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Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. I. Band.

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zu beruhigen suchte, auf der Bühne nach dem Befehl des Generals eine Ohnmacht
erheucheln, damit am nächsten Tage jedes Zischen im Theater bei Gefängnißstrafe
verboten werden konnte. Aehnliches kommt auch jetzt noch vor.

Fürst Paskiewicz ist über derartige Beziehungen seiner Beamten unterrichtet,
er würdigt sie keiner Beachtung, leider auch dann nicht, wenn sie dem Publicum
lästig und unangenehm werden. Er mag dieselben für eine unvermeidliche Unart
der russischen Vornehmen halten. Und das scheinen sie in der That. Mit Aus¬
nahme des Generals Okunieff weiß die scaudalisirende Societät in Warschau keinen
von all deu Stabsossicieren, der sich nicht des Besitzes einer oder mehrerer Mai¬
tressen erfreute, und jeder behandelt ein solches Verhältniß so ungenirt und öf¬
fentlich, als sei es die nothwendige Zugabe exclusiver Stellung"

Mit solcher Ungenirtheit treibt es in der That der General Graf T. aM
Weitesten. Er bewohnt die erste Etage eines Palastes. Die zweite seine Favoritin.
Beide Wohnungen siud durch