Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. I. Band.und zu neuer Macht und größerem Ansehen gelangen sollen. Aber das Uebermaß Amerika ist das Land auf der Erde, wo vielleicht die Presse den wenigsten In England gibt es für circa 36 Millionen Menschen ziemlich 370 Zeitungen. Alle Reisenden in den Vereinigten Staaten und die geachtetsten Staatsmänner und zu neuer Macht und größerem Ansehen gelangen sollen. Aber das Uebermaß Amerika ist das Land auf der Erde, wo vielleicht die Presse den wenigsten In England gibt es für circa 36 Millionen Menschen ziemlich 370 Zeitungen. Alle Reisenden in den Vereinigten Staaten und die geachtetsten Staatsmänner <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0240" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/91978"/> <p xml:id="ID_735" prev="#ID_734"> und zu neuer Macht und größerem Ansehen gelangen sollen. Aber das Uebermaß<lb/> der Freiheit nahm ihr die Kraft.</p><lb/> <p xml:id="ID_736"> Amerika ist das Land auf der Erde, wo vielleicht die Presse den wenigsten<lb/> nützlichen Einfluß hat und wo es zugleich am meisten Zeitungen gibt. Die ame¬<lb/> rikanischen Zeitungen sind fast ausschließlich den Nachrichten gewidmet; dieser ma¬<lb/> terielle Theil des Journalismus hat Alles absorbirt; das Talent gilt ihnen wenig;<lb/> sie kennen keine andere Rivalität. Da die ganze Bevölkerung Amerikas auf irgeud<lb/> ein Blatt abonnirt ist und die kleinste Farm eine oder mehrere Zeitungen<lb/> hält, so handelt es sich lediglich darum, jedem andern Blatt mit den neuesten<lb/> Nachrichten zuvorzukommen. Um dies zu erreichen, ist der Herausgeber eiuer ame¬<lb/> rikanischen Zeitung jedes Opfers, jeder Anstrengung sähig. Relais, Couriere,<lb/> Extrazüge werden benutzt und der electrische Telegraph mit einer in Europa unbe¬<lb/> kannten Ausdehnung in Anwendung gebracht, wie z. B. schon die Eröffnungsbot¬<lb/> schaft des Präsidenten, in der Regel ein sehr umfangreiches Document, dnrch elec-<lb/> trischen Telegraphen an die Redactionen versendet worden ist. Auch die aus<lb/> Europa ankommenden Dampfschiffe werden schon Meilen vom Lande von den<lb/> Booten der Zeitungsredactionen angehalten, die dann, so wie sie ihre Correspon-<lb/> denzen erhalten haben, sie gleich unterwegs für das Blatt zurechtmachen. Einer<lb/> besiegte seine Concurrenten mit Hilfe eines Pfeils, den er sich vom Schiffe aus<lb/> zusenden ließ. Fast jede Stadt, selbst die kleinste, ist im Besitz mehrerer Zeitungen.<lb/> Es gibt welche, die dreimal, zweimal, einmal wöchentlich erscheinen. Rochester<lb/> mit seinen 30,000 Einwohnern besitzt fünf Zeitungen, die aber nichts als Anzeigen,<lb/> Iuserate und manchmal Injurien enthalten. ,,Kein Amerikaner", sagt Toqueville<lb/> in seinem vortrefflichen Werke über Amerika, „würde eine Beschränkung der Preß-<lb/> freiheit vorzuschlagen wagen." Die Frechheit der nordamerikanischen Presse über¬<lb/> steigt alles Maß; „zu oft", sagt das MMmneriean Kepler, „sind die Zeitungen<lb/> die Organe der niedrigsten und fenster Leidenschaften. Sie tragen wenig ein,<lb/> können keinem nützlichen oder ehrenwerthen Interesse förderlich sein und sind eine<lb/> Schmach sür das Land". .</p><lb/> <p xml:id="ID_737"> In England gibt es für circa 36 Millionen Menschen ziemlich 370 Zeitungen.<lb/> Die 14 Millionen Einwohner der Vereinigten Staaten besitzen jetzt 11000 Zei¬<lb/> tungen.</p><lb/> <p xml:id="ID_738" next="#ID_739"> Alle Reisenden in den Vereinigten Staaten und die geachtetsten Staatsmänner<lb/> des Landes selbst — wir führen nur Webster an — sind einig in ihrem Tadel<lb/> des frechen und gemeinen Tones der dortigen Presse. Aber wunderbarer Weise<lb/> scheint die Verleumdung in diesen Blättern nicht die mindeste Wirkung zu haben.<lb/> Man darf deshalb nicht glauben, daß die Amerikaner kein Gefühl für Ehre hätten.<lb/> Aber in diesem Lande der Thatsache und der That hat auch nur die That Be¬<lb/> deutung, und man achtet wenig des Worts; es handelt sich hier darum, den Ur¬<lb/> wald urbar zu machen, zu Pflanzen und Städte zu bauen, nicht aber Phrasen zu</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0240]
und zu neuer Macht und größerem Ansehen gelangen sollen. Aber das Uebermaß
der Freiheit nahm ihr die Kraft.
