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Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. I. Band.

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kommen. Graf Bertram, die eigentliche Hauptperson, hat zuerst einen langen
Monolog, in welchem er das Thema: "Ich bin weiter nichts als ein wandelnder
Leichnam, ein elender Mist, um die Erde zu düngen," bis zu einem wahrhaft
bewundernswerthen Grade des Ekels variirt. Ich habe aus dieser Scene, die
Hebbel schon früher veröffentlicht hat, in den vorigen Aufsätzen Ewiges angeführt,
muß aber bemerken, daß Bertram uicht der Einzige ist> der sich in diesen scheu߬
lichen Bildern bewegt, sondern daß die andern Personen, namentlich Julie und
ihr Vater, mit großem Erfolg darin wetteifern. Zum Theil ist dieses krankhafte
Wühlen in Leichnamen eine Verirrung des Gemüths, zum Theil aber auch gerade
schon Manier. Zwar bin ich keineswegs der Ansicht, daß das Entsetzliche nud
Abscheuliche aus der Tragödie zu verbannen sei, aber ich halte es mir nnter zwei
Bedingungen für erlaubt: einmal muß es nothwendig zur Erläuterung des poeti¬
schen Grundgedankens gehören nud denselben auch wirklich erläutern; sodann
muß auch in der Abscheulichkeit etwas sein, was uus mit ihr versöhnt, z. B. wie
stets bei Shakespeare in ähnliche"! Fällen: Energie und Kraft. Von Beiden ist hier
keine Rede. Alle diese lyrischen Leichenhansphantasien, in der Manier des Jean
Paul'scheu Lord Horiou, mit denen Bertram vor uns auftritt, geben uns kein
klares Bild vou seinem Zustand, ebenso wenig wie das bei den Byron'schen
Helden der Fall ist. Wir erfahren nnr, daß er dnrch ein lasterhaftes Leben kör¬
perlich ruinirt ist. Wenn nnn Hebbel meint, daß es in diesem Fall sittlicher sei,
dnrch ein freiwilliges Ende der Welt etwas Gutes zu erweisen, als die übrig ge¬
bliebenen Kräfte zu benutzen, um positiv etwas zu wirken, so ist das doch wohl
ein sehr handgreiflicher Irrthum. Da wir medicinisch nicht beurtheilen können,
ob seine Kräfte nicht wirtlich für irgend eine Thätigkeit ausreichen, da wir ihn,
so weit er in die Handlung des Stücks eingreift, als einen edlen, wohlwollenden
und verständigen Mann anerkennen müssen, so scheint uns der Schatten eiuer
ekelhaften Vergangenheit, wenn sie in weiter nichts bestanden hat, als in dem Leben
eines Roms, nicht dunkel genug, um eine Zukunft der Neue, Buße und Besserung
unmöglich zu macheu. Hebbel scheint das zuletzt auch selbst gefühlt zu haben;
er läßt ihn ganz ox abrupto erklären, er habe Jemand getödtet. Da uns aber
die nähern Umstände dieser Tödtung nicht einmal angedeutet werden, da es
möglicherweise ein gewöhnliches Duell gewesen sein kann, so reicht anch dies nicht
aus, ihm moralisch das Todesurtheil zu sprechen. Julia wendet sich zwar bei
dieser Erklärung entsetzt von ihm ab, aber dieses Entsetzen hat keine Berechtigung,
da sie sich von Antonio bei der viel schlimmern Erklärung, daß er ein Räuber-
hauptmann sei, nicht entsetzt abwendet, sondern, wie es ganz in der Ordnung ist,
sich zuerst erkundigt, durch welche Umstände ein Mensch von so guten Anlagen in
eine solche Verirrung gerathen sei. Daß sie diese Erkundigung bei Bertram un¬
terläßt, ist eine Härte und Willkür, die das Publicum nicht theilen darf. Ist
dagegen Bertram ein wirklicher Mörder, so lehrt ihn Carl Moor, wie man die


