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Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. I. Band.

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Wahrheit wird großen Seelen die Ehre nicht zuwider machen; im Gegentheil."
Es kommt aber nicht darauf an, was man darstellt, sondern wie man es dar¬
stellt. Man kann das Böse darstellen, anch im äußerlichen Triumph über das
Gute, obgleich die Manier der neueren Novellisten, überall dem Schlechten den
Sieg zu geben, etwas Krankhaftes hat, und auch ästhetisch einen unbefriedigender
Eindruck zurückläßt; aber im Geist des Dichters muß das Gute vom Bösen un¬
terschieden sein. Wo dieser Unterschied dnrch eine skeptische Reflexion oder
durch eine weichliche Humanität zersetzt ist, beginnt das Reich der Unsittlichkeit.
Das ist hier der Fall: die Sünden, welche die Heldin des Romans begeht, kom¬
men ans das Haupt der Dichterin, denn diese weiß es nicht mehr, daß es
Sünden sind; aus der individuellen Schuld wird ein eingebildeter Bruch der
Gesellschaft.

Der sittliche Gegenstand der Dichtung ist das Wesen der Ehe und das
Wesen der Liebe. Beides ist mißverstanden. -- Aus deu Reminiscenzen ihrer
eigenen Vergangenheit schildert Georges Sand ein übel assortirtes Paar: den
Oberst Delmare, der, von Abstammung ein Plebejer, in der Schule des Krieges
vollends roh und stumpf geworden, die zartgestimmte Seele seiner Gattin Jn-
diana, die er noch dazu als Aristokratin mit Mißtrauen ausieht, uicht versteht.
Die schriftstellernden Engländerinnen macheu sich häufig an ähnliche Verhältnisse;
aber sie wagen es nie, von Seiten des gekränkten Theils deu Versuch zu umge¬
hen, dieses der Anlage nach verdrehte Verhältniß durch die unverdrossene An¬
strengung einer sittlichen Energie zu bessern. Im Protestantismus hat überhaupt das
Institut der Ehe zwar nicht die schimmernde Würde eines Sacraments, aber
eine tiefere sittliche Bedeutung, als bei den Katholiken, die, wenn sie äußerlich
ihre Pflicht nicht verletzen, Gott und den Menschen vollkommen wohlgefällig zu
sein glauben. Gegen die Brutalitäten und die widersinnigen Entfalte ihres Man-
nes zu kämpfen, ist Jndiana zu vornehm (gerade wie Eugen Sue's Mathilde,
Balzac's Frau von Mvrtsauf und hundert ähnliche neuere Nomauftguren); sie
begegnet ihnen mit einem stuuloseu, höhnischen Gehorsam, und ringt dann als
gekränkte Unschuld die Hände, wenn diese Sinnlosigkeit natürlich ihren Mann von
Neuem aufbringt. Georges Sand ist wahrhaft erfinderisch in den kleinen Bos¬
heiten, wodurch das schwächere Geschlecht die Ungeschicklichkeit der derberen Natur
in Verzweiflung setzen kann, und sie steht dabei überall auf Seite Zudiana's; sie
fühlt es nicht, daß diese kleinen Nadelstiche von einem unsittlicheren Gemüth
ausgehen, als die einfache Rohheit des Mannes. "Sie war grausam gegen ihren
Mann," sagt sie, -- ,,aus Tugend!!"

Dieser kleine Krieg führt, wie es in der Ordnung ist, zuletzt zu einem offenen
Treubruch. Auch diesen sucht Georges Sand dnrch allerlei "mitwirkende Ursachen"
zu beschönigen. -- Der Gegenstand der Neigung ist der immer wiederkehrende
Horace Cazales; -- hier Naymon de Namivve -- diesmal mit einem mehr well-


Wahrheit wird großen Seelen die Ehre nicht zuwider machen; im Gegentheil."
Es kommt aber nicht darauf an, was man darstellt, sondern wie man es dar¬
stellt. Man kann das Böse darstellen, anch im äußerlichen Triumph über das
Gute, obgleich die Manier der neueren Novellisten, überall dem Schlechten den
Sieg zu geben, etwas Krankhaftes hat, und auch ästhetisch einen unbefriedigender
Eindruck zurückläßt; aber im Geist des Dichters muß das Gute vom Bösen un¬
terschieden sein. Wo dieser Unterschied dnrch eine skeptische Reflexion oder
durch eine weichliche Humanität zersetzt ist, beginnt das Reich der Unsittlichkeit.
Das ist hier der Fall: die Sünden, welche die Heldin des Romans begeht, kom¬
men ans das Haupt der Dichterin, denn diese weiß es nicht mehr, daß es
Sünden sind; aus der individuellen Schuld wird ein eingebildeter Bruch der
Gesellschaft.

