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Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. I. Band.

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"Doch wenn ein begeisterter Dichter erscheint, der Hellas preiset und rühmet,
Und in Blumen verflicht klugsinnigcn Rath, Goldworte in goldene Verse,
Den lasset, dem einsamen Kukuk gleich, in verlassener Oede ihr singen.
Doch es fraget der weise Poet nicht, wohin sich die Wagschal' senket der Volksgunst,
Nicht singet er, jagend nach Händegeklatsch, eintägiges Lob sich erhäschend,
Nein, singt, wie die liebliche Nachtigall singt, wie der Zephyr, hauchend in Blüthen,
Wie Zither vou goldenem Plektrum, das Herz von dem Plektrmn gerührt der Be-
geistrung.
Weit schweifet die Seele des Dichters von euch zu den Männern entschwundener Jahre,
Da edle Poeten in glänzender Zeit werth galten auch edlerer Richter
Und mächtigen Ruhmes und goldener Kranz' und bereiteter Ehre bei Fürsten.
Und es schweifet die sehnende Seele noch fort zum Geschlechte der Menschen von damals,
Da frei sie vom Neide und rein sie vom Haß aufs Grab den gestorbenen Sängern
Lorbeeren gelegt und späten Tribut, doch gerechten des keuschester Lobes."

Nhangawis ist also ein romantischer Reactionär gegen den geschichtlich ent¬
wickelten neuen Geist seiner Sprache und seines Volkes. Doch kommt ihm
zweierlei dabei zu Statten.

Einmal steht er nicht allein. Die neugriechische Bildung, die allerdings
wenigstens ebenso von den deutschen Universitäten genährt ist, als durch eine in¬
nere Wiedergeburt des Volks, wendet sich überhaupt nach dieser Richtung hin.
Man sucht die Sprache zu pnrificiren, man studirt die alten Dichter, man ist ge¬
neigt, wieder in den alten mythologischen Bildern zu sprechen. Bis zu welchem
Grade ein solches, immer etwas erkünsteltes Vorhabell gelingen wird, ist noch
nicht recht abzusehen. Soll es überhaupt einen Erfolg haben, so kann dieser
nur in einer Versöhnung der Gegensätze bestehen. Zwar sind noch Anknüpfungs-
punkte genug vorhanden; aber die Homerische Mythologie und das russische
Christenthum, das antike Heldeuwesen und die pseudo-constitutionelle Spielerei,
rhythmische Chöre und der Verlust der Q-nantität, das will doch Alles nicht recht
stimmen. Freilich muß man zugeben, daß ans einer organischen Entwickelung der
bisherigen neugriechischen Poesie nicht viel herausgekommen wäre. Zwar waren
für uns die etwas eintönigen Volkslieder mit den stereotypen Vöglein, die von
dem Tode irgend eines Klephthenhäuptliugs sangen, interessant genug, aber doch
nur so weit, wie es poetische Naturlaute überhaupt sein können. Sie rangir-
ten mit den Serben, den Lithauern u. s. w. Verloren ist also durch die neuen
Experimente nichts, und einen Versuch war das alte Hellas wohl werth.

Noch wichtiger ist der zweite Umstand. Wir haben es mit einem wirklichen
Dichter zu thun, einem Dichter, der nicht nur mit warmer Liebe und empfäng¬
lichen Gemüth an der Quelle der alten Dichtkunst geschöpft, sondern der sich
anch in dem wirklichen Leben mit klarem und gefunden Auge umgesehen hat, und
der Zustände und Gestalten mit anerkennenswerter Plastik und Lebendigkeit wie¬
derzugeben weiß. -- Wir gehören nicht zu den unbedingten Verehrern der Ari¬
stophanischen Kunstform; für uns ist diese beständige Metamorphose der einen
Persönlichkeit in die andere ein Kant gout, der nicht eben geeignet ist, den ge-


