Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

entsprechende Auffassung in die Darstellung des Menschlichen trägt. Deshalb
gab der Künstler seinem Genius des Sieges anch nicht einen Lorbeer-, sondern
einen Eichenkranz in die Hand und einen zweiten um das Haupt. Fein und
durchsichtig schmiegt sich das leichte Gewand um die zarten Glieder der schweben¬
den Viktoria, dick und fest, von derbem Wollenstoff ist der kleine Mantel, welcher
über dem Arm des Kriegers richt, und uicht minder charaktervoll an beiden Ge¬
stalten die Behandlung des Nackten. Das Originale an dem Werke aber besteht
vorzugsweise darin, daß die unvermeidliche Allegorie den Stempel der seelischen
Innerlichkeit, in der sie allein eine Wahrheit gewinnen konnte, unverkennbar an
sich trägt, und daß auf diese Weise zugleich wahre Bewegung, wahres, indivi¬
duelles Leben in die Gruppe gekommen ist.

Bei Weitem weniger abstrakt als das eben besprochene Thema ist die Auf¬
gabe, welche dem Professor August Fischer geworden: die Hauptmomente der
Schlacht bei Waterloo in vier plastischen Bildwerken darzustellen, die ans dem
Belle-Alliance-Platz am Halleschell Thore ihren Platz finden sollen, und zwar
mit der näheren Bestimmung, daß jede der Gruppen einen der vier Volksstämme,
welche bei Waterloo gegen die Franzosen kämpften, repräsentire. Als diese
Volksstämme wurden dem Künstler Niederländer, Engländer, Braunschweiger und
Preußen bezeichnet, und wenn dabei freilich immer noch von Collectivbegriffen
die Rede ist, so haben diese Begriffe doch wenigstens einen wirklichen nationalen
Inhalt. Fischer war, als ich das letzte Mal sein Atelier besuchte, mit dem
Thoumodell der vierten Gruppe beschäftigt, die Modelle der beideu ersten stan¬
den vollendet da, das der dritten erst im kleinen Entwurfe. Der Künstler ist
mit Eifer bestrebt gewesen, seiner Aufgabe die charakteristische Seiten abzu-
gewinnen. Den Beginn des Kampfes stellen die Niederländer dar. Alls das
Wappenthier von Rassan-Oranien, den Löwen, in aufgeregter Anspannung des
Körpers gestützt, sendet ein alter Mann schlachtmuthige Blicke zum Feinde hinüber
und leitet mit spähenden Auge, gefalteter Stirn, geballter Faust deu Blick des ju¬
gendlichen Bogenschützen an seiner Seite. Die ganze Gruppe athmet Kampfes-
Mn und allgriffbereite Erwartung. Der Alte mit seiner Sturmhaube, dem wogenden
Barte, der reckenhaft wilden Gebärde erinnert an den alten Sitz der deutschen Hel¬
densage, an die Ufer des Rheins, wo der uassauische Stamm noch heute wohnt.
Die zweite Gruppe zeigt den Engländer im Augenblick des heißesten Kampfes.
Das Schwert der hoch aufgerichteten edlen Mannesgestalt schlägt gewaltig drein,
ein Todter zu ihren Füßen deutet die bereits erlittenen Verluste an. Die stür¬
mische Bewegung theilt sich auch dem zur Seite des Streiters stehenden Leoparden
wie, der zum Sprunge ausetzt. In der dritten Gruppe steht der Vraunschweiger
an sein Roß gelehnt, Haupt und Hand mit dem Allsdruck des Dankes zum
Himmel emporhebend, indem die Annäherung der Preußen verkündet wird. Der
Verwundete am Boden erinnert an den Fall des Herzogs von Braunschweig.


entsprechende Auffassung in die Darstellung des Menschlichen trägt. Deshalb
gab der Künstler seinem Genius des Sieges anch nicht einen Lorbeer-, sondern
einen Eichenkranz in die Hand und einen zweiten um das Haupt. Fein und
durchsichtig schmiegt sich das leichte Gewand um die zarten Glieder der schweben¬
den Viktoria, dick und fest, von derbem Wollenstoff ist der kleine Mantel, welcher
über dem Arm des Kriegers richt, und uicht minder charaktervoll an beiden Ge¬
stalten die Behandlung des Nackten. Das Originale an dem Werke aber besteht
vorzugsweise darin, daß die unvermeidliche Allegorie den Stempel der seelischen
Innerlichkeit, in der sie allein eine Wahrheit gewinnen konnte, unverkennbar an
sich trägt, und daß auf diese Weise zugleich wahre Bewegung, wahres, indivi¬
duelles Leben in die Gruppe gekommen ist.

