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Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. I. Band.

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man nur zu geneigt ist, die Existenz von Gespenstern, Teufel und Hexen mit in
den Kauf zu nehmen.

Diese Blasirtheit, deren Wesen darin besteht, daß man seinen Stolz über das
Gefühl unvollständigen Wissens und Denkens, unreifer Empfindung und Erfahrung
dadurch tröstet, daß mau sich einbildet, mau habe Alles, und daher zu viel be¬
griffen, gedacht, gesuhlt und erlebt, führt in der Kunst zu jenem angeblichen
Humor, jeuer willkürlichen Mischung aus Pathos und Ironie, die ich bei frühern
Gelegenheiten als "die Poesie des Contrast es" bezeichnet habe. -- Was
den Humor betrifft, und seine Berechtigung, den Grundton eiues poetische" Werkes
zu bilden -- ich meine in diesem Augenblick nicht den eigentlichen Humor, d. h.
die heitere, mit Liebe auf das sonst vernachlässigte Detail eingehende Darstellung,
sondern die Mischung aus Seutiiueutalität und Ironie, die Jean Paul und seine
Nachfolger darunter verstehen -- so ist darüber noch keine befriedigende Unter-
suchung angestellt worden. Deu falschen Humor charakterisirt HebbeN) sehr
richtig als "ein leeres Product der Ohnmacht und der Lüge. Wer seine ver¬
worrenen Geistes- oder Gemüthszustände nicht klären, oder den hiezu nöthigen
innern Proceß nicht mit Resignation und Ruhe abwarten kann, der wirft wohl
den Fackelbrand des Witzes in das Chaos hinein, und sucht, während vielleicht
nur ein Kartenhaus in Flammen aufgeht, uns glauben zu macheu, es sei eine
werdende Welt." Aber gleich in der Amveuduug täuscht er sich, indem er in Heine,
ans den jene Beschreibung Wort für Wort angewendet werden kann, einen echten
Humoristen findet; und wenn erden echten Humor so charakterisirt: "der Humor
ist empfundener Dualismus; nicht die Carricatur des Ideals soll er zeichnen, oder
seinen Schatten, sondern das Ideal selbst in seinem vergeblichen Ringen nach Ge¬
staltung. Wenn die positive Kunst deu Abgrund, der das Wirkliche von dem
Möglichen scheidet, zu überfliegen sucht, so stürzt der Humor, als die negative,
sich in den Abgrund hinunter;" so werden wir dnrch dieses an sich ganz artige
Bild über das Wesen des Humors,uicht im Mindesten aufgeklärt.

So lauge mau eine unendliche .Kluft zwischeu dem Wirklichem und dem Mög¬
lichen zu finden glaubt, und in das Mögliche das Ideal legt, ist die Kunst krank.
Es geht daraus jene Jueiuauderbilduug des Supranaturalismus und des Mate¬
rialismus hervor, der in der Wirklichkeit zu dem wüstesten Aberglauben, in der
Poesie zu Mißgeburten führt, wie Hau vou Island, Quasimodo, Eugen Aram,
Triboulct u. s. w., zu jeuer Verklärung des Bösen und Ungeistigen, ans der
zuletzt das Hexeusprichwort: iair is tout aria foul is lar als höchster Grundsatz
der Kunst hervorgeht; endlich zu jenem Pessimismus, der einen allgemeinen
Weltbrand erwartet/ bevor die Saat der Tugend, der Freiheit, der Gleichheit
aufgehen könne, und der eigentlich nichts Anderes ausdrückt, als die nothwendige



*) In seiner Recension über Heine, im Hamv. Corrcsp. 18it.

man nur zu geneigt ist, die Existenz von Gespenstern, Teufel und Hexen mit in
den Kauf zu nehmen.

Diese Blasirtheit, deren Wesen darin besteht, daß man seinen Stolz über das
Gefühl unvollständigen Wissens und Denkens, unreifer Empfindung und Erfahrung
dadurch tröstet, daß mau sich einbildet, mau habe Alles, und daher zu viel be¬
griffen, gedacht, gesuhlt und erlebt, führt in der Kunst zu jenem angeblichen
Humor, jeuer willkürlichen Mischung aus Pathos und Ironie, die ich bei frühern
Gelegenheiten als „die Poesie des Contrast es" bezeichnet habe. — Was
den Humor betrifft, und seine Berechtigung, den Grundton eiues poetische« Werkes
zu bilden — ich meine in diesem Augenblick nicht den eigentlichen Humor, d. h.
die heitere, mit Liebe auf das sonst vernachlässigte Detail eingehende Darstellung,
sondern die Mischung aus Seutiiueutalität und Ironie, die Jean Paul und seine
Nachfolger darunter verstehen — so ist darüber noch keine befriedigende Unter-
suchung angestellt worden. Deu falschen Humor charakterisirt HebbeN) sehr
richtig als „ein leeres Product der Ohnmacht und der Lüge. Wer seine ver¬
worrenen Geistes- oder Gemüthszustände nicht klären, oder den hiezu nöthigen
innern Proceß nicht mit Resignation und Ruhe abwarten kann, der wirft wohl
den Fackelbrand des Witzes in das Chaos hinein, und sucht, während vielleicht
nur ein Kartenhaus in Flammen aufgeht, uns glauben zu macheu, es sei eine
werdende Welt." Aber gleich in der Amveuduug täuscht er sich, indem er in Heine,
ans den jene Beschreibung Wort für Wort angewendet werden kann, einen echten
Humoristen findet; und wenn erden echten Humor so charakterisirt: „der Humor
ist empfundener Dualismus; nicht die Carricatur des Ideals soll er zeichnen, oder
seinen Schatten, sondern das Ideal selbst in seinem vergeblichen Ringen nach Ge¬
staltung. Wenn die positive Kunst deu Abgrund, der das Wirkliche von dem
Möglichen scheidet, zu überfliegen sucht, so stürzt der Humor, als die negative,
sich in den Abgrund hinunter;" so werden wir dnrch dieses an sich ganz artige
Bild über das Wesen des Humors,uicht im Mindesten aufgeklärt.

