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Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. I. Band.

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dem Holofernes das Haupt abschlug, aber wir wissen nicht in den einfachsten
Conflicten uns schicklich zu benehmen, den Helden unserer Dichtung ein schickliches
Benehmen zu leihen. Unsere Universalität ist dilettantischer Natur, sie geht mehr
in die Breite als in die Tiefe. Die ideale Welt, in der wir leben, ist ein Reich
der Schatten, welches von Widersprüchen so erfüllt ist, daß wir in jedem Augen¬
blick zugleich bejahen und verneinen, daß wir endlich mit Salomo ausrufen: Alles
ist eitel! und mit Hamlet: ich habe keine Freude an der Welt.

Skepsis und Blasirtheit, das ist die natürliche Folge des forcirten
Idealismus. Deun indem man sich einerseits mit der eitlen Vorstellung schmei¬
chelt, Alles begriffen, empfunden und selbst im Leben durchgemacht zu haben, ist
doch andererseits das Gefühl der Leere zu stark, als daß man über diese All¬
wissenheit eine besondere Befriedigung empfinden sollte. Der Skepticismus der
neueren Zeit (ich rede uicht vou dem wissenschaftlichen, der, wie alles systematische
Denken, von dieser Gemüthsrichtung ganz unabhängig ist) hat das Eigenthümliche,
daß er fertige Münzen des Zweifels ausgibt, daß sein Unglaube ein couveutionelles
Gepräge an sich trägt.

Die skeptische Gestunuug eiues Montaigne, Hamlet, Pascal, wurde durch den
Neiz der Neuheit und Ursprünglichkeit gehoben; es war damals nicht ein anspruch¬
loses Muschelleseu am Strand, sondern ein kühnes und gefahrvolles Steuern
mitten in das Meer des Zweifels; wer sich heutzutage mit Zweifeln beschäftigt,
thut es mit dem heimlichen, süßen Bewußtsein, daß er ebenso gut etwas Anderes
treiben könnte. Bei unsern Zweiflern merkt man überall die Absicht und die
Reminiscenz; man wird daher nicht erschüttert, kaum individuell bewegt. Man
vergleiche z. B., um sogleich den Bedeutendsteu zu nehmen, die berühmten
Monologe in Göthe's Faust mit jenen großen Denkern, so wird mau sich bald
überzeugen, daß hier von einer ganz andern Herzensangst die Rede ist, als von
jenem Spleen, der Faust in einem müßigen Augenblick beinahe zum Selbstmord
getrieben hätte. -- Es ist in der Uuglückseligkeit dieser Zweifel ebenso wie in der
Allwissenheit des naturphilosophischen Dilettanten sehr viel bloßer Klingklang; selbst
bei Schelling, aber namentlich bei vielen seiner Nachfolger würde man sich geradezu
in die Schusterwerkstatt Jacob Böhme's versetzt fühlen, der sich das Weltall in
seinem Kopf zurecht legte, wie es ein pietistischer und überspannter Schuster in seiner
Einsamkeit sich eben zurecht zu legen pflegt -- wenn man nicht durch die Sprache
an geschultes Denken erinnert würde. Diese naturphilosophischen Dilettanten haben
ihre eigenthümliche skeptische Form auf heilige Gegenstände angewendet, die da¬
durch in ein ganz neues, wunderliches Licht versetzt werden; man lese z. B., was
der tiefsinnige Novalis oder die beiden frivolen Feuilletonisten Heine und Alfred
de Musset über das Christenthum faseln, so weiß man nicht recht, ob man es mit
der Göttin Astarte oder mit dem Mexikanischen Vitzliputzli zu thun hat; das wird


dem Holofernes das Haupt abschlug, aber wir wissen nicht in den einfachsten
Conflicten uns schicklich zu benehmen, den Helden unserer Dichtung ein schickliches
Benehmen zu leihen. Unsere Universalität ist dilettantischer Natur, sie geht mehr
in die Breite als in die Tiefe. Die ideale Welt, in der wir leben, ist ein Reich
der Schatten, welches von Widersprüchen so erfüllt ist, daß wir in jedem Augen¬
blick zugleich bejahen und verneinen, daß wir endlich mit Salomo ausrufen: Alles
ist eitel! und mit Hamlet: ich habe keine Freude an der Welt.

Skepsis und Blasirtheit, das ist die natürliche Folge des forcirten
Idealismus. Deun indem man sich einerseits mit der eitlen Vorstellung schmei¬
chelt, Alles begriffen, empfunden und selbst im Leben durchgemacht zu haben, ist
doch andererseits das Gefühl der Leere zu stark, als daß man über diese All¬
wissenheit eine besondere Befriedigung empfinden sollte. Der Skepticismus der
neueren Zeit (ich rede uicht vou dem wissenschaftlichen, der, wie alles systematische
Denken, von dieser Gemüthsrichtung ganz unabhängig ist) hat das Eigenthümliche,
daß er fertige Münzen des Zweifels ausgibt, daß sein Unglaube ein couveutionelles
Gepräge an sich trägt.