Bei Weitem weniger abstrakt als das eben besprochene Thema ist die Auf¬
gabe, welche dem Professor August Fischer geworden: die Hauptmomente der
Schlacht bei Waterloo in vier plastischen Bildwerken darzustellen, die ans dem
Belle-Alliance-Platz am Halleschell Thore ihren Platz finden sollen, und zwar
mit der näheren Bestimmung, daß jede der Gruppen einen der vier Volksstämme,
welche bei Waterloo gegen die Franzosen kämpften, repräsentire. Als diese
Volksstämme wurden dem Künstler Niederländer, Engländer, Braunschweiger und
Preußen bezeichnet, und wenn dabei freilich immer noch von Collectivbegriffen
die Rede ist, so haben diese Begriffe doch wenigstens einen wirklichen nationalen
Inhalt. Fischer war, als ich das letzte Mal sein Atelier besuchte, mit dem
Thoumodell der vierten Gruppe beschäftigt, die Modelle der beideu ersten stan¬
den vollendet da, das der dritten erst im kleinen Entwurfe. Der Künstler ist
mit Eifer bestrebt gewesen, seiner Aufgabe die charakteristische Seiten abzu-
gewinnen. Den Beginn des Kampfes stellen die Niederländer dar. Alls das
Wappenthier von Rassan-Oranien, den Löwen, in aufgeregter Anspannung des
Körpers gestützt, sendet ein alter Mann schlachtmuthige Blicke zum Feinde hinüber
und leitet mit spähenden Auge, gefalteter Stirn, geballter Faust deu Blick des ju¬
gendlichen Bogenschützen an seiner Seite. Die ganze Gruppe athmet Kampfes-
Mn und allgriffbereite Erwartung. Der Alte mit seiner Sturmhaube, dem wogenden
Barte, der reckenhaft wilden Gebärde erinnert an den alten Sitz der deutschen Hel¬
densage, an die Ufer des Rheins, wo der uassauische Stamm noch heute wohnt.
Die zweite Gruppe zeigt den Engländer im Augenblick des heißesten Kampfes.
Das Schwert der hoch aufgerichteten edlen Mannesgestalt schlägt gewaltig drein,
ein Todter zu ihren Füßen deutet die bereits erlittenen Verluste an. Die stür¬
mische Bewegung theilt sich auch dem zur Seite des Streiters stehenden Leoparden
wie, der zum Sprunge ausetzt. In der dritten Gruppe steht der Vraunschweiger
an sein Roß gelehnt, Haupt und Hand mit dem Allsdruck des Dankes zum
Himmel emporhebend, indem die Annäherung der Preußen verkündet wird. Der
Verwundete am Boden erinnert an den Fall des Herzogs von Braunschweig.