So lauge mau eine unendliche .Kluft zwischeu dem Wirklichem und dem Mög¬
lichen zu finden glaubt, und in das Mögliche das Ideal legt, ist die Kunst krank.
Es geht daraus jene Jueiuauderbilduug des Supranaturalismus und des Mate¬
rialismus hervor, der in der Wirklichkeit zu dem wüstesten Aberglauben, in der
Poesie zu Mißgeburten führt, wie Hau vou Island, Quasimodo, Eugen Aram,
Triboulct u. s. w., zu jeuer Verklärung des Bösen und Ungeistigen, ans der
zuletzt das Hexeusprichwort: iair is tout aria foul is lar als höchster Grundsatz
der Kunst hervorgeht; endlich zu jenem Pessimismus, der einen allgemeinen
Weltbrand erwartet/ bevor die Saat der Tugend, der Freiheit, der Gleichheit
aufgehen könne, und der eigentlich nichts Anderes ausdrückt, als die nothwendige



*) In seiner Recension über Heine, im Hamv. Corrcsp. 18it.
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[0036] man nur zu geneigt ist, die Existenz von Gespenstern, Teufel und Hexen mit in den Kauf zu nehmen. Diese Blasirtheit, deren Wesen darin besteht, daß man seinen Stolz über das Gefühl unvollständigen Wissens und Denkens, unreifer Empfindung und Erfahrung dadurch tröstet, daß mau sich einbildet, mau habe Alles, und daher zu viel be¬ griffen, gedacht, gesuhlt und erlebt, führt in der Kunst zu jenem angeblichen Humor, jeuer willkürlichen Mischung aus Pathos und Ironie, die ich bei frühern Gelegenheiten als „die Poesie des Contrast es" bezeichnet habe. — Was den Humor betrifft, und seine Berechtigung, den Grundton eiues poetische« Werkes zu bilden — ich meine in diesem Augenblick nicht den eigentlichen Humor, d. h. die heitere, mit Liebe auf das sonst vernachlässigte Detail eingehende Darstellung, sondern die Mischung aus Seutiiueutalität und Ironie, die Jean Paul und seine Nachfolger darunter verstehen — so ist darüber noch keine befriedigende Unter- suchung angestellt worden. Deu falschen Humor charakterisirt HebbeN) sehr richtig als „ein leeres Product der Ohnmacht und der Lüge. Wer seine ver¬ worrenen Geistes- oder Gemüthszustände nicht klären, oder den hiezu nöthigen innern Proceß nicht mit Resignation und Ruhe abwarten kann, der wirft wohl den Fackelbrand des Witzes in das Chaos hinein, und sucht, während vielleicht nur ein Kartenhaus in Flammen aufgeht, uns glauben zu macheu, es sei eine werdende Welt." Aber gleich in der Amveuduug täuscht er sich, indem er in Heine, ans den jene Beschreibung Wort für Wort angewendet werden kann, einen echten Humoristen findet; und wenn erden echten Humor so charakterisirt: „der Humor ist empfundener Dualismus; nicht die Carricatur des Ideals soll er zeichnen, oder seinen Schatten, sondern das Ideal selbst in seinem vergeblichen Ringen nach Ge¬ staltung. Wenn die positive Kunst deu Abgrund, der das Wirkliche von dem Möglichen scheidet, zu überfliegen sucht, so stürzt der Humor, als die negative, sich in den Abgrund hinunter;" so werden wir dnrch dieses an sich ganz artige Bild über das Wesen des Humors,uicht im Mindesten aufgeklärt. So lauge mau eine unendliche .Kluft zwischeu dem Wirklichem und dem Mög¬ lichen zu finden glaubt, und in das Mögliche das Ideal legt, ist die Kunst krank. Es geht daraus jene Jueiuauderbilduug des Supranaturalismus und des Mate¬ rialismus hervor, der in der Wirklichkeit zu dem wüstesten Aberglauben, in der Poesie zu Mißgeburten führt, wie Hau vou Island, Quasimodo, Eugen Aram, Triboulct u. s. w., zu jeuer Verklärung des Bösen und Ungeistigen, ans der zuletzt das Hexeusprichwort: iair is tout aria foul is lar als höchster Grundsatz der Kunst hervorgeht; endlich zu jenem Pessimismus, der einen allgemeinen Weltbrand erwartet/ bevor die Saat der Tugend, der Freiheit, der Gleichheit aufgehen könne, und der eigentlich nichts Anderes ausdrückt, als die nothwendige *) In seiner Recension über Heine, im Hamv. Corrcsp. 18it.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_345606/36>, abgerufen am 04.07.2024.