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„Doch wenn ein begeisterter Dichter erscheint, der Hellas preiset und rühmet,
Und in Blumen verflicht klugsinnigcn Rath, Goldworte in goldene Verse,
Den lasset, dem einsamen Kukuk gleich, in verlassener Oede ihr singen.
Doch es fraget der weise Poet nicht, wohin sich die Wagschal' senket der Volksgunst,
Nicht singet er, jagend nach Händegeklatsch, eintägiges Lob sich erhäschend,
Nein, singt, wie die liebliche Nachtigall singt, wie der Zephyr, hauchend in Blüthen,
Wie Zither vou goldenem Plektrum, das Herz von dem Plektrmn gerührt der Be-
geistrung.
Weit schweifet die Seele des Dichters von euch zu den Männern entschwundener Jahre,
Da edle Poeten in glänzender Zeit werth galten auch edlerer Richter
Und mächtigen Ruhmes und goldener Kranz' und bereiteter Ehre bei Fürsten.
Und es schweifet die sehnende Seele noch fort zum Geschlechte der Menschen von damals,
Da frei sie vom Neide und rein sie vom Haß aufs Grab den gestorbenen Sängern
Lorbeeren gelegt und späten Tribut, doch gerechten des keuschester Lobes."

Nhangawis ist also ein romantischer Reactionär gegen den geschichtlich ent¬
wickelten neuen Geist seiner Sprache und seines Volkes. Doch kommt ihm
zweierlei dabei zu Statten.

Einmal steht er nicht allein. Die neugriechische Bildung, die allerdings
wenigstens ebenso von den deutschen Universitäten genährt ist, als durch eine in¬
nere Wiedergeburt des Volks, wendet sich überhaupt nach dieser Richtung hin.
Man sucht die Sprache zu pnrificiren, man studirt die alten Dichter, man ist ge¬
neigt, wieder in den alten mythologischen Bildern zu sprechen. Bis zu welchem
Grade ein solches, immer etwas erkünsteltes Vorhabell gelingen wird, ist noch
nicht recht abzusehen. Soll es überhaupt einen Erfolg haben, so kann dieser
nur in einer Versöhnung der Gegensätze bestehen. Zwar sind noch Anknüpfungs-
punkte genug vorhanden; aber die Homerische Mythologie und das russische
Christenthum, das antike Heldeuwesen und die pseudo-constitutionelle Spielerei,
rhythmische Chöre und der Verlust der Q-nantität, das will doch Alles nicht recht
stimmen. Freilich muß man zugeben, daß ans einer organischen Entwickelung der
bisherigen neugriechischen Poesie nicht viel herausgekommen wäre. Zwar waren
für uns die etwas eintönigen Volkslieder mit den stereotypen Vöglein, die von
dem Tode irgend eines Klephthenhäuptliugs sangen, interessant genug, aber doch
nur so weit, wie es poetische Naturlaute überhaupt sein können. Sie rangir-
ten mit den Serben, den Lithauern u. s. w. Verloren ist also durch die neuen
Experimente nichts, und einen Versuch war das alte Hellas wohl werth.

Noch wichtiger ist der zweite Umstand. Wir haben es mit einem wirklichen
Dichter zu thun, einem Dichter, der nicht nur mit warmer Liebe und empfäng¬
lichen Gemüth an der Quelle der alten Dichtkunst geschöpft, sondern der sich
anch in dem wirklichen Leben mit klarem und gefunden Auge umgesehen hat, und
der Zustände und Gestalten mit anerkennenswerter Plastik und Lebendigkeit wie¬
derzugeben weiß. — Wir gehören nicht zu den unbedingten Verehrern der Ari¬
stophanischen Kunstform; für uns ist diese beständige Metamorphose der einen
Persönlichkeit in die andere ein Kant gout, der nicht eben geeignet ist, den ge-


38*
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_345606/311>, abgerufen am 04.07.2024.