kommen. Graf Bertram, die eigentliche Hauptperson, hat zuerst einen langen
Monolog, in welchem er das Thema: „Ich bin weiter nichts als ein wandelnder
Leichnam, ein elender Mist, um die Erde zu düngen," bis zu einem wahrhaft
bewundernswerthen Grade des Ekels variirt. Ich habe aus dieser Scene, die
Hebbel schon früher veröffentlicht hat, in den vorigen Aufsätzen Ewiges angeführt,
muß aber bemerken, daß Bertram uicht der Einzige ist> der sich in diesen scheu߬
lichen Bildern bewegt, sondern daß die andern Personen, namentlich Julie und
ihr Vater, mit großem Erfolg darin wetteifern. Zum Theil ist dieses krankhafte
Wühlen in Leichnamen eine Verirrung des Gemüths, zum Theil aber auch gerade
schon Manier. Zwar bin ich keineswegs der Ansicht, daß das Entsetzliche nud
Abscheuliche aus der Tragödie zu verbannen sei, aber ich halte es mir nnter zwei
Bedingungen für erlaubt: einmal muß es nothwendig zur Erläuterung des poeti¬
schen Grundgedankens gehören nud denselben auch wirklich erläutern; sodann
muß auch in der Abscheulichkeit etwas sein, was uus mit ihr versöhnt, z. B. wie
stets bei Shakespeare in ähnliche»! Fällen: Energie und Kraft. Von Beiden ist hier
keine Rede. Alle diese lyrischen Leichenhansphantasien, in der Manier des Jean
Paul'scheu Lord Horiou, mit denen Bertram vor uns auftritt, geben uns kein
klares Bild vou seinem Zustand, ebenso wenig wie das bei den Byron'schen
Helden der Fall ist. Wir erfahren nnr, daß er dnrch ein lasterhaftes Leben kör¬
perlich ruinirt ist. Wenn nnn Hebbel meint, daß es in diesem Fall sittlicher sei,
dnrch ein freiwilliges Ende der Welt etwas Gutes zu erweisen, als die übrig ge¬
bliebenen Kräfte zu benutzen, um positiv etwas zu wirken, so ist das doch wohl
ein sehr handgreiflicher Irrthum. Da wir medicinisch nicht beurtheilen können,
ob seine Kräfte nicht wirtlich für irgend eine Thätigkeit ausreichen, da wir ihn,
so weit er in die Handlung des Stücks eingreift, als einen edlen, wohlwollenden
und verständigen Mann anerkennen müssen, so scheint uns der Schatten eiuer
ekelhaften Vergangenheit, wenn sie in weiter nichts bestanden hat, als in dem Leben
eines Roms, nicht dunkel genug, um eine Zukunft der Neue, Buße und Besserung
unmöglich zu macheu. Hebbel scheint das zuletzt auch selbst gefühlt zu haben;
er läßt ihn ganz ox abrupto erklären, er habe Jemand getödtet. Da uns aber
die nähern Umstände dieser Tödtung nicht einmal angedeutet werden, da es
möglicherweise ein gewöhnliches Duell gewesen sein kann, so reicht anch dies nicht
aus, ihm moralisch das Todesurtheil zu sprechen. Julia wendet sich zwar bei
dieser Erklärung entsetzt von ihm ab, aber dieses Entsetzen hat keine Berechtigung,
da sie sich von Antonio bei der viel schlimmern Erklärung, daß er ein Räuber-
hauptmann sei, nicht entsetzt abwendet, sondern, wie es ganz in der Ordnung ist,
sich zuerst erkundigt, durch welche Umstände ein Mensch von so guten Anlagen in
eine solche Verirrung gerathen sei. Daß sie diese Erkundigung bei Bertram un¬
terläßt, ist eine Härte und Willkür, die das Publicum nicht theilen darf. Ist
dagegen Bertram ein wirklicher Mörder, so lehrt ihn Carl Moor, wie man die


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_345606/513>, abgerufen am 27.06.2024.