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Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. I. Band.

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Treiben nicht energischer entgegentrat, und daß er zweitens die herrlichen Kräfte
des Orchesters nicht besser benutzte. In der That, vorzügliche Kräfte waren ver¬
einigt: ein Orchester aus 87 Mitgliedern, reich an den vortrefflichsten Künstlern,
viele Deutsche unter ihnen. Was diese in Deutschland gelernt hatten, haben sie
noch uicht vergessen, aber der Geist ist entwichen, die Rücksicht auf Gelderwerb
hat ihre Begeisterung, ihre Energie gebrochen, sie wissen, daß das englische
Publicum wenig versteht; wozu unnütze Anstrengung? Wird doch der Körper
müde genug durch Stundengeben, durch die lauge einträgliche Arbeit des Tages;
warum soll man sich durch eine Beethoven'sche Symphonie unnöthiger Weise in
Athem und Aufregung bringen? Der Beifall bleibt ohnehin nicht ans. Denn
der Engländer respectirt deu Namen Beethoven, weil die Deutschen ihn respecti-
ren; er respectirt das Orchester, das er bezahlt und das ihm von seinen bedeu¬
tendsten Autoritäten als tüchtig gerühmt wivd, denn er weiß, daß er besser
bezahlen kann, als alle andere Völker, und den einmal geltenden Autoritäten
folgt er blindlings. Der Erfolg ist also sicher und das weitere Kuuststreben
überflüssig. Der Musiker fwdet kein krittelndes Publicum, das ihn zwingt, zu immer
höherer Vollendung seiue Kräfte anzuspannen; keine Künstler, die, vom Feuer der
Kunst entzündet, auch ihn in ihr unbequemes Streben hineinziehen; sein Geist
ruht, sein Beutel füllt sich. -- Und B^lfe schwimmt mit dem allgemeinen Strom.
Er läßt es gehen, wie es eben geht, hält seine Proben ab, die so über's Knie
gebrochen werden, daß sie den Namen einer Probe nicht verdienen, ist wenig be¬
sorgt darüber, ob er den Geist der classischen Compositionen, die er ebeu dirigirt,
erfaßt oder nicht, und genießt das Leben, so gut als es ein französirter Engländer
genießen kaun.

Der zweite Componist, den ich oben erwähnte, ist Macfarren. Von ihm
hörte ich eine sogenannte Serenata, d. h. Concertoper: der erwachte Schläfer.
D^e Oper währt über zwei Stunden; der Chor tritt ziemlich zurück, das ganze
Sujet spielt zwischen drei Personen. So ist schon die änßere Anlage einschlä¬
fernd. Die matte und durchaus uicht originelle Haltung des Ganzen ver-
mehrt diesen Uebelstand. DaS< Publicum blieb auch sichtlich kalt und wäre
wahrscheinlich ganz regungslos gewesen, wenn der Componist nicht ein Britte
wäre; denn das englische Publicum, höflich und dankbar, erweist jedem Ein¬
heimischen, der irgend etwas zu leisten im Staude ist, besondere Anerkennung.
Die Presse wetteiferte in Enthusiasmus für die neueste Schöpfung des englischen
Genius. Einige Recensenten gingen so weit, in Macfarreu's Auftrete" eine neue
Aera für die Opernmusik zu begrüßen. Der ungeheure Fortschritt sollte darin be¬
stehen, daß Recitativ und Arie nicht mehr in starrem Gegensatz zu einander Du¬
den, sondern das Ganze in einem mehr gleichmäßigen Fluß sich fortbewege und
der Gegensatz der Formen vermittelt werde. Neues ist daran nicht, denn in


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Treiben nicht energischer entgegentrat, und daß er zweitens die herrlichen Kräfte
des Orchesters nicht besser benutzte. In der That, vorzügliche Kräfte waren ver¬
einigt: ein Orchester aus 87 Mitgliedern, reich an den vortrefflichsten Künstlern,
viele Deutsche unter ihnen. Was diese in Deutschland gelernt hatten, haben sie
noch uicht vergessen, aber der Geist ist entwichen, die Rücksicht auf Gelderwerb
hat ihre Begeisterung, ihre Energie gebrochen, sie wissen, daß das englische
Publicum wenig versteht; wozu unnütze Anstrengung? Wird doch der Körper
müde genug durch Stundengeben, durch die lauge einträgliche Arbeit des Tages;
warum soll man sich durch eine Beethoven'sche Symphonie unnöthiger Weise in
Athem und Aufregung bringen? Der Beifall bleibt ohnehin nicht ans. Denn
der Engländer respectirt deu Namen Beethoven, weil die Deutschen ihn respecti-
ren; er respectirt das Orchester, das er bezahlt und das ihm von seinen bedeu¬
tendsten Autoritäten als tüchtig gerühmt wivd, denn er weiß, daß er besser
bezahlen kann, als alle andere Völker, und den einmal geltenden Autoritäten
folgt er blindlings. Der Erfolg ist also sicher und das weitere Kuuststreben
überflüssig. Der Musiker fwdet kein krittelndes Publicum, das ihn zwingt, zu immer
höherer Vollendung seiue Kräfte anzuspannen; keine Künstler, die, vom Feuer der
Kunst entzündet, auch ihn in ihr unbequemes Streben hineinziehen; sein Geist
ruht, sein Beutel füllt sich. — Und B^lfe schwimmt mit dem allgemeinen Strom.
Er läßt es gehen, wie es eben geht, hält seine Proben ab, die so über's Knie
gebrochen werden, daß sie den Namen einer Probe nicht verdienen, ist wenig be¬
sorgt darüber, ob er den Geist der classischen Compositionen, die er ebeu dirigirt,
erfaßt oder nicht, und genießt das Leben, so gut als es ein französirter Engländer
genießen kaun.

Der zweite Componist, den ich oben erwähnte, ist Macfarren. Von ihm
hörte ich eine sogenannte Serenata, d. h. Concertoper: der erwachte Schläfer.
D^e Oper währt über zwei Stunden; der Chor tritt ziemlich zurück, das ganze
Sujet spielt zwischen drei Personen. So ist schon die änßere Anlage einschlä¬
fernd. Die matte und durchaus uicht originelle Haltung des Ganzen ver-
mehrt diesen Uebelstand. DaS< Publicum blieb auch sichtlich kalt und wäre
wahrscheinlich ganz regungslos gewesen, wenn der Componist nicht ein Britte
wäre; denn das englische Publicum, höflich und dankbar, erweist jedem Ein¬
heimischen, der irgend etwas zu leisten im Staude ist, besondere Anerkennung.
Die Presse wetteiferte in Enthusiasmus für die neueste Schöpfung des englischen
Genius. Einige Recensenten gingen so weit, in Macfarreu's Auftrete» eine neue
Aera für die Opernmusik zu begrüßen. Der ungeheure Fortschritt sollte darin be¬
stehen, daß Recitativ und Arie nicht mehr in starrem Gegensatz zu einander Du¬
den, sondern das Ganze in einem mehr gleichmäßigen Fluß sich fortbewege und
der Gegensatz der Formen vermittelt werde. Neues ist daran nicht, denn in


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_345606/40>, abgerufen am 20.06.2024.