Der sittliche Gegenstand der Dichtung ist das Wesen der Ehe und das
Wesen der Liebe. Beides ist mißverstanden. — Aus deu Reminiscenzen ihrer
eigenen Vergangenheit schildert Georges Sand ein übel assortirtes Paar: den
Oberst Delmare, der, von Abstammung ein Plebejer, in der Schule des Krieges
vollends roh und stumpf geworden, die zartgestimmte Seele seiner Gattin Jn-
diana, die er noch dazu als Aristokratin mit Mißtrauen ausieht, uicht versteht.
Die schriftstellernden Engländerinnen macheu sich häufig an ähnliche Verhältnisse;
aber sie wagen es nie, von Seiten des gekränkten Theils deu Versuch zu umge¬
hen, dieses der Anlage nach verdrehte Verhältniß durch die unverdrossene An¬
strengung einer sittlichen Energie zu bessern. Im Protestantismus hat überhaupt das
Institut der Ehe zwar nicht die schimmernde Würde eines Sacraments, aber
eine tiefere sittliche Bedeutung, als bei den Katholiken, die, wenn sie äußerlich
ihre Pflicht nicht verletzen, Gott und den Menschen vollkommen wohlgefällig zu
sein glauben. Gegen die Brutalitäten und die widersinnigen Entfalte ihres Man-
nes zu kämpfen, ist Jndiana zu vornehm (gerade wie Eugen Sue's Mathilde,
Balzac's Frau von Mvrtsauf und hundert ähnliche neuere Nomauftguren); sie
begegnet ihnen mit einem stuuloseu, höhnischen Gehorsam, und ringt dann als
gekränkte Unschuld die Hände, wenn diese Sinnlosigkeit natürlich ihren Mann von
Neuem aufbringt. Georges Sand ist wahrhaft erfinderisch in den kleinen Bos¬
heiten, wodurch das schwächere Geschlecht die Ungeschicklichkeit der derberen Natur
in Verzweiflung setzen kann, und sie steht dabei überall auf Seite Zudiana's; sie
fühlt es nicht, daß diese kleinen Nadelstiche von einem unsittlicheren Gemüth
ausgehen, als die einfache Rohheit des Mannes. „Sie war grausam gegen ihren
Mann," sagt sie, — ,,aus Tugend!!"

Dieser kleine Krieg führt, wie es in der Ordnung ist, zuletzt zu einem offenen
Treubruch. Auch diesen sucht Georges Sand dnrch allerlei „mitwirkende Ursachen"
zu beschönigen. — Der Gegenstand der Neigung ist der immer wiederkehrende
Horace Cazales; — hier Naymon de Namivve — diesmal mit einem mehr well-


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[0338] Wahrheit wird großen Seelen die Ehre nicht zuwider machen; im Gegentheil." Es kommt aber nicht darauf an, was man darstellt, sondern wie man es dar¬ stellt. Man kann das Böse darstellen, anch im äußerlichen Triumph über das Gute, obgleich die Manier der neueren Novellisten, überall dem Schlechten den Sieg zu geben, etwas Krankhaftes hat, und auch ästhetisch einen unbefriedigender Eindruck zurückläßt; aber im Geist des Dichters muß das Gute vom Bösen un¬ terschieden sein. Wo dieser Unterschied dnrch eine skeptische Reflexion oder durch eine weichliche Humanität zersetzt ist, beginnt das Reich der Unsittlichkeit. Das ist hier der Fall: die Sünden, welche die Heldin des Romans begeht, kom¬ men ans das Haupt der Dichterin, denn diese weiß es nicht mehr, daß es Sünden sind; aus der individuellen Schuld wird ein eingebildeter Bruch der Gesellschaft. Der sittliche Gegenstand der Dichtung ist das Wesen der Ehe und das Wesen der Liebe. Beides ist mißverstanden. — Aus deu Reminiscenzen ihrer eigenen Vergangenheit schildert Georges Sand ein übel assortirtes Paar: den Oberst Delmare, der, von Abstammung ein Plebejer, in der Schule des Krieges vollends roh und stumpf geworden, die zartgestimmte Seele seiner Gattin Jn- diana, die er noch dazu als Aristokratin mit Mißtrauen ausieht, uicht versteht. Die schriftstellernden Engländerinnen macheu sich häufig an ähnliche Verhältnisse; aber sie wagen es nie, von Seiten des gekränkten Theils deu Versuch zu umge¬ hen, dieses der Anlage nach verdrehte Verhältniß durch die unverdrossene An¬ strengung einer sittlichen Energie zu bessern. Im Protestantismus hat überhaupt das Institut der Ehe zwar nicht die schimmernde Würde eines Sacraments, aber eine tiefere sittliche Bedeutung, als bei den Katholiken, die, wenn sie äußerlich ihre Pflicht nicht verletzen, Gott und den Menschen vollkommen wohlgefällig zu sein glauben. Gegen die Brutalitäten und die widersinnigen Entfalte ihres Man- nes zu kämpfen, ist Jndiana zu vornehm (gerade wie Eugen Sue's Mathilde, Balzac's Frau von Mvrtsauf und hundert ähnliche neuere Nomauftguren); sie begegnet ihnen mit einem stuuloseu, höhnischen Gehorsam, und ringt dann als gekränkte Unschuld die Hände, wenn diese Sinnlosigkeit natürlich ihren Mann von Neuem aufbringt. Georges Sand ist wahrhaft erfinderisch in den kleinen Bos¬ heiten, wodurch das schwächere Geschlecht die Ungeschicklichkeit der derberen Natur in Verzweiflung setzen kann, und sie steht dabei überall auf Seite Zudiana's; sie fühlt es nicht, daß diese kleinen Nadelstiche von einem unsittlicheren Gemüth ausgehen, als die einfache Rohheit des Mannes. „Sie war grausam gegen ihren Mann," sagt sie, — ,,aus Tugend!!" Dieser kleine Krieg führt, wie es in der Ordnung ist, zuletzt zu einem offenen Treubruch. Auch diesen sucht Georges Sand dnrch allerlei „mitwirkende Ursachen" zu beschönigen. — Der Gegenstand der Neigung ist der immer wiederkehrende Horace Cazales; — hier Naymon de Namivve — diesmal mit einem mehr well-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_345606/338>, abgerufen am 28.06.2024.