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Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. I. Band.

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Mann, der uns beherrscht, wie einen Gott, wie die Mutter das Kind u. s. w."
Dergleichen Parodoxieen imponiren zuerst, weil man durch eine gewisse Wahrheit,
die darin liegt, überrascht wird; aber es ist doch nur ein Blendwerk. Die Liebe
steht nicht so allein in den übrigen Regungen des menschlichen Wesens, daß sie.
eine entgegengesetzte Richtung nähme; auch wenn sie sich dem Sünder hingiebt,
ist es uicht die Sünde, was sie reizt. Man kann ^ einen Mörder lieben, um sei¬
ner Tapferkeit oder Großmuth, um seiner schwarzen Locken und seiner feurigen
Augen willen, aber uicht, weil er gemordet hat. Zudem giebt es Dinge, welche
jede Idee der Liebe aufheben, wo nicht ein abnormer, an Wahnsinn grenzender
Gemüthszustand vorliegt, und ein solcher ist weder charakteristisch für die Natur
der Liebe, noch gehört er in die Poesie. Mit jener edaritL edretienns ist
es nichts.

Ich kann von der Jndiana nicht scheiden, ohne auf den Ausgang hinzu¬
deuten; denn auch in diesem spricht sich ein neues Moment der Unsittlichkeit ans.

Was wird Jndiana thun, nachdem sie ihre Ehre verloren hat, und aus dem
Hause des Geliebten, in welches sie als Buhlerin eintrat, mit den Füßen fort¬
gestoßen ist? Sie wird in die Seine springen; das liegt am nächsten. Einen
ähnlichen Vorsatz hätte sie beinahe schon ausgeführt, als ihr zum erstenmal unge¬
fähr dasselbe begegnete. Damals hat sie Jemand zurückgehalten, und ihr zwar
nicht unbedingt den Selbstmord aus dem Sinn geredet, aber sich doch das Ver¬
sprechen geben lassen, sie wolle nicht sterben, ohne es ihm vorher anzuzeigen.

Dieser Jemand ist Ralph Brown, ein Engländer von sehr prosaischen und
phlegmatischem Aussehen, das aber eine grenzenlose Aufopferungsfähigkeit und
eine ebenso glühende als beständige Leidenschaft verbirgt: eine Classe von Cha¬
rakteren, welche Georges Sand und die Franzosen überhaupt lieben. Am leich¬
testen imponirt einem, was man am wenigsten hat. Mau ist überrascht, in einer
Natur, die nicht viel auszugeben pflegt, einen reichen Inhalt zu entdecken; aber
indem mau diese Beobachtung auf die Spitze treibt, macht man sie zum Zerrbild.
Das Jnnere steht doch zum Aeußern immer in einem gewissen Verhältniß. Bei
Ralph ist nicht bloß die Dauer einer unerwiderten Liebe wunderbar, die ihn
so gänzlich erfüllt, daß er nichts Anders auf der Welt zu thun hat, als in der
bescheidenen Figur eiues Hausfreundes die ehelichen MißHelligkeiten der Familie
Delmar zu vermitteln, ein Geschäft, in welchem er nicht einmal sonderlich reussirt;
sondern auch die Erniedrigung, in die sein, dem Vorgeben nach, sehr männlicher
Charakter dadurch getrieben wird. Einmal steht er sogar als getreuer Hund
Schildwache bei einem Stelldichein Jndiana's und ihres Geliebten. Dieser Ralph
giebt seiner Freundin, nachdem Alles verloren, von selbst den Rath, sie solle sich
jetzt todten; er wolle ihr darin Gesellschaft leisten. Aber man dürfe dergleichen
nicht obenhin behandeln; Ort, Zeit, Art der Ausführung bedürfen einer reiflicher
Ueberlegung. Sie reisen also von Paris nach der Insel Bourbon zurück --


Mann, der uns beherrscht, wie einen Gott, wie die Mutter das Kind u. s. w."
Dergleichen Parodoxieen imponiren zuerst, weil man durch eine gewisse Wahrheit,
die darin liegt, überrascht wird; aber es ist doch nur ein Blendwerk. Die Liebe
steht nicht so allein in den übrigen Regungen des menschlichen Wesens, daß sie.
eine entgegengesetzte Richtung nähme; auch wenn sie sich dem Sünder hingiebt,
ist es uicht die Sünde, was sie reizt. Man kann ^ einen Mörder lieben, um sei¬
ner Tapferkeit oder Großmuth, um seiner schwarzen Locken und seiner feurigen
Augen willen, aber uicht, weil er gemordet hat. Zudem giebt es Dinge, welche
jede Idee der Liebe aufheben, wo nicht ein abnormer, an Wahnsinn grenzender
Gemüthszustand vorliegt, und ein solcher ist weder charakteristisch für die Natur
der Liebe, noch gehört er in die Poesie. Mit jener edaritL edretienns ist
es nichts.

Ich kann von der Jndiana nicht scheiden, ohne auf den Ausgang hinzu¬
deuten; denn auch in diesem spricht sich ein neues Moment der Unsittlichkeit ans.

Was wird Jndiana thun, nachdem sie ihre Ehre verloren hat, und aus dem
Hause des Geliebten, in welches sie als Buhlerin eintrat, mit den Füßen fort¬
gestoßen ist? Sie wird in die Seine springen; das liegt am nächsten. Einen
ähnlichen Vorsatz hätte sie beinahe schon ausgeführt, als ihr zum erstenmal unge¬
fähr dasselbe begegnete. Damals hat sie Jemand zurückgehalten, und ihr zwar
nicht unbedingt den Selbstmord aus dem Sinn geredet, aber sich doch das Ver¬
sprechen geben lassen, sie wolle nicht sterben, ohne es ihm vorher anzuzeigen.

Dieser Jemand ist Ralph Brown, ein Engländer von sehr prosaischen und
phlegmatischem Aussehen, das aber eine grenzenlose Aufopferungsfähigkeit und
eine ebenso glühende als beständige Leidenschaft verbirgt: eine Classe von Cha¬
rakteren, welche Georges Sand und die Franzosen überhaupt lieben. Am leich¬
testen imponirt einem, was man am wenigsten hat. Mau ist überrascht, in einer
Natur, die nicht viel auszugeben pflegt, einen reichen Inhalt zu entdecken; aber
indem mau diese Beobachtung auf die Spitze treibt, macht man sie zum Zerrbild.
Das Jnnere steht doch zum Aeußern immer in einem gewissen Verhältniß. Bei
Ralph ist nicht bloß die Dauer einer unerwiderten Liebe wunderbar, die ihn
so gänzlich erfüllt, daß er nichts Anders auf der Welt zu thun hat, als in der
bescheidenen Figur eiues Hausfreundes die ehelichen MißHelligkeiten der Familie
Delmar zu vermitteln, ein Geschäft, in welchem er nicht einmal sonderlich reussirt;
sondern auch die Erniedrigung, in die sein, dem Vorgeben nach, sehr männlicher
Charakter dadurch getrieben wird. Einmal steht er sogar als getreuer Hund
Schildwache bei einem Stelldichein Jndiana's und ihres Geliebten. Dieser Ralph
giebt seiner Freundin, nachdem Alles verloren, von selbst den Rath, sie solle sich
jetzt todten; er wolle ihr darin Gesellschaft leisten. Aber man dürfe dergleichen
nicht obenhin behandeln; Ort, Zeit, Art der Ausführung bedürfen einer reiflicher
Ueberlegung. Sie reisen also von Paris nach der Insel Bourbon zurück —


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_345606/340>, abgerufen am 28.06.2024.