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Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. I. Band.

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mit welcher Bem die russische und östreichische Uebermacht aus Siebenbürgen zu
vertreiben wußte. Auch von den slavonischen Regimentern fochten anfänglich
einzelne Theile ans Seiten der Ungarn.

Die Organisation der Grenztruppen ist in ihrer Art einzig und nur in Ru߬
land hat man in den Militärcolonien dieselbell in manchen Stücken nachzuahmen
gesucht, auch in Schweden hat das sogenannte "eingetheilte Heer" einige Aehn-
lichkeit mit ihrer Einrichtung. Der Grenzsoldat ist zu Hanse Bauer und Soldat
zugleich, lebt heute im Kreise seiner Familie und morgen auf der Wache, verrichtet in der
einen Stunde in seiner Landestracht die friedlichen Arbeiten des Feldes, und nimmt
in der anderen die Muskete zur Hand, um in der Uniform des Kaisers zu exerciren.
Zwar soll der Grenzer nnr im Fall eines Krieges verpflichtet sein, außerhalb des
Bezirkes seines Regiments zu dienen; doch kehrt man sich an dieses Gesetz sehr
wenig, und hat oft Grenzbataillone 2--3 Jahre in Italien stehen lassen, wie
denn auch gegenwärtig dort Grenzer stehen. Steht der Grenzer unter den
Waffen, so empfängt er seine Löhnung ebenso wie jeder andere Soldat, zu
Hause bekommt er nichts und lebt wie die übrigen Bauern, von dem Ertrage
seiner Feldarbeit. In der Militärgrenze selbst ist die ganze Verwaltung rein
militärisch, es gibt keine Civilbeamten; die Officiere versehen den Dienst der¬
selben. Der Oberst ist zugleich Civilgouverneur seines Regimentöbezirks, der
Major verwaltet uuter ihm den Bezirk des Bataillons, der Hauptmann den der
Compagnie, der Lieutenant versieht die Stelle des Bürgermeisters in dem Dorfe,
wo er sein Quartier bekommen hat. Zur Besorgung der ökonomischen Geschäfte
hat jedes Regiment eine Anzahl voll jenen sogenannten Oekonomieofficieren,
denen diese besonders übertragen sind. Außer in Nußland gibt es wenig
Gegenden in Europa, deren Bewohner so ganz ohne Gesetz und Recht
vollkommen der unumschränktesten Willkürherrschaft ihrer Oberen unterworfen
sind, wie diese armen Grenzdistrikte. Zwar wenn die Officiere gerecht und
human sind, kaun das patriarchalisch-militärische Regiment, unter dem sie leben,
sich für sie vortheilhaft gestalten. Aber das Gegentheil ist nicht selten. Bis in
das Innere der Familien greift die strenge Militärherrschaft ein, und selbst ein
Lieutenant vermag in dem unter seiner Aufsicht stehenden Dorfe einen Druck aus-
zuüben, der uicht viel geriuger ist, wie der eines Paschas in den benachbarten
türkischen Provinzen. Auch die Gerichtsbarkeit ist in der ganzen Grenze militärisch,
und alle Urtheilssprüche werden von den Allditoren uuter dem Beisitze voll Offi-
cieren gefällt; alle Schule" siud eiuer militärische Organisation unterworfen, und
es wird nichts in denselben gelehrt, als was der Oberst befiehlt. Und trotz
dieser ganzen Methode, welche die Gegend in geistiger Verdummung und unbedingter
Anhänglichkeit an Oestreich erhalten soll, hat die Unzufriedenheit gegen die jetzige
Willkürherrschaft tiefe Wurzel geschlagen und zeigt sich in mannigfachen Sympto¬
men. Ans Ungarn haben sich in letzter Zeit Gedanken anch nach der Militär-


mit welcher Bem die russische und östreichische Uebermacht aus Siebenbürgen zu
vertreiben wußte. Auch von den slavonischen Regimentern fochten anfänglich
einzelne Theile ans Seiten der Ungarn.

Die Organisation der Grenztruppen ist in ihrer Art einzig und nur in Ru߬
land hat man in den Militärcolonien dieselbell in manchen Stücken nachzuahmen
gesucht, auch in Schweden hat das sogenannte „eingetheilte Heer" einige Aehn-
lichkeit mit ihrer Einrichtung. Der Grenzsoldat ist zu Hanse Bauer und Soldat
zugleich, lebt heute im Kreise seiner Familie und morgen auf der Wache, verrichtet in der
einen Stunde in seiner Landestracht die friedlichen Arbeiten des Feldes, und nimmt
in der anderen die Muskete zur Hand, um in der Uniform des Kaisers zu exerciren.
Zwar soll der Grenzer nnr im Fall eines Krieges verpflichtet sein, außerhalb des
Bezirkes seines Regiments zu dienen; doch kehrt man sich an dieses Gesetz sehr
wenig, und hat oft Grenzbataillone 2—3 Jahre in Italien stehen lassen, wie
denn auch gegenwärtig dort Grenzer stehen. Steht der Grenzer unter den
Waffen, so empfängt er seine Löhnung ebenso wie jeder andere Soldat, zu
Hause bekommt er nichts und lebt wie die übrigen Bauern, von dem Ertrage
seiner Feldarbeit. In der Militärgrenze selbst ist die ganze Verwaltung rein
militärisch, es gibt keine Civilbeamten; die Officiere versehen den Dienst der¬
selben. Der Oberst ist zugleich Civilgouverneur seines Regimentöbezirks, der
Major verwaltet uuter ihm den Bezirk des Bataillons, der Hauptmann den der
Compagnie, der Lieutenant versieht die Stelle des Bürgermeisters in dem Dorfe,
wo er sein Quartier bekommen hat. Zur Besorgung der ökonomischen Geschäfte
hat jedes Regiment eine Anzahl voll jenen sogenannten Oekonomieofficieren,
denen diese besonders übertragen sind. Außer in Nußland gibt es wenig
Gegenden in Europa, deren Bewohner so ganz ohne Gesetz und Recht
vollkommen der unumschränktesten Willkürherrschaft ihrer Oberen unterworfen
sind, wie diese armen Grenzdistrikte. Zwar wenn die Officiere gerecht und
human sind, kaun das patriarchalisch-militärische Regiment, unter dem sie leben,
sich für sie vortheilhaft gestalten. Aber das Gegentheil ist nicht selten. Bis in
das Innere der Familien greift die strenge Militärherrschaft ein, und selbst ein
Lieutenant vermag in dem unter seiner Aufsicht stehenden Dorfe einen Druck aus-
zuüben, der uicht viel geriuger ist, wie der eines Paschas in den benachbarten
türkischen Provinzen. Auch die Gerichtsbarkeit ist in der ganzen Grenze militärisch,
und alle Urtheilssprüche werden von den Allditoren uuter dem Beisitze voll Offi-
cieren gefällt; alle Schule» siud eiuer militärische Organisation unterworfen, und
es wird nichts in denselben gelehrt, als was der Oberst befiehlt. Und trotz
dieser ganzen Methode, welche die Gegend in geistiger Verdummung und unbedingter
Anhänglichkeit an Oestreich erhalten soll, hat die Unzufriedenheit gegen die jetzige
Willkürherrschaft tiefe Wurzel geschlagen und zeigt sich in mannigfachen Sympto¬
men. Ans Ungarn haben sich in letzter Zeit Gedanken anch nach der Militär-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_345606/196>, abgerufen am 27.06.2024.