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Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. I. Band.

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forscher in Verzweiflung versetzenden Regelmäßigkeit während der Parlaments¬
vertagungen zeigt, und sich in den Vereinigten Staaten so wunderbar vermehrt
hat; dem ?vim^-a-1mei' verdanken wir die Kenntniß eines vertraulichen Ge¬
spräches zwischen der Königin Victoria und einem Kupferstecher, der in den Palast
gerufen wordeu war, um Ihre Majestät in die Geheimnisse seiner Kunst einzu¬
weihen, und dessen Schluß uns einen tiefen Einblick in die Naivität der eng¬
lischen Hofsitte thun läßt. -- "Die Königin," berichtet der ?cum7-a-1mer, "be¬
fahl ihrer Kammerfrau, dem Kupferstecher eine sorgfältig in graues Papier
gewickelte Guinee von der Treppe herunter zu werfen." Diese schöne und
ausnehmend glaubhafte Geschichte stand am 15. Juli 1850 in einer der größten
und angesehensten Zeitung Londons. Die Engländer, die in solchen Sachen
nicht so empfindlich sind wie wir, haben blos darüber gelacht, und Niemandem
ist es eingefallen, den ?em^-a-1mer wegen Majestätsbeleidigung vor Gericht zu
stellen.

Die Industrie bemächtigte sich bald dieses Talents der wohltönenden Phrase.
Das Inserat, das zu Addison's Zeiten sich mit einem bescheidenen Plätzchen am
Ende des spectator und des Tattler begnügt hatte, sing jetzt an einen ziemlich
beträchtlichen Theil der Zeitung in Anspruch zu nehmen. Es war ein Glück für
das Zeitungswesen; der Stempel und der hohe Preis des Papiers hätten dem
Unternehmer jeden Gewinn von vornherein weggenommen, wenn nicht die der
Öffentlichkeit bedürftige Industrie ihm zu Hilfe gekommen wäre. Nur behutsam
und ganz allmälig schlich sich die Beredsamkeit des Ladentisches in die Zeitungen
ein. 1695 auuoncirte sich Madame Baker, Modistin und Liugere, in der Mor-
ning Post: Piccadilly, 37, "Roben und Hüte nach neuester und schönster Fayon,
unter besonderm Schutz der Damen vom Hofe." Das war bescheiden. 1712
nahm ein kecker Schuhmacher die Posaune und kündigte im Daily Courier an
"seine Stiefeln, welche der Adel aller drei Königreiche mit Stolz trägt." So
entwickelten sich die Annoncen rasch weiter; und schou 1760 liest man im Court
Journal fünfundzwanzig Verse zu Ehren eines berühmten Hutmachers. Die An¬
nonce wurde eine Macht; der Handel und die Industrie fanden sicherlich ihre
Rechnung dabei.

Bald fand sich für die neue Kunst ein neues Wort. Die Sitte hochtönen¬
der Inserate hieß Pnsfing, und Sheridan (im Critic) brachte sie in ein System.
"Der Puff," sagt er, "ist versteckt, indirect, direct, heftig, sanft, gelehrt durch
Beistimmung, durch Widerspruch." Zu jeder Sorte gibt er Beispiele. -- Je¬
denfalls hat die Annonce anch in dieser abenteuerlichen Gestalt dem englischen
Handel außerordeutlich genützt.

"Ich finde in dem mit Annoncen angefüllten Blatte," sagt der geistreiche
Humorist Leigh Hund, "das ganze Ideal, das mir im Leben fehlt. Allerliebste
Annoncen! Die hübsche Katze, die sich in einem blanken Stiefel besieht! Die


forscher in Verzweiflung versetzenden Regelmäßigkeit während der Parlaments¬
vertagungen zeigt, und sich in den Vereinigten Staaten so wunderbar vermehrt
hat; dem ?vim^-a-1mei' verdanken wir die Kenntniß eines vertraulichen Ge¬
spräches zwischen der Königin Victoria und einem Kupferstecher, der in den Palast
gerufen wordeu war, um Ihre Majestät in die Geheimnisse seiner Kunst einzu¬
weihen, und dessen Schluß uns einen tiefen Einblick in die Naivität der eng¬
lischen Hofsitte thun läßt. — „Die Königin," berichtet der ?cum7-a-1mer, „be¬
fahl ihrer Kammerfrau, dem Kupferstecher eine sorgfältig in graues Papier
gewickelte Guinee von der Treppe herunter zu werfen." Diese schöne und
ausnehmend glaubhafte Geschichte stand am 15. Juli 1850 in einer der größten
und angesehensten Zeitung Londons. Die Engländer, die in solchen Sachen
nicht so empfindlich sind wie wir, haben blos darüber gelacht, und Niemandem
ist es eingefallen, den ?em^-a-1mer wegen Majestätsbeleidigung vor Gericht zu
stellen.

