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Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. I. Band.

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Georges Sand.
in.

In der Mitte der socialistischen Romane, die ich im Vorigen charakterisirt
habe, stehen zwei, welche sich an die frühere Tendenz Georges Sand's anschließen:
Jsidora und Lucrezia Floriani. -- Der erste enthält eine würdigere und ernster
gehaltene Gegenüberstellung der Courtisane und der tugendhaften Frau, als in
den frühern Versuchen der Fall war; beide sind ideal ausgeführt, und die Härte
des Gegensatzes wird dnrch eine sehr erquickliche Humanität gemildert. Die
Buhlerin erkennt in ihrer eigenen Achtung vor der edlen Frau sowohl die Nich¬
tigkeit ihres frühern Lebens, als die Fähigkeit einer Besserung; sie weiß aber die
letztere mit der Heiterkeit einer ursprünglich freien Natur zu vollziehen, während
sonst die Moralisten bei der Gelegenheit gewöhnlich in sehr ermüdende Um- und
Bußpredigten verfallen. Neu und nicht ohne Interesse ist das Bestreben Jsido-
rens, in einem speciellen Fall aus inneren Bedürfniß die Maske einer tugend¬
haften Frau anzulegen und eine reine Liebe einzuflößen und zu empfinden. Daß
sie in diesem Bestreben, welches sie anfangs unendlich glücklich macht, scheitern
muß, und daß sich dieses bittere Gefühl über ihr ganzes späteres Leben breitet,
ist die einzige Strafe ihrer Schuld. Alice, die Tugendhafte, ist vielleicht der
reinste Charakter, den Georges Sand gezeichnet hat, und nicht im entferntesten
eine empfindsame Tngendabstraction. Der Geliebte beider Frauen, Jacques Lau¬
rent, unterscheidet sich nicht wesentlich von den übrigen unstäten Idealisten unserer
Dichterin, die trotz ihrer weiten Blicke zu keinem festen Halt kommen, bis sie
ihn endlich in der gefunden Natur eines tüchtigen Weibes finden. -- In der
Lucrezia Floriani ist jenes Ideal der unendlichen Aufopferung, welche die spätere
Periode Georges Saud's bezeichnet, auf die Spitze getrieben. Lucrezia, eine
berühmte Schauspielerin, hat eine Reihe von Liebesverhältnissen, die zwar nicht
die äußerliche Weihe des Sacraments, aber wenigstens eine Art von sittlichem
Inhalt haben. In allen diesen Verhältnissen opfert sie sich auf und wird betro¬
gen, ohne dadurch gebrochen zu werden; sie erzieht vielmehr ihre Kinder vor¬
trefflich, sorgt für ihren Vater, einen alten Fischer, dessen harte, wunderliche
Gestalt sehr gut gezeichnet ist, mit rührender Pietät, bleibt mit den Vätern ihrer
Kinder, wenn sie sie anch nicht mehr achten kann, in freundschaftlichem Verhältniß
und erträgt die Lästerungen der Welt mit der Sicherheit eines selbstständigen
Charakters. Zuletzt kommt sie doch in ein Verhältniß, in dem sie untergeht.
Der Prinz Carl Noswald, einer jener abstracten Idealisten, die in einem inten-


Grenzvoten. I. 1851. 52
Georges Sand.
in.