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0379" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/92117"/>
          <p xml:id="ID_1169" prev="#ID_1168"> entsprechende Auffassung in die Darstellung des Menschlichen trägt. Deshalb<lb/>
gab der Künstler seinem Genius des Sieges anch nicht einen Lorbeer-, sondern<lb/>
einen Eichenkranz in die Hand und einen zweiten um das Haupt. Fein und<lb/>
durchsichtig schmiegt sich das leichte Gewand um die zarten Glieder der schweben¬<lb/>
den Viktoria, dick und fest, von derbem Wollenstoff ist der kleine Mantel, welcher<lb/>
über dem Arm des Kriegers richt, und uicht minder charaktervoll an beiden Ge¬<lb/>
stalten die Behandlung des Nackten. Das Originale an dem Werke aber besteht<lb/>
vorzugsweise darin, daß die unvermeidliche Allegorie den Stempel der seelischen<lb/>
Innerlichkeit, in der sie allein eine Wahrheit gewinnen konnte, unverkennbar an<lb/>
sich trägt, und daß auf diese Weise zugleich wahre Bewegung, wahres, indivi¬<lb/>
duelles Leben in die Gruppe gekommen ist.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1170" next="#ID_1171"> Bei Weitem weniger abstrakt als das eben besprochene Thema ist die Auf¬<lb/>
gabe, welche dem Professor August Fischer geworden: die Hauptmomente der<lb/>
Schlacht bei Waterloo in vier plastischen Bildwerken darzustellen, die ans dem<lb/>
Belle-Alliance-Platz am Halleschell Thore ihren Platz finden sollen, und zwar<lb/>
mit der näheren Bestimmung, daß jede der Gruppen einen der vier Volksstämme,<lb/>
welche bei Waterloo gegen die Franzosen kämpften, repräsentire. Als diese<lb/>
Volksstämme wurden dem Künstler Niederländer, Engländer, Braunschweiger und<lb/>
Preußen bezeichnet, und wenn dabei freilich immer noch von Collectivbegriffen<lb/>
die Rede ist, so haben diese Begriffe doch wenigstens einen wirklichen nationalen<lb/>
Inhalt. Fischer war, als ich das letzte Mal sein Atelier besuchte, mit dem<lb/>
Thoumodell der vierten Gruppe beschäftigt, die Modelle der beideu ersten stan¬<lb/>
den vollendet da, das der dritten erst im kleinen Entwurfe. Der Künstler ist<lb/>
mit Eifer bestrebt gewesen, seiner Aufgabe die charakteristische Seiten abzu-<lb/>
gewinnen. Den Beginn des Kampfes stellen die Niederländer dar. Alls das<lb/>
Wappenthier von Rassan-Oranien, den Löwen, in aufgeregter Anspannung des<lb/>
Körpers gestützt, sendet ein alter Mann schlachtmuthige Blicke zum Feinde hinüber<lb/>
und leitet mit spähenden Auge, gefalteter Stirn, geballter Faust deu Blick des ju¬<lb/>
gendlichen Bogenschützen an seiner Seite. Die ganze Gruppe athmet Kampfes-<lb/>
Mn und allgriffbereite Erwartung. Der Alte mit seiner Sturmhaube, dem wogenden<lb/>
Barte, der reckenhaft wilden Gebärde erinnert an den alten Sitz der deutschen Hel¬<lb/>
densage, an die Ufer des Rheins, wo der uassauische Stamm noch heute wohnt.<lb/>
Die zweite Gruppe zeigt den Engländer im Augenblick des heißesten Kampfes.<lb/>
Das Schwert der hoch aufgerichteten edlen Mannesgestalt schlägt gewaltig drein,<lb/>
ein Todter zu ihren Füßen deutet die bereits erlittenen Verluste an. Die stür¬<lb/>
mische Bewegung theilt sich auch dem zur Seite des Streiters stehenden Leoparden<lb/>
wie, der zum Sprunge ausetzt. In der dritten Gruppe steht der Vraunschweiger<lb/>
an sein Roß gelehnt, Haupt und Hand mit dem Allsdruck des Dankes zum<lb/>
Himmel emporhebend, indem die Annäherung der Preußen verkündet wird. Der<lb/>
Verwundete am Boden erinnert an den Fall des Herzogs von Braunschweig.</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0379] entsprechende Auffassung in die Darstellung des Menschlichen trägt. Deshalb gab der Künstler seinem Genius des Sieges anch nicht einen Lorbeer-, sondern einen Eichenkranz in die Hand und einen zweiten um das Haupt. Fein und durchsichtig schmiegt sich das leichte Gewand um die zarten Glieder der schweben¬ den Viktoria, dick und fest, von derbem Wollenstoff ist der kleine Mantel, welcher über dem Arm des Kriegers richt, und uicht minder charaktervoll an beiden Ge¬ stalten die Behandlung des Nackten. Das Originale an dem Werke aber besteht vorzugsweise darin, daß die unvermeidliche Allegorie den Stempel der seelischen Innerlichkeit, in der sie allein eine Wahrheit gewinnen konnte, unverkennbar an sich trägt, und daß auf diese Weise zugleich wahre Bewegung, wahres, indivi¬ duelles Leben in die Gruppe gekommen ist. Bei Weitem weniger abstrakt als das eben besprochene Thema ist die Auf¬ gabe, welche dem Professor August Fischer geworden: die Hauptmomente der Schlacht bei Waterloo in vier plastischen Bildwerken darzustellen, die ans dem Belle-Alliance-Platz am Halleschell Thore ihren Platz finden sollen, und zwar mit der näheren Bestimmung, daß jede der Gruppen einen der vier Volksstämme, welche bei Waterloo gegen die Franzosen kämpften, repräsentire. Als diese Volksstämme wurden dem Künstler Niederländer, Engländer, Braunschweiger und Preußen bezeichnet, und wenn dabei freilich immer noch von Collectivbegriffen die Rede ist, so haben diese Begriffe doch wenigstens einen wirklichen nationalen Inhalt. Fischer war, als ich das letzte Mal sein Atelier besuchte, mit dem Thoumodell der vierten Gruppe beschäftigt, die Modelle der beideu ersten stan¬ den vollendet da, das der dritten erst im kleinen Entwurfe. Der Künstler ist mit Eifer bestrebt gewesen, seiner Aufgabe die charakteristische Seiten abzu- gewinnen. Den Beginn des Kampfes stellen die Niederländer dar. Alls das Wappenthier von Rassan-Oranien, den Löwen, in aufgeregter Anspannung des Körpers gestützt, sendet ein alter Mann schlachtmuthige Blicke zum Feinde hinüber und leitet mit spähenden Auge, gefalteter Stirn, geballter Faust deu Blick des ju¬ gendlichen Bogenschützen an seiner Seite. Die ganze Gruppe athmet Kampfes- Mn und allgriffbereite Erwartung. Der Alte mit seiner Sturmhaube, dem wogenden Barte, der reckenhaft wilden Gebärde erinnert an den alten Sitz der deutschen Hel¬ densage, an die Ufer des Rheins, wo der uassauische Stamm noch heute wohnt. Die zweite Gruppe zeigt den Engländer im Augenblick des heißesten Kampfes. Das Schwert der hoch aufgerichteten edlen Mannesgestalt schlägt gewaltig drein, ein Todter zu ihren Füßen deutet die bereits erlittenen Verluste an. Die stür¬ mische Bewegung theilt sich auch dem zur Seite des Streiters stehenden Leoparden wie, der zum Sprunge ausetzt. In der dritten Gruppe steht der Vraunschweiger an sein Roß gelehnt, Haupt und Hand mit dem Allsdruck des Dankes zum Himmel emporhebend, indem die Annäherung der Preußen verkündet wird. Der Verwundete am Boden erinnert an den Fall des Herzogs von Braunschweig.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_345606
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_345606/379
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_345606/379>, abgerufen am 24.07.2024.