Amerika ist das Land auf der Erde, wo vielleicht die Presse den wenigsten
nützlichen Einfluß hat und wo es zugleich am meisten Zeitungen gibt. Die ame¬
rikanischen Zeitungen sind fast ausschließlich den Nachrichten gewidmet; dieser ma¬
terielle Theil des Journalismus hat Alles absorbirt; das Talent gilt ihnen wenig;
sie kennen keine andere Rivalität. Da die ganze Bevölkerung Amerikas auf irgeud
ein Blatt abonnirt ist und die kleinste Farm eine oder mehrere Zeitungen
hält, so handelt es sich lediglich darum, jedem andern Blatt mit den neuesten
Nachrichten zuvorzukommen. Um dies zu erreichen, ist der Herausgeber eiuer ame¬
rikanischen Zeitung jedes Opfers, jeder Anstrengung sähig. Relais, Couriere,
Extrazüge werden benutzt und der electrische Telegraph mit einer in Europa unbe¬
kannten Ausdehnung in Anwendung gebracht, wie z. B. schon die Eröffnungsbot¬
schaft des Präsidenten, in der Regel ein sehr umfangreiches Document, dnrch elec-
trischen Telegraphen an die Redactionen versendet worden ist. Auch die aus
Europa ankommenden Dampfschiffe werden schon Meilen vom Lande von den
Booten der Zeitungsredactionen angehalten, die dann, so wie sie ihre Correspon-
denzen erhalten haben, sie gleich unterwegs für das Blatt zurechtmachen. Einer
besiegte seine Concurrenten mit Hilfe eines Pfeils, den er sich vom Schiffe aus
zusenden ließ. Fast jede Stadt, selbst die kleinste, ist im Besitz mehrerer Zeitungen.
Es gibt welche, die dreimal, zweimal, einmal wöchentlich erscheinen. Rochester
mit seinen 30,000 Einwohnern besitzt fünf Zeitungen, die aber nichts als Anzeigen,
Iuserate und manchmal Injurien enthalten. ,,Kein Amerikaner", sagt Toqueville
in seinem vortrefflichen Werke über Amerika, „würde eine Beschränkung der Preß-
freiheit vorzuschlagen wagen." Die Frechheit der nordamerikanischen Presse über¬
steigt alles Maß; „zu oft", sagt das MMmneriean Kepler, „sind die Zeitungen
die Organe der niedrigsten und fenster Leidenschaften. Sie tragen wenig ein,
können keinem nützlichen oder ehrenwerthen Interesse förderlich sein und sind eine
Schmach sür das Land". .
In England gibt es für circa 36 Millionen Menschen ziemlich 370 Zeitungen.
Die 14 Millionen Einwohner der Vereinigten Staaten besitzen jetzt 11000 Zei¬
tungen.
Alle Reisenden in den Vereinigten Staaten und die geachtetsten Staatsmänner
des Landes selbst — wir führen nur Webster an — sind einig in ihrem Tadel
des frechen und gemeinen Tones der dortigen Presse. Aber wunderbarer Weise
scheint die Verleumdung in diesen Blättern nicht die mindeste Wirkung zu haben.
Man darf deshalb nicht glauben, daß die Amerikaner kein Gefühl für Ehre hätten.
Aber in diesem Lande der Thatsache und der That hat auch nur die That Be¬
deutung, und man achtet wenig des Worts; es handelt sich hier darum, den Ur¬
wald urbar zu machen, zu Pflanzen und Städte zu bauen, nicht aber Phrasen zu
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