In der Mitte der socialistischen Romane, die ich im Vorigen charakterisirt
habe, stehen zwei, welche sich an die frühere Tendenz Georges Sand's anschließen:
Jsidora und Lucrezia Floriani. — Der erste enthält eine würdigere und ernster
gehaltene Gegenüberstellung der Courtisane und der tugendhaften Frau, als in
den frühern Versuchen der Fall war; beide sind ideal ausgeführt, und die Härte
des Gegensatzes wird dnrch eine sehr erquickliche Humanität gemildert. Die
Buhlerin erkennt in ihrer eigenen Achtung vor der edlen Frau sowohl die Nich¬
tigkeit ihres frühern Lebens, als die Fähigkeit einer Besserung; sie weiß aber die
letztere mit der Heiterkeit einer ursprünglich freien Natur zu vollziehen, während
sonst die Moralisten bei der Gelegenheit gewöhnlich in sehr ermüdende Um- und
Bußpredigten verfallen. Neu und nicht ohne Interesse ist das Bestreben Jsido-
rens, in einem speciellen Fall aus inneren Bedürfniß die Maske einer tugend¬
haften Frau anzulegen und eine reine Liebe einzuflößen und zu empfinden. Daß
sie in diesem Bestreben, welches sie anfangs unendlich glücklich macht, scheitern
muß, und daß sich dieses bittere Gefühl über ihr ganzes späteres Leben breitet,
ist die einzige Strafe ihrer Schuld. Alice, die Tugendhafte, ist vielleicht der
reinste Charakter, den Georges Sand gezeichnet hat, und nicht im entferntesten
eine empfindsame Tngendabstraction. Der Geliebte beider Frauen, Jacques Lau¬
rent, unterscheidet sich nicht wesentlich von den übrigen unstäten Idealisten unserer
Dichterin, die trotz ihrer weiten Blicke zu keinem festen Halt kommen, bis sie
ihn endlich in der gefunden Natur eines tüchtigen Weibes finden. — In der
Lucrezia Floriani ist jenes Ideal der unendlichen Aufopferung, welche die spätere
Periode Georges Saud's bezeichnet, auf die Spitze getrieben. Lucrezia, eine
berühmte Schauspielerin, hat eine Reihe von Liebesverhältnissen, die zwar nicht
die äußerliche Weihe des Sacraments, aber wenigstens eine Art von sittlichem
Inhalt haben. In allen diesen Verhältnissen opfert sie sich auf und wird betro¬
gen, ohne dadurch gebrochen zu werden; sie erzieht vielmehr ihre Kinder vor¬
trefflich, sorgt für ihren Vater, einen alten Fischer, dessen harte, wunderliche
Gestalt sehr gut gezeichnet ist, mit rührender Pietät, bleibt mit den Vätern ihrer
Kinder, wenn sie sie anch nicht mehr achten kann, in freundschaftlichem Verhältniß
und erträgt die Lästerungen der Welt mit der Sicherheit eines selbstständigen
Charakters. Zuletzt kommt sie doch in ein Verhältniß, in dem sie untergeht.
Der Prinz Carl Noswald, einer jener abstracten Idealisten, die in einem inten-


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[0421] Georges Sand. in. In der Mitte der socialistischen Romane, die ich im Vorigen charakterisirt habe, stehen zwei, welche sich an die frühere Tendenz Georges Sand's anschließen: Jsidora und Lucrezia Floriani. — Der erste enthält eine würdigere und ernster gehaltene Gegenüberstellung der Courtisane und der tugendhaften Frau, als in den frühern Versuchen der Fall war; beide sind ideal ausgeführt, und die Härte des Gegensatzes wird dnrch eine sehr erquickliche Humanität gemildert. Die Buhlerin erkennt in ihrer eigenen Achtung vor der edlen Frau sowohl die Nich¬ tigkeit ihres frühern Lebens, als die Fähigkeit einer Besserung; sie weiß aber die letztere mit der Heiterkeit einer ursprünglich freien Natur zu vollziehen, während sonst die Moralisten bei der Gelegenheit gewöhnlich in sehr ermüdende Um- und Bußpredigten verfallen. Neu und nicht ohne Interesse ist das Bestreben Jsido- rens, in einem speciellen Fall aus inneren Bedürfniß die Maske einer tugend¬ haften Frau anzulegen und eine reine Liebe einzuflößen und zu empfinden. Daß sie in diesem Bestreben, welches sie anfangs unendlich glücklich macht, scheitern muß, und daß sich dieses bittere Gefühl über ihr ganzes späteres Leben breitet, ist die einzige Strafe ihrer Schuld. Alice, die Tugendhafte, ist vielleicht der reinste Charakter, den Georges Sand gezeichnet hat, und nicht im entferntesten eine empfindsame Tngendabstraction. Der Geliebte beider Frauen, Jacques Lau¬ rent, unterscheidet sich nicht wesentlich von den übrigen unstäten Idealisten unserer Dichterin, die trotz ihrer weiten Blicke zu keinem festen Halt kommen, bis sie ihn endlich in der gefunden Natur eines tüchtigen Weibes finden. — In der Lucrezia Floriani ist jenes Ideal der unendlichen Aufopferung, welche die spätere Periode Georges Saud's bezeichnet, auf die Spitze getrieben. Lucrezia, eine berühmte Schauspielerin, hat eine Reihe von Liebesverhältnissen, die zwar nicht die äußerliche Weihe des Sacraments, aber wenigstens eine Art von sittlichem Inhalt haben. In allen diesen Verhältnissen opfert sie sich auf und wird betro¬ gen, ohne dadurch gebrochen zu werden; sie erzieht vielmehr ihre Kinder vor¬ trefflich, sorgt für ihren Vater, einen alten Fischer, dessen harte, wunderliche Gestalt sehr gut gezeichnet ist, mit rührender Pietät, bleibt mit den Vätern ihrer Kinder, wenn sie sie anch nicht mehr achten kann, in freundschaftlichem Verhältniß und erträgt die Lästerungen der Welt mit der Sicherheit eines selbstständigen Charakters. Zuletzt kommt sie doch in ein Verhältniß, in dem sie untergeht. Der Prinz Carl Noswald, einer jener abstracten Idealisten, die in einem inten- Grenzvoten. I. 1851. 52

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_345606/421>, abgerufen am 28.06.2024.