl hat in dieser Oper Marsch-
ner seinen Culminationspunkt erreicht. Bei vielen Mängeln des sujets ist we¬
nigstens das unverkennbare Gute darin zu finden, daß der Text eine Menge der
verschiedenartigsten Charaktere darbietet, die dem Componisten die reichste Gele¬
genheit boten, sein dramatisch-musikalisches Talent an das Licht treten zu lassen.
Die Charakteristik der einzelnen Gestalten ist die wahrste und überzeugendste, sie
kann nnr überboten werden dnrch das unerreichte Genie Mozart's. Beweise


Grenzboten. I. 1851. 7

sichtbarer hervor, was wohl darin seine Ursache findet, daß jede Nachahmung
anfangs eine äußerliche ist, indem sie zunächst das Eigenthümliche, Charakteristische
des Meisters zur Manier ausbildet, nur in seltenem Falle vermag sie den Geist
wieder zu geben und einen neuen hineinzutragen. Marschneru gereicht es zur
Ehre, daß er in seinen spätern Werken sich von der fast knechtischen Nach¬
ahmung, die sich noch in seinem Vampyr findet, emancipirte, er hielt sich
später nur uoch an die Richtung im Allgemeinen, wie sie von Weber angebahnt
war, so wie denn auch in musikalischer Beziehung nur uoch die leitenden Grund¬
sätze zu erkennen sind, da er sich später selbst in einer Originalität ausbildete,
die den in Marschner'S erste Werke Uneingeweihten kaum einen Nachfolger Weber's
erkennen läßt. Am besten lassen sich für diese Behauptung zwei Opern gegenüber
stellen: der Vampyr und Haus Helling. In der ersten Oper ist jede
Note Webern entlehnt, alle Melodieführuugen sind von ihm erborgt, die Harmo-
nisirung beider ist in jedem Accorde übereinstimmend, der Periodenbau in
größern wie in kleinern Formen ist wie dnrch die Chablone nachgeahmt.

Man wird sich wundern, daß bei solchen offenbaren Schwächen diesen:
Werke doch ein ungetheilter Beifall folgen konnte; sicher ist der Erfolg
anderen ähnlichen Erscheinungen gegenüber auffällig. Ein Grund dieses
Erfolges liegt in der Kräftigkeit der Weber'scheu Musik, welche Feuer und
Leben sprüht; in ihr blüht eine so reiche Fülle von natürlichen, gesunden,
glänzenden Melodien, daß ein vielseitigeres Fortarbeiten in derselben Weise
nicht den Ueberdruß zu erregen im Stande ist, als dies in andern Schulen
nothwendig geschehen muß. Dazu kommt als Hauptsache, daß Marschuer
dem feineren Weber'scheu Elemente seine eigue große, gesunde, natürliche Kraft
beigesellte, die, so ungezähnt sie auch anfangs erschien, so oft sie sich anch in
fast widerwärtigen Aeußerungen manifestirte, doch nicht gänzlich verlebte, weil man
von dem jungen, feurigen Künstler mit Recht erwarten dürfte, daß er zu eiuer
milderen Reife gelangen würde. Und so ist es geschehen in der Oper Hans
Helling. Wir vermissen darin keinesweges die Kraft des Vampyrs, nnr ge¬
schehen die Aeußerungen derselben auf weniger excentrische und rauhe Art, dafür
siud sie desto inhaltsvoller und vom ersten Augenblick überzeugender. In dieser
Oper ist ferner die Manier des Vorbildes fast verschwunden, erkennbar ist sie
nnr Dem, welcher als musikalisch gebildet in deu veränderten Erscheinungen den
ersten Entstehungsgrund nachzuweisen vermag. Wohl hat in dieser Oper Marsch-
ner seinen Culminationspunkt erreicht. Bei vielen Mängeln des sujets ist we¬
nigstens das unverkennbare Gute darin zu finden, daß der Text eine Menge der
verschiedenartigsten Charaktere darbietet, die dem Componisten die reichste Gele¬
genheit boten, sein dramatisch-musikalisches Talent an das Licht treten zu lassen.
Die Charakteristik der einzelnen Gestalten ist die wahrste und überzeugendste, sie
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_345606/61>, abgerufen am 27.06.2024.