Die skeptische Gestunuug eiues Montaigne, Hamlet, Pascal, wurde durch den
Neiz der Neuheit und Ursprünglichkeit gehoben; es war damals nicht ein anspruch¬
loses Muschelleseu am Strand, sondern ein kühnes und gefahrvolles Steuern
mitten in das Meer des Zweifels; wer sich heutzutage mit Zweifeln beschäftigt,
thut es mit dem heimlichen, süßen Bewußtsein, daß er ebenso gut etwas Anderes
treiben könnte. Bei unsern Zweiflern merkt man überall die Absicht und die
Reminiscenz; man wird daher nicht erschüttert, kaum individuell bewegt. Man
vergleiche z. B., um sogleich den Bedeutendsteu zu nehmen, die berühmten
Monologe in Göthe's Faust mit jenen großen Denkern, so wird mau sich bald
überzeugen, daß hier von einer ganz andern Herzensangst die Rede ist, als von
jenem Spleen, der Faust in einem müßigen Augenblick beinahe zum Selbstmord
getrieben hätte. — Es ist in der Uuglückseligkeit dieser Zweifel ebenso wie in der
Allwissenheit des naturphilosophischen Dilettanten sehr viel bloßer Klingklang; selbst
bei Schelling, aber namentlich bei vielen seiner Nachfolger würde man sich geradezu
in die Schusterwerkstatt Jacob Böhme's versetzt fühlen, der sich das Weltall in
seinem Kopf zurecht legte, wie es ein pietistischer und überspannter Schuster in seiner
Einsamkeit sich eben zurecht zu legen pflegt — wenn man nicht durch die Sprache
an geschultes Denken erinnert würde. Diese naturphilosophischen Dilettanten haben
ihre eigenthümliche skeptische Form auf heilige Gegenstände angewendet, die da¬
durch in ein ganz neues, wunderliches Licht versetzt werden; man lese z. B., was
der tiefsinnige Novalis oder die beiden frivolen Feuilletonisten Heine und Alfred
de Musset über das Christenthum faseln, so weiß man nicht recht, ob man es mit
der Göttin Astarte oder mit dem Mexikanischen Vitzliputzli zu thun hat; das wird


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[0034] dem Holofernes das Haupt abschlug, aber wir wissen nicht in den einfachsten Conflicten uns schicklich zu benehmen, den Helden unserer Dichtung ein schickliches Benehmen zu leihen. Unsere Universalität ist dilettantischer Natur, sie geht mehr in die Breite als in die Tiefe. Die ideale Welt, in der wir leben, ist ein Reich der Schatten, welches von Widersprüchen so erfüllt ist, daß wir in jedem Augen¬ blick zugleich bejahen und verneinen, daß wir endlich mit Salomo ausrufen: Alles ist eitel! und mit Hamlet: ich habe keine Freude an der Welt. Skepsis und Blasirtheit, das ist die natürliche Folge des forcirten Idealismus. Deun indem man sich einerseits mit der eitlen Vorstellung schmei¬ chelt, Alles begriffen, empfunden und selbst im Leben durchgemacht zu haben, ist doch andererseits das Gefühl der Leere zu stark, als daß man über diese All¬ wissenheit eine besondere Befriedigung empfinden sollte. Der Skepticismus der neueren Zeit (ich rede uicht vou dem wissenschaftlichen, der, wie alles systematische Denken, von dieser Gemüthsrichtung ganz unabhängig ist) hat das Eigenthümliche, daß er fertige Münzen des Zweifels ausgibt, daß sein Unglaube ein couveutionelles Gepräge an sich trägt. Die skeptische Gestunuug eiues Montaigne, Hamlet, Pascal, wurde durch den Neiz der Neuheit und Ursprünglichkeit gehoben; es war damals nicht ein anspruch¬ loses Muschelleseu am Strand, sondern ein kühnes und gefahrvolles Steuern mitten in das Meer des Zweifels; wer sich heutzutage mit Zweifeln beschäftigt, thut es mit dem heimlichen, süßen Bewußtsein, daß er ebenso gut etwas Anderes treiben könnte. Bei unsern Zweiflern merkt man überall die Absicht und die Reminiscenz; man wird daher nicht erschüttert, kaum individuell bewegt. Man vergleiche z. B., um sogleich den Bedeutendsteu zu nehmen, die berühmten Monologe in Göthe's Faust mit jenen großen Denkern, so wird mau sich bald überzeugen, daß hier von einer ganz andern Herzensangst die Rede ist, als von jenem Spleen, der Faust in einem müßigen Augenblick beinahe zum Selbstmord getrieben hätte. — Es ist in der Uuglückseligkeit dieser Zweifel ebenso wie in der Allwissenheit des naturphilosophischen Dilettanten sehr viel bloßer Klingklang; selbst bei Schelling, aber namentlich bei vielen seiner Nachfolger würde man sich geradezu in die Schusterwerkstatt Jacob Böhme's versetzt fühlen, der sich das Weltall in seinem Kopf zurecht legte, wie es ein pietistischer und überspannter Schuster in seiner Einsamkeit sich eben zurecht zu legen pflegt — wenn man nicht durch die Sprache an geschultes Denken erinnert würde. Diese naturphilosophischen Dilettanten haben ihre eigenthümliche skeptische Form auf heilige Gegenstände angewendet, die da¬ durch in ein ganz neues, wunderliches Licht versetzt werden; man lese z. B., was der tiefsinnige Novalis oder die beiden frivolen Feuilletonisten Heine und Alfred de Musset über das Christenthum faseln, so weiß man nicht recht, ob man es mit der Göttin Astarte oder mit dem Mexikanischen Vitzliputzli zu thun hat; das wird

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_345606/34>, abgerufen am 20.06.2024.