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Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. I. Band.

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Gerberich hatte sich vom Commandanten einen Passirschein verschafft, um
einen seiner Weinberge in der Linie der ungarischen Vorposten zu besuchen. Am
Ä7. Mittags verließ er die Festung; noch denselben Abend sollte er mit einer
Antwort deö Obersten Mannla zurückkehren. Ich lehnte mich in die Fenster-
brüstung, wo ich, wenn ich das Gesicht an das Gitter legte, die Brücke übersehen
konnte, die vor dem'Belgrader Thore über den Graben führt; durch dieses Thor
mußte Gerberich Abends wieder hereinkommen. Ich war ohne Unruhe, aber auf
Alles gefaßt. Es schlug 3 Uhr, ich höre Tritte auf dem Gauge vor der Käse¬
matte; Flintenkolben werden aufgestoßen; die Thür geht auf; Kußmaneck erscheint
auf der Schwelle, ein Officier und vier Soldaten stoßen ihn in die Mitte der
Käsematte; der Officier bleibt steheu, sieht mich lange mit einem Ausdruck schlecht
verhehlten Zornes an, geht dann Hinalls und läßt mich allein mit Knßmaneck.

Wir können beide vor Bewegung anfangs uicht sprechen. Zu klagen, war
eines Mannes unwürdig; Kußmaneck schritt, die Hände auf dem Rücken, in der
Käsematte auf und ab; ich saß auf meinem Bett, voll tausend verwirrenden
Gedanken erfüllt, und sagte endlich zu Kußmaneck mit erzwungener Ruhe: "Nun,
was wird man mit uns anfangen?" -- "O, Sie wissen es ja, Kapitain,"
sagte er mit ruhigem Tone; "ehe 24 Stunden vorüber sind, werden wir
erschossen."

Ein paar Minuten später wurde er abgeholt und ich in eine andere Käse¬
matte gebracht. Ich ging den ganzen Abend in meinem Kerker ans und ab, und
suchte mich mit dem Gedanken zu beruhigen, daß ich in derselben Lage sei, wie
ein tödtlich verwundeter Officier, welcher weiß, daß er nur noch wellige Stunden
zu leben hat; währeud dieser Stunden, sagte ich, hat er mit seinem Schmerz zu
kämpfen, und ich bin jetzt uoch voller Kraft und Leben. Gegen Mitternacht
warf ich mich endlich erschöpft auf's Bett und fiel in einen tiefen Schlaf.

Am nächsten Morgen, 28. Mai, erwachte ich gegen 7 Uhr. Ich fühlte mich
voller Kraft und trat an das Fenster: es war herrliches Wetter; ich dachte, daß
die Bevölkerung der Stadt bei der Execution sein würde, und beschloß, den
Ungarn zu zeigen, mit welcher Unerschrockenheit die Soldaten des Kaisers dem
Tode entgegengehen.

Um 9 Uhr holte mich ein ungarischer Profos ab; zwei Soldaten marschirten
hinter mir. Die Straße war voller Meuscheu; mit hocherhobenen Kopfe ging
ich an diesen Gruppen vorbei. Mau führte mich in den Saal, wo das Kriegs¬
gericht saß; sieben Officiere und ein Auditeur saßen um einen Tisch; meine Angen
suchten auf ihren Gesichtern zu lesen, was für Gefühle sie belebten. Einer der
jüngern Officiere wendete deu Kops weg, als ob sein Herz im Voraus gegen das
Urtheil protestirte; die andern waren ernst und ruhig, und einige lächelten ironisch.

Der Präsident des Kriegsgerichts reichte mir das bei Gerberich gefundene
Papier hin, mit der Frage: "Haben Sie das geschrieben?" -- "Ja," sagte ich.


Gerberich hatte sich vom Commandanten einen Passirschein verschafft, um
einen seiner Weinberge in der Linie der ungarischen Vorposten zu besuchen. Am
Ä7. Mittags verließ er die Festung; noch denselben Abend sollte er mit einer
Antwort deö Obersten Mannla zurückkehren. Ich lehnte mich in die Fenster-
brüstung, wo ich, wenn ich das Gesicht an das Gitter legte, die Brücke übersehen
konnte, die vor dem'Belgrader Thore über den Graben führt; durch dieses Thor
mußte Gerberich Abends wieder hereinkommen. Ich war ohne Unruhe, aber auf
Alles gefaßt. Es schlug 3 Uhr, ich höre Tritte auf dem Gauge vor der Käse¬
matte; Flintenkolben werden aufgestoßen; die Thür geht auf; Kußmaneck erscheint
auf der Schwelle, ein Officier und vier Soldaten stoßen ihn in die Mitte der
Käsematte; der Officier bleibt steheu, sieht mich lange mit einem Ausdruck schlecht
verhehlten Zornes an, geht dann Hinalls und läßt mich allein mit Knßmaneck.

Wir können beide vor Bewegung anfangs uicht sprechen. Zu klagen, war
eines Mannes unwürdig; Kußmaneck schritt, die Hände auf dem Rücken, in der
Käsematte auf und ab; ich saß auf meinem Bett, voll tausend verwirrenden
Gedanken erfüllt, und sagte endlich zu Kußmaneck mit erzwungener Ruhe: „Nun,
was wird man mit uns anfangen?" — „O, Sie wissen es ja, Kapitain,"
sagte er mit ruhigem Tone; „ehe 24 Stunden vorüber sind, werden wir
erschossen."

