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Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. I. Band.

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moule ist mit dem Charakter der von Schinkel geschaffenen Architektur. Er
war der Erste, der in architektonischer Hinficht gegen den Zopfstil zu Felde zog,
und wenn er keinen originalen Charakter an dessen Stelle setzte, sondern, um die
Barbarei zu verdräugen, den reinen Stil der Antike herbeizog, so darf man wie¬
der nicht übersehen, mit wie richtigem Verständniß, mit welcher edlen Einfachheit
dies geschah. Jedenfalls hat er sein Ziel damit erreicht und in unserer flachen,
sandigen Mark mit ihrem kokett französischen Bildungs-Firniß einen geläuterten
Sinn für das Schöne ans dem Nichts hervorgezaubert. Die Nachwirkungen
seines Einflusses zeigen sich allerdings noch jetzt in den Ateliers der Bildhauer,
welche uach Entwürfen arbeiten, die er hinterließ. Das Schwächste, was in diese
Kategorie gehört, sind die ans Löwen reitenden Flötenbläser von Friedrich
Tieck, welche für die Brüstmchsmauern der zum Portikus des Schauspielhauses
emporführenden Freitreppe bestimmt send. Ich sah einen derselben im Bronzeguß
vollendet, eine steife, trockene Gruppe. Der Löwe reißt den Rachen mit einer
Grimasse auf, als wolle er sich durch das Gitter eines Menagerie-Kästgs die Necke¬
reien zuschauender Knaben verbitten, und schreitet mit dem linken Beine so gerad¬
linig aus, daß man vermuthen möchte, er sei an demselben durch eine Wunde
beschädigt. Aber ich vergesse, daß er gezähmt ist, die gezähmte Wildheit dar¬
stellt, wie der Pfeifer auf seinem Rücken die Poesie in ihrer civilistrenden Kraft
bedeutet. Wenn Oehlenschläger in der Vorrede zu seinem dramatischen Ge¬
dicht "Aladdin oder die Wnnderlampe" seinen Lesern in Voraus mittheilt, der
auftretende Zauberer sei das mit einseitigen Talente versehene eitle Ringen,
sein Bruder sei die schlaue Gewissenlosigkeit, in Aladdin'S Mutter werde "man
kaum die gutmüthige, drollige Dürftigkeit verkennen, Guluare sei die Liebe, der
Sultan die "durch Geburt erhobene Asthenie" u. s. w., so konnte Niemand bes¬
ser das Wesen jenes flachen Idealismus parodiren, der um nackte Begriffe ein
symbolisirendes Gewand schlägt und nun künstlerisches Leben erzeugt zu haben
glaubt.

Die Ausführung einer andern Schinkel'schen Idee wurde deu Bildhauern
Drake, Wichmann, Schievelbein, Möller, Bläser, Wredow, Wolf
in Berlin und einem zweiten Wolf, ebenfalls einem Berliner, welcher zur Zeit
in Rom verweilt, übertrage". Es sollen für die breite Schloßbrücke, welche vom
Zeughausplatze uach dem Lustgarten führt, acht Marmorgruppen gearbeitet werden.
Auf jedem der acht Grauitsockel, welche das in schweren antiken Formen ausge¬
führte Brüstungsgitter der Brücke in Abschnitte theilen, soll ein hohes Postament
gestellt werden und hierauf die kolossale Gruppe. Das Ganze wird in seiner Ge¬
sammtheit ein großartiger Schmuck der Hauptstadt. Die Erlernung und die Aus¬
übung des Kriegerhaudwerks bilden das Thema. In vier Gruppen unterrichtet
Minerva einen Krieger, in den vier andern führt ihn Viktoria durch die Schlacht
und zum Siege. Der Krieger ist als eine ideal kräftige nackte Gestalt gedacht,


moule ist mit dem Charakter der von Schinkel geschaffenen Architektur. Er
war der Erste, der in architektonischer Hinficht gegen den Zopfstil zu Felde zog,
und wenn er keinen originalen Charakter an dessen Stelle setzte, sondern, um die
Barbarei zu verdräugen, den reinen Stil der Antike herbeizog, so darf man wie¬
der nicht übersehen, mit wie richtigem Verständniß, mit welcher edlen Einfachheit
dies geschah. Jedenfalls hat er sein Ziel damit erreicht und in unserer flachen,
sandigen Mark mit ihrem kokett französischen Bildungs-Firniß einen geläuterten
Sinn für das Schöne ans dem Nichts hervorgezaubert. Die Nachwirkungen
seines Einflusses zeigen sich allerdings noch jetzt in den Ateliers der Bildhauer,
welche uach Entwürfen arbeiten, die er hinterließ. Das Schwächste, was in diese
Kategorie gehört, sind die ans Löwen reitenden Flötenbläser von Friedrich
Tieck, welche für die Brüstmchsmauern der zum Portikus des Schauspielhauses
emporführenden Freitreppe bestimmt send. Ich sah einen derselben im Bronzeguß
vollendet, eine steife, trockene Gruppe. Der Löwe reißt den Rachen mit einer
Grimasse auf, als wolle er sich durch das Gitter eines Menagerie-Kästgs die Necke¬
reien zuschauender Knaben verbitten, und schreitet mit dem linken Beine so gerad¬
linig aus, daß man vermuthen möchte, er sei an demselben durch eine Wunde
beschädigt. Aber ich vergesse, daß er gezähmt ist, die gezähmte Wildheit dar¬
stellt, wie der Pfeifer auf seinem Rücken die Poesie in ihrer civilistrenden Kraft
bedeutet. Wenn Oehlenschläger in der Vorrede zu seinem dramatischen Ge¬
dicht „Aladdin oder die Wnnderlampe" seinen Lesern in Voraus mittheilt, der
auftretende Zauberer sei das mit einseitigen Talente versehene eitle Ringen,
sein Bruder sei die schlaue Gewissenlosigkeit, in Aladdin'S Mutter werde „man
kaum die gutmüthige, drollige Dürftigkeit verkennen, Guluare sei die Liebe, der
Sultan die „durch Geburt erhobene Asthenie" u. s. w., so konnte Niemand bes¬
ser das Wesen jenes flachen Idealismus parodiren, der um nackte Begriffe ein
symbolisirendes Gewand schlägt und nun künstlerisches Leben erzeugt zu haben
glaubt.

Die Ausführung einer andern Schinkel'schen Idee wurde deu Bildhauern
Drake, Wichmann, Schievelbein, Möller, Bläser, Wredow, Wolf
in Berlin und einem zweiten Wolf, ebenfalls einem Berliner, welcher zur Zeit
in Rom verweilt, übertrage«. Es sollen für die breite Schloßbrücke, welche vom
Zeughausplatze uach dem Lustgarten führt, acht Marmorgruppen gearbeitet werden.
Auf jedem der acht Grauitsockel, welche das in schweren antiken Formen ausge¬
führte Brüstungsgitter der Brücke in Abschnitte theilen, soll ein hohes Postament
gestellt werden und hierauf die kolossale Gruppe. Das Ganze wird in seiner Ge¬
sammtheit ein großartiger Schmuck der Hauptstadt. Die Erlernung und die Aus¬
übung des Kriegerhaudwerks bilden das Thema. In vier Gruppen unterrichtet
Minerva einen Krieger, in den vier andern führt ihn Viktoria durch die Schlacht
und zum Siege. Der Krieger ist als eine ideal kräftige nackte Gestalt gedacht,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_345606/376>, abgerufen am 24.07.2024.