Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. I. Band.interessante Figur, die seitdem häufig wiederkehrt, ist der Typus des Volks, wel¬ Die beiden folgenden Novellen, Pauline und Horace, schließen sich wür¬ interessante Figur, die seitdem häufig wiederkehrt, ist der Typus des Volks, wel¬ Die beiden folgenden Novellen, Pauline und Horace, schließen sich wür¬ <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0386" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/92124"/> <p xml:id="ID_1187" prev="#ID_1186"> interessante Figur, die seitdem häufig wiederkehrt, ist der Typus des Volks, wel¬<lb/> chem die Herrschaft der künftigen Jahrhunderte bestimmt ist: der Bauer Patience,<lb/> der als Eremit lebt, in prophetischen Gesichten die Zukunft des Menschenge¬<lb/> schlechts schaut und den stolzen Aristokraten so wie der herzlosen, in ihre selbst¬<lb/> süchtigen Interessen verstrickten Bourgeoisie als Warnungsstimme die kommende<lb/> Revolution verkündet. Eine symbolische Figur, die keine individuelle Wahr¬<lb/> heit hat.</p><lb/> <p xml:id="ID_1188" next="#ID_1189"> Die beiden folgenden Novellen, Pauline und Horace, schließen sich wür¬<lb/> dig dem Andr<z an; sie gehören zu dem Besten, was Georges Sand geschrieben<lb/> hat. Die erste stellt den schon mehrfach berührten Gegensatz zwischen der freien<lb/> gesunden Natur dar, die sich auch in deu mißlichsten Verhältnisse!: eine sittliche<lb/> Stellung zu bewahren weiß, und der reflectirten Tugend, welche in der Pflicht<lb/> nichts Anderes sieht, als ein Mittel sich selber anzubeten. Die Feinheit in der<lb/> psychologischen Darstellung beider Charaktere, der Schauspielerin Laurence und<lb/> der tugendhaften Pauline, ist bewundernswürdig. Die Erste ist so edel, daß<lb/> man durch einzelne Spuren menschlicher Schwäche ordentlich beruhigt wird, z. B.<lb/> als sie einmal in der Leidenschaft alles Geräth, das sich im Zimmer befindet,<lb/> kurz und klein schlägt. Die Wendungen im Charakter Paulinens, von der<lb/> kalten resignirten Pflichterfüllung an, bis zu ihrem Fall, der wiederum den<lb/> Anstrich der Tugend annimmt, weil sie sich einredet, es zieme einer großen<lb/> Seele, dem Mann, den sie liebt, sich unbedingt aufzuopfern, sind mit einer hin¬<lb/> reißenden Wahrheit dargestellt. Beide Charaktere kann man als den glücklichen<lb/> Versuch betrachten, frühere Probleme, die der Dichterin noch unklar geblieben<lb/> waren, in ihr rechtes Licht zu setzen. Am bewundernswürdigsten ist die feine<lb/> Detailmalerei, die sich ans die Umgebung der beiden Gruppen bezieht; ohne den<lb/> Humor eiues Dickens versteht es die Dichterin doch, nicht nnr ein sprechendes<lb/> und lebendiges Bild aller Einzelheiten zu geben, sondern dieselben auch in der¬<lb/> jenigen Stimmung aufzufassen, die der Natur der augenblicklichen Handlung ent-<lb/> spricht. So ist der eitle Egoist, welcher Pauline verführt, uicht ein bloßer Ab¬<lb/> klatsch der frühern Bilder von ähnlichem Inhalt, sondern ein günstiges Zeugniß<lb/> für die neuen Erfahrungen und die Weltklugheit, welche Georges Sand mittler¬<lb/> weile gewonnen hat. Sie weiß es sehr gut, besser als zur Zeit des Leone<lb/> Leoni, daß viele Menschen unserer Epoche für Denker und Dichter gehalten<lb/> werden, bloß weil sie hohle Angen und vor der Zeit eine kahle Stirne haben,<lb/> daß der Ausdruck von Poesie und Größe, den manche Weiber an der Stirn eines<lb/> jungen Mannes bewundern, nichts anzeigt, als die Spuren früher Ausschweifung,<lb/> und daß man nur zu geneigt ist, Krankheit für Genialität zu nehmen. — Auch<lb/> Horace enthält eigentlich nur die gründlichere Ausführung früher schon vorhan¬<lb/> dener Anlagen, den Gegensatz nämlich zwischen dem angeblichen Genie, welches<lb/> sich in der unthätigen Selbstanschauung eines hohlen Egoismus befriedigt, und</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0386]
interessante Figur, die seitdem häufig wiederkehrt, ist der Typus des Volks, wel¬
chem die Herrschaft der künftigen Jahrhunderte bestimmt ist: der Bauer Patience,
der als Eremit lebt, in prophetischen Gesichten die Zukunft des Menschenge¬
schlechts schaut und den stolzen Aristokraten so wie der herzlosen, in ihre selbst¬
süchtigen Interessen verstrickten Bourgeoisie als Warnungsstimme die kommende
Revolution verkündet. Eine symbolische Figur, die keine individuelle Wahr¬
heit hat.