Ein paar Minuten später wurde er abgeholt und ich in eine andere Käse¬
matte gebracht. Ich ging den ganzen Abend in meinem Kerker ans und ab, und
suchte mich mit dem Gedanken zu beruhigen, daß ich in derselben Lage sei, wie
ein tödtlich verwundeter Officier, welcher weiß, daß er nur noch wellige Stunden
zu leben hat; währeud dieser Stunden, sagte ich, hat er mit seinem Schmerz zu
kämpfen, und ich bin jetzt uoch voller Kraft und Leben. Gegen Mitternacht
warf ich mich endlich erschöpft auf's Bett und fiel in einen tiefen Schlaf.

Am nächsten Morgen, 28. Mai, erwachte ich gegen 7 Uhr. Ich fühlte mich
voller Kraft und trat an das Fenster: es war herrliches Wetter; ich dachte, daß
die Bevölkerung der Stadt bei der Execution sein würde, und beschloß, den
Ungarn zu zeigen, mit welcher Unerschrockenheit die Soldaten des Kaisers dem
Tode entgegengehen.

Um 9 Uhr holte mich ein ungarischer Profos ab; zwei Soldaten marschirten
hinter mir. Die Straße war voller Meuscheu; mit hocherhobenen Kopfe ging
ich an diesen Gruppen vorbei. Mau führte mich in den Saal, wo das Kriegs¬
gericht saß; sieben Officiere und ein Auditeur saßen um einen Tisch; meine Angen
suchten auf ihren Gesichtern zu lesen, was für Gefühle sie belebten. Einer der
jüngern Officiere wendete deu Kops weg, als ob sein Herz im Voraus gegen das
Urtheil protestirte; die andern waren ernst und ruhig, und einige lächelten ironisch.

Der Präsident des Kriegsgerichts reichte mir das bei Gerberich gefundene
Papier hin, mit der Frage: „Haben Sie das geschrieben?" — „Ja," sagte ich.


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[0475] Gerberich hatte sich vom Commandanten einen Passirschein verschafft, um einen seiner Weinberge in der Linie der ungarischen Vorposten zu besuchen. Am Ä7. Mittags verließ er die Festung; noch denselben Abend sollte er mit einer Antwort deö Obersten Mannla zurückkehren. Ich lehnte mich in die Fenster- brüstung, wo ich, wenn ich das Gesicht an das Gitter legte, die Brücke übersehen konnte, die vor dem'Belgrader Thore über den Graben führt; durch dieses Thor mußte Gerberich Abends wieder hereinkommen. Ich war ohne Unruhe, aber auf Alles gefaßt. Es schlug 3 Uhr, ich höre Tritte auf dem Gauge vor der Käse¬ matte; Flintenkolben werden aufgestoßen; die Thür geht auf; Kußmaneck erscheint auf der Schwelle, ein Officier und vier Soldaten stoßen ihn in die Mitte der Käsematte; der Officier bleibt steheu, sieht mich lange mit einem Ausdruck schlecht verhehlten Zornes an, geht dann Hinalls und läßt mich allein mit Knßmaneck. Wir können beide vor Bewegung anfangs uicht sprechen. Zu klagen, war eines Mannes unwürdig; Kußmaneck schritt, die Hände auf dem Rücken, in der Käsematte auf und ab; ich saß auf meinem Bett, voll tausend verwirrenden Gedanken erfüllt, und sagte endlich zu Kußmaneck mit erzwungener Ruhe: „Nun, was wird man mit uns anfangen?" — „O, Sie wissen es ja, Kapitain," sagte er mit ruhigem Tone; „ehe 24 Stunden vorüber sind, werden wir erschossen." Ein paar Minuten später wurde er abgeholt und ich in eine andere Käse¬ matte gebracht. Ich ging den ganzen Abend in meinem Kerker ans und ab, und suchte mich mit dem Gedanken zu beruhigen, daß ich in derselben Lage sei, wie ein tödtlich verwundeter Officier, welcher weiß, daß er nur noch wellige Stunden zu leben hat; währeud dieser Stunden, sagte ich, hat er mit seinem Schmerz zu kämpfen, und ich bin jetzt uoch voller Kraft und Leben. Gegen Mitternacht warf ich mich endlich erschöpft auf's Bett und fiel in einen tiefen Schlaf. Am nächsten Morgen, 28. Mai, erwachte ich gegen 7 Uhr. Ich fühlte mich voller Kraft und trat an das Fenster: es war herrliches Wetter; ich dachte, daß die Bevölkerung der Stadt bei der Execution sein würde, und beschloß, den Ungarn zu zeigen, mit welcher Unerschrockenheit die Soldaten des Kaisers dem Tode entgegengehen. Um 9 Uhr holte mich ein ungarischer Profos ab; zwei Soldaten marschirten hinter mir. Die Straße war voller Meuscheu; mit hocherhobenen Kopfe ging ich an diesen Gruppen vorbei. Mau führte mich in den Saal, wo das Kriegs¬ gericht saß; sieben Officiere und ein Auditeur saßen um einen Tisch; meine Angen suchten auf ihren Gesichtern zu lesen, was für Gefühle sie belebten. Einer der jüngern Officiere wendete deu Kops weg, als ob sein Herz im Voraus gegen das Urtheil protestirte; die andern waren ernst und ruhig, und einige lächelten ironisch. Der Präsident des Kriegsgerichts reichte mir das bei Gerberich gefundene Papier hin, mit der Frage: „Haben Sie das geschrieben?" — „Ja," sagte ich.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_345606/475>, abgerufen am 28.06.2024.