Die Industrie bemächtigte sich bald dieses Talents der wohltönenden Phrase.
Das Inserat, das zu Addison's Zeiten sich mit einem bescheidenen Plätzchen am
Ende des spectator und des Tattler begnügt hatte, sing jetzt an einen ziemlich
beträchtlichen Theil der Zeitung in Anspruch zu nehmen. Es war ein Glück für
das Zeitungswesen; der Stempel und der hohe Preis des Papiers hätten dem
Unternehmer jeden Gewinn von vornherein weggenommen, wenn nicht die der
Öffentlichkeit bedürftige Industrie ihm zu Hilfe gekommen wäre. Nur behutsam
und ganz allmälig schlich sich die Beredsamkeit des Ladentisches in die Zeitungen
ein. 1695 auuoncirte sich Madame Baker, Modistin und Liugere, in der Mor-
ning Post: Piccadilly, 37, „Roben und Hüte nach neuester und schönster Fayon,
unter besonderm Schutz der Damen vom Hofe." Das war bescheiden. 1712
nahm ein kecker Schuhmacher die Posaune und kündigte im Daily Courier an
„seine Stiefeln, welche der Adel aller drei Königreiche mit Stolz trägt." So
entwickelten sich die Annoncen rasch weiter; und schou 1760 liest man im Court
Journal fünfundzwanzig Verse zu Ehren eines berühmten Hutmachers. Die An¬
nonce wurde eine Macht; der Handel und die Industrie fanden sicherlich ihre
Rechnung dabei.

Bald fand sich für die neue Kunst ein neues Wort. Die Sitte hochtönen¬
der Inserate hieß Pnsfing, und Sheridan (im Critic) brachte sie in ein System.
„Der Puff," sagt er, „ist versteckt, indirect, direct, heftig, sanft, gelehrt durch
Beistimmung, durch Widerspruch." Zu jeder Sorte gibt er Beispiele. — Je¬
denfalls hat die Annonce anch in dieser abenteuerlichen Gestalt dem englischen
Handel außerordeutlich genützt.

„Ich finde in dem mit Annoncen angefüllten Blatte," sagt der geistreiche
Humorist Leigh Hund, „das ganze Ideal, das mir im Leben fehlt. Allerliebste
Annoncen! Die hübsche Katze, die sich in einem blanken Stiefel besieht! Die


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[0238] forscher in Verzweiflung versetzenden Regelmäßigkeit während der Parlaments¬ vertagungen zeigt, und sich in den Vereinigten Staaten so wunderbar vermehrt hat; dem ?vim^-a-1mei' verdanken wir die Kenntniß eines vertraulichen Ge¬ spräches zwischen der Königin Victoria und einem Kupferstecher, der in den Palast gerufen wordeu war, um Ihre Majestät in die Geheimnisse seiner Kunst einzu¬ weihen, und dessen Schluß uns einen tiefen Einblick in die Naivität der eng¬ lischen Hofsitte thun läßt. — „Die Königin," berichtet der ?cum7-a-1mer, „be¬ fahl ihrer Kammerfrau, dem Kupferstecher eine sorgfältig in graues Papier gewickelte Guinee von der Treppe herunter zu werfen." Diese schöne und ausnehmend glaubhafte Geschichte stand am 15. Juli 1850 in einer der größten und angesehensten Zeitung Londons. Die Engländer, die in solchen Sachen nicht so empfindlich sind wie wir, haben blos darüber gelacht, und Niemandem ist es eingefallen, den ?em^-a-1mer wegen Majestätsbeleidigung vor Gericht zu stellen. Die Industrie bemächtigte sich bald dieses Talents der wohltönenden Phrase. Das Inserat, das zu Addison's Zeiten sich mit einem bescheidenen Plätzchen am Ende des spectator und des Tattler begnügt hatte, sing jetzt an einen ziemlich beträchtlichen Theil der Zeitung in Anspruch zu nehmen. Es war ein Glück für das Zeitungswesen; der Stempel und der hohe Preis des Papiers hätten dem Unternehmer jeden Gewinn von vornherein weggenommen, wenn nicht die der Öffentlichkeit bedürftige Industrie ihm zu Hilfe gekommen wäre. Nur behutsam und ganz allmälig schlich sich die Beredsamkeit des Ladentisches in die Zeitungen ein. 1695 auuoncirte sich Madame Baker, Modistin und Liugere, in der Mor- ning Post: Piccadilly, 37, „Roben und Hüte nach neuester und schönster Fayon, unter besonderm Schutz der Damen vom Hofe." Das war bescheiden. 1712 nahm ein kecker Schuhmacher die Posaune und kündigte im Daily Courier an „seine Stiefeln, welche der Adel aller drei Königreiche mit Stolz trägt." So entwickelten sich die Annoncen rasch weiter; und schou 1760 liest man im Court Journal fünfundzwanzig Verse zu Ehren eines berühmten Hutmachers. Die An¬ nonce wurde eine Macht; der Handel und die Industrie fanden sicherlich ihre Rechnung dabei. Bald fand sich für die neue Kunst ein neues Wort. Die Sitte hochtönen¬ der Inserate hieß Pnsfing, und Sheridan (im Critic) brachte sie in ein System. „Der Puff," sagt er, „ist versteckt, indirect, direct, heftig, sanft, gelehrt durch Beistimmung, durch Widerspruch." Zu jeder Sorte gibt er Beispiele. — Je¬ denfalls hat die Annonce anch in dieser abenteuerlichen Gestalt dem englischen Handel außerordeutlich genützt. „Ich finde in dem mit Annoncen angefüllten Blatte," sagt der geistreiche Humorist Leigh Hund, „das ganze Ideal, das mir im Leben fehlt. Allerliebste Annoncen! Die hübsche Katze, die sich in einem blanken Stiefel besieht! Die

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_345606/238>, abgerufen am 04.07.2024.