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Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. I. Band.

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stehlt, eine prächtige Collation zu bereiten, läßt die Galla-Livree vertheilen, die
Gemächer mit den schönsten Gewächsen schmücken, er hat nicht Nuhe, nicht Rast.
Die geladenen Damen kommen nach und nach im reichsten Piche angefahren, der
Maire erscheint mit seinen weiß gekleideten Jungfrauen, die damals in Frankreich
bei keiner Monarchenbegrüßung fehlen dursten, der von Laubwerk improvisirte
Triumphbogen ist noch glücklich an der Eingangspforte hergerichtet und hoch
flattert die weiße Fahne.

Das Laufen, Nennen, Rufen, sich Gegeneinanderstoßen besänftigt sich nach
und nach. Es ist gegen vier Ul)T nach Mittag, und dies die Zeit, in welcher
der König gewöhnlich durch das Gehölz kommt. Man eilt in den großen Saal,
von welchem man die Avenue hinabsehen kann, um bei dem ersten Anzeichen be¬
reit zu steheu. Das ganze Dorf, dem ebenfalls das Gerücht zukam, versammelt
sich vor der Pforte. Man harrt draußen, man harrt drinnen, aber noch immer
umsonst. In ungeduldiger Erwartung scheinen Minuten zu Stunden zu wachsen.
Man weiß nicht, kam der König sonst früher zurück, ist es noch nicht so spät, als
man glaubte -- man sieht -- man horcht -- eine Viertelstunde flieht nach
der andern.

Endlich, endlich, große Bewegung im Volke. Man sieht schon die Staub¬
wolken, die Cavalerie, die Vorreiter, die Carosse, man ruft: "der König kommt!
es lebe der König!" --

Herr v. R. stürzt hinaus auf den Perron, aber -- o! gräßliche Enttäu¬
schung -- der König fährt vorüber.

Man sagte einige Tage nachher, daß bei der Erzählung dieser vollkommen
gelungenen Mystification Ludwig XVIII. vor Lachen einen schwer zu besänftigen¬
der Stickhusten bekam.

Journale und kleine Boulevard-Theater bemächtigen sich sogleich dieser tragi¬
komischen Geschichte, was aber schnell wieder durch den wohlgespielter Geldbeutel
des Helden unterdrückt ward.

Vielleicht hätte ich mich dieser an und für sich unbedeutenden Posse nicht
einmal erinnert, gäbe sie nicht eine klare Abspiegelung grade desjenigen Theils
der Gesellschaft, welcher sich bei weitem noch nicht mit Würde in seiner neuen
Position zurecht finden konnte. Allerdings gehörte die Familie N. damals zu
den zweifachen Emporkömmlingen, denen früher nicht so sehr das Geld, als Unter¬
richt und gesellschaftliche Bildung gefehlt haben mußte, aber es waren mit dem
Frieden überhaupt dergleichen ans allen Ecken und Enden aufgetaucht."

Es folgt uun ein längeres, gar nicht uuiuteressautes Capitel über diesen
Gegenstand, das die weibliche Beobachtungsgabe verräth. Daß auch die kleinen
Lächerlichkeiten der Personen dieser nicht entgehen, versteht sich von selbst.

Ueber dieser Detailmalerei aber vergißt sie nicht das Allgemeine; die Personen
dienen ihr zum Vehikel der Schilderung der politischen und geselligen, der like-


stehlt, eine prächtige Collation zu bereiten, läßt die Galla-Livree vertheilen, die
Gemächer mit den schönsten Gewächsen schmücken, er hat nicht Nuhe, nicht Rast.
Die geladenen Damen kommen nach und nach im reichsten Piche angefahren, der
Maire erscheint mit seinen weiß gekleideten Jungfrauen, die damals in Frankreich
bei keiner Monarchenbegrüßung fehlen dursten, der von Laubwerk improvisirte
Triumphbogen ist noch glücklich an der Eingangspforte hergerichtet und hoch
flattert die weiße Fahne.

Das Laufen, Nennen, Rufen, sich Gegeneinanderstoßen besänftigt sich nach
und nach. Es ist gegen vier Ul)T nach Mittag, und dies die Zeit, in welcher
der König gewöhnlich durch das Gehölz kommt. Man eilt in den großen Saal,
von welchem man die Avenue hinabsehen kann, um bei dem ersten Anzeichen be¬
reit zu steheu. Das ganze Dorf, dem ebenfalls das Gerücht zukam, versammelt
sich vor der Pforte. Man harrt draußen, man harrt drinnen, aber noch immer
umsonst. In ungeduldiger Erwartung scheinen Minuten zu Stunden zu wachsen.
Man weiß nicht, kam der König sonst früher zurück, ist es noch nicht so spät, als
man glaubte — man sieht — man horcht — eine Viertelstunde flieht nach
der andern.

Endlich, endlich, große Bewegung im Volke. Man sieht schon die Staub¬
wolken, die Cavalerie, die Vorreiter, die Carosse, man ruft: „der König kommt!
es lebe der König!" —

Herr v. R. stürzt hinaus auf den Perron, aber — o! gräßliche Enttäu¬
schung — der König fährt vorüber.

Man sagte einige Tage nachher, daß bei der Erzählung dieser vollkommen
gelungenen Mystification Ludwig XVIII. vor Lachen einen schwer zu besänftigen¬
der Stickhusten bekam.

Journale und kleine Boulevard-Theater bemächtigen sich sogleich dieser tragi¬
komischen Geschichte, was aber schnell wieder durch den wohlgespielter Geldbeutel
des Helden unterdrückt ward.

Vielleicht hätte ich mich dieser an und für sich unbedeutenden Posse nicht
einmal erinnert, gäbe sie nicht eine klare Abspiegelung grade desjenigen Theils
der Gesellschaft, welcher sich bei weitem noch nicht mit Würde in seiner neuen
Position zurecht finden konnte. Allerdings gehörte die Familie N. damals zu
den zweifachen Emporkömmlingen, denen früher nicht so sehr das Geld, als Unter¬
richt und gesellschaftliche Bildung gefehlt haben mußte, aber es waren mit dem
Frieden überhaupt dergleichen ans allen Ecken und Enden aufgetaucht."

Es folgt uun ein längeres, gar nicht uuiuteressautes Capitel über diesen
Gegenstand, das die weibliche Beobachtungsgabe verräth. Daß auch die kleinen
Lächerlichkeiten der Personen dieser nicht entgehen, versteht sich von selbst.

Ueber dieser Detailmalerei aber vergißt sie nicht das Allgemeine; die Personen
dienen ihr zum Vehikel der Schilderung der politischen und geselligen, der like-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_345606/233>, abgerufen am 29.06.2024.