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Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. I. Band.

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treiber" erschien in ihnen in poetischem Glanz und Adel, daß anch die Unver¬
besserlichen nachgiebiger wurden und die Concession machten, daß man in der
Vulgärsprache immerhin dichten könne, wenn sie anch für eine wissenschaftliche
Literatur nicht passe -- endlich ließ man auch diese Einwendung fallen, und das
Vulgarserbische ward die anerkannte Literalursvrache.

Den ersten Anlauf nahm die serbische Kunstliteratur in der Poesie; Bischof
Muschilzki, deu meine Landsleute mit Klopstock vergleichen und dem Deutschen
vollkommen ebenbürtig halten, schrieb zuerst selbst "sloweno-serbisch", aber der
Geist, der die Schöpfungen dieses gescheuten und kaum noch genügend gewürdigten
Mannes durchweht, gehört der neuen Zeit an, deren Recht Muschilzki gegen
Eiferer für das unhaltbare Alte stets entschieden in Schutz nahm.

Neben Muschilzki erschien als nationaler Dichter Siena Milutinowisch,
eine rohe aber gewaltige Natur, Poet von Gottes Gnaden ohne Schliff oder
fremde Zuthat, rauh wie seine heimathlichen Berge, dabei aber von einem feinen
und richtigen Gefühle, welches man hinter den Formen des Mannes nicht gesucht
hätte. Er schuf sich selbst seine ästhetischen Grundsätze, welche freilich oft genug
an den deutschen Grabbe erinnern; sein Ausdruck ist markig und charakteristisch,
er wußte die Volkssprache mit ihren tausendfältigen, wunderbaren Nuancen mir
unerreichbarer Meisterschaft zu behandeln. Seine Tragödie "Obilitsch", deren
Sujet der Untergang deö serbisch-christlichen Reiches uuter Zaar Lasar (1389)
ist, gilt für deö Milutiuowitsch bestes Werk, obwohl er sie in 8 Tagen schuf --
es ist durch und durch originell und drückt den politischen Schmerz des Volkes
in würdigen und hinreißenden lyrischen Ergüssen aus: es ist nicht übertrieben,
wenn mau in diesen Partien einen Shakespcareschen Geist erkennen will, und
ich könnte einige Stellen attführeu, welche zu dem Schönsten und Vollendetsten
gehören, was die gesammte dramatische Literatur neuerer Völker auszuweisen hat.
Ein zweites Drama ,MraäM^e", die Wiedergeburt seines Volkes feiernd, hat
Milntinowitsch im Manuscripte, aber vollendet, hinterlassen; es ist noch nicht ge¬
druckt. Bei dem im December 1847 erfolgten Tod deö Dichters gab das Volk
dnrch seine Trauer ein vollgültiges Zeugniß, daß es ihn kannte und liebte, wie
anch er das Volk verstanden hat.

In jüngster Zeit ist der Wladyka von Montenegro, Peter Petrowitsch
Njegnsch, auch als dramatischer Dichter aufgetreten Obwohl er die deutsche,
italienische und französische Literatur keimt, siudet mau in seinen beideu Dramen
"LorsKi VMue" und "Seepsn UMbeide der zruogorer^) Geschichte entnom-
men, keine störenden Reminiscenzen im Plane uoch in der Ausführung: sie sind
volksthümlich und Zeugen eiues bedeutenden Dichtertalentes. Da bei uns auf



*) d. h. der Geschichte von Montenegro: ^rnoxor", Schwarzberg ist der slavische Name
deö Landes, d. N.
Grenzvotcn. i. 185,1. 53

treiber" erschien in ihnen in poetischem Glanz und Adel, daß anch die Unver¬
besserlichen nachgiebiger wurden und die Concession machten, daß man in der
Vulgärsprache immerhin dichten könne, wenn sie anch für eine wissenschaftliche
Literatur nicht passe — endlich ließ man auch diese Einwendung fallen, und das
Vulgarserbische ward die anerkannte Literalursvrache.

Den ersten Anlauf nahm die serbische Kunstliteratur in der Poesie; Bischof
Muschilzki, deu meine Landsleute mit Klopstock vergleichen und dem Deutschen
vollkommen ebenbürtig halten, schrieb zuerst selbst „sloweno-serbisch", aber der
Geist, der die Schöpfungen dieses gescheuten und kaum noch genügend gewürdigten
Mannes durchweht, gehört der neuen Zeit an, deren Recht Muschilzki gegen
Eiferer für das unhaltbare Alte stets entschieden in Schutz nahm.