Die beiden folgenden Novellen, Pauline und Horace, schließen sich wür¬
dig dem Andr<z an; sie gehören zu dem Besten, was Georges Sand geschrieben
hat. Die erste stellt den schon mehrfach berührten Gegensatz zwischen der freien
gesunden Natur dar, die sich auch in deu mißlichsten Verhältnisse!: eine sittliche
Stellung zu bewahren weiß, und der reflectirten Tugend, welche in der Pflicht
nichts Anderes sieht, als ein Mittel sich selber anzubeten. Die Feinheit in der
psychologischen Darstellung beider Charaktere, der Schauspielerin Laurence und
der tugendhaften Pauline, ist bewundernswürdig. Die Erste ist so edel, daß
man durch einzelne Spuren menschlicher Schwäche ordentlich beruhigt wird, z. B.
als sie einmal in der Leidenschaft alles Geräth, das sich im Zimmer befindet,
kurz und klein schlägt. Die Wendungen im Charakter Paulinens, von der
kalten resignirten Pflichterfüllung an, bis zu ihrem Fall, der wiederum den
Anstrich der Tugend annimmt, weil sie sich einredet, es zieme einer großen
Seele, dem Mann, den sie liebt, sich unbedingt aufzuopfern, sind mit einer hin¬
reißenden Wahrheit dargestellt. Beide Charaktere kann man als den glücklichen
Versuch betrachten, frühere Probleme, die der Dichterin noch unklar geblieben
waren, in ihr rechtes Licht zu setzen. Am bewundernswürdigsten ist die feine
Detailmalerei, die sich ans die Umgebung der beiden Gruppen bezieht; ohne den
Humor eiues Dickens versteht es die Dichterin doch, nicht nnr ein sprechendes
und lebendiges Bild aller Einzelheiten zu geben, sondern dieselben auch in der¬
jenigen Stimmung aufzufassen, die der Natur der augenblicklichen Handlung ent-
spricht. So ist der eitle Egoist, welcher Pauline verführt, uicht ein bloßer Ab¬
klatsch der frühern Bilder von ähnlichem Inhalt, sondern ein günstiges Zeugniß
für die neuen Erfahrungen und die Weltklugheit, welche Georges Sand mittler¬
weile gewonnen hat. Sie weiß es sehr gut, besser als zur Zeit des Leone
Leoni, daß viele Menschen unserer Epoche für Denker und Dichter gehalten
werden, bloß weil sie hohle Angen und vor der Zeit eine kahle Stirne haben,
daß der Ausdruck von Poesie und Größe, den manche Weiber an der Stirn eines
jungen Mannes bewundern, nichts anzeigt, als die Spuren früher Ausschweifung,
und daß man nur zu geneigt ist, Krankheit für Genialität zu nehmen. — Auch
Horace enthält eigentlich nur die gründlichere Ausführung früher schon vorhan¬
dener Anlagen, den Gegensatz nämlich zwischen dem angeblichen Genie, welches
sich in der unthätigen Selbstanschauung eines hohlen Egoismus befriedigt, und
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