Neben Muschilzki erschien als nationaler Dichter Siena Milutinowisch,
eine rohe aber gewaltige Natur, Poet von Gottes Gnaden ohne Schliff oder
fremde Zuthat, rauh wie seine heimathlichen Berge, dabei aber von einem feinen
und richtigen Gefühle, welches man hinter den Formen des Mannes nicht gesucht
hätte. Er schuf sich selbst seine ästhetischen Grundsätze, welche freilich oft genug
an den deutschen Grabbe erinnern; sein Ausdruck ist markig und charakteristisch,
er wußte die Volkssprache mit ihren tausendfältigen, wunderbaren Nuancen mir
unerreichbarer Meisterschaft zu behandeln. Seine Tragödie „Obilitsch", deren
Sujet der Untergang deö serbisch-christlichen Reiches uuter Zaar Lasar (1389)
ist, gilt für deö Milutiuowitsch bestes Werk, obwohl er sie in 8 Tagen schuf —
es ist durch und durch originell und drückt den politischen Schmerz des Volkes
in würdigen und hinreißenden lyrischen Ergüssen aus: es ist nicht übertrieben,
wenn mau in diesen Partien einen Shakespcareschen Geist erkennen will, und
ich könnte einige Stellen attführeu, welche zu dem Schönsten und Vollendetsten
gehören, was die gesammte dramatische Literatur neuerer Völker auszuweisen hat.
Ein zweites Drama ,MraäM^e", die Wiedergeburt seines Volkes feiernd, hat
Milntinowitsch im Manuscripte, aber vollendet, hinterlassen; es ist noch nicht ge¬
druckt. Bei dem im December 1847 erfolgten Tod deö Dichters gab das Volk
dnrch seine Trauer ein vollgültiges Zeugniß, daß es ihn kannte und liebte, wie
anch er das Volk verstanden hat.

In jüngster Zeit ist der Wladyka von Montenegro, Peter Petrowitsch
Njegnsch, auch als dramatischer Dichter aufgetreten Obwohl er die deutsche,
italienische und französische Literatur keimt, siudet mau in seinen beideu Dramen
„LorsKi VMue" und „Seepsn UMbeide der zruogorer^) Geschichte entnom-
men, keine störenden Reminiscenzen im Plane uoch in der Ausführung: sie sind
volksthümlich und Zeugen eiues bedeutenden Dichtertalentes. Da bei uns auf



*) d. h. der Geschichte von Montenegro: ^rnoxor», Schwarzberg ist der slavische Name
deö Landes, d. N.
Grenzvotcn. i. 185,1. 53
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[0429] treiber" erschien in ihnen in poetischem Glanz und Adel, daß anch die Unver¬ besserlichen nachgiebiger wurden und die Concession machten, daß man in der Vulgärsprache immerhin dichten könne, wenn sie anch für eine wissenschaftliche Literatur nicht passe — endlich ließ man auch diese Einwendung fallen, und das Vulgarserbische ward die anerkannte Literalursvrache. Den ersten Anlauf nahm die serbische Kunstliteratur in der Poesie; Bischof Muschilzki, deu meine Landsleute mit Klopstock vergleichen und dem Deutschen vollkommen ebenbürtig halten, schrieb zuerst selbst „sloweno-serbisch", aber der Geist, der die Schöpfungen dieses gescheuten und kaum noch genügend gewürdigten Mannes durchweht, gehört der neuen Zeit an, deren Recht Muschilzki gegen Eiferer für das unhaltbare Alte stets entschieden in Schutz nahm. Neben Muschilzki erschien als nationaler Dichter Siena Milutinowisch, eine rohe aber gewaltige Natur, Poet von Gottes Gnaden ohne Schliff oder fremde Zuthat, rauh wie seine heimathlichen Berge, dabei aber von einem feinen und richtigen Gefühle, welches man hinter den Formen des Mannes nicht gesucht hätte. Er schuf sich selbst seine ästhetischen Grundsätze, welche freilich oft genug an den deutschen Grabbe erinnern; sein Ausdruck ist markig und charakteristisch, er wußte die Volkssprache mit ihren tausendfältigen, wunderbaren Nuancen mir unerreichbarer Meisterschaft zu behandeln. Seine Tragödie „Obilitsch", deren Sujet der Untergang deö serbisch-christlichen Reiches uuter Zaar Lasar (1389) ist, gilt für deö Milutiuowitsch bestes Werk, obwohl er sie in 8 Tagen schuf — es ist durch und durch originell und drückt den politischen Schmerz des Volkes in würdigen und hinreißenden lyrischen Ergüssen aus: es ist nicht übertrieben, wenn mau in diesen Partien einen Shakespcareschen Geist erkennen will, und ich könnte einige Stellen attführeu, welche zu dem Schönsten und Vollendetsten gehören, was die gesammte dramatische Literatur neuerer Völker auszuweisen hat. Ein zweites Drama ,MraäM^e", die Wiedergeburt seines Volkes feiernd, hat Milntinowitsch im Manuscripte, aber vollendet, hinterlassen; es ist noch nicht ge¬ druckt. Bei dem im December 1847 erfolgten Tod deö Dichters gab das Volk dnrch seine Trauer ein vollgültiges Zeugniß, daß es ihn kannte und liebte, wie anch er das Volk verstanden hat. In jüngster Zeit ist der Wladyka von Montenegro, Peter Petrowitsch Njegnsch, auch als dramatischer Dichter aufgetreten Obwohl er die deutsche, italienische und französische Literatur keimt, siudet mau in seinen beideu Dramen „LorsKi VMue" und „Seepsn UMbeide der zruogorer^) Geschichte entnom- men, keine störenden Reminiscenzen im Plane uoch in der Ausführung: sie sind volksthümlich und Zeugen eiues bedeutenden Dichtertalentes. Da bei uns auf *) d. h. der Geschichte von Montenegro: ^rnoxor», Schwarzberg ist der slavische Name deö Landes, d. N. Grenzvotcn. i. 185,1. 53

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_345606/429>, abgerufen am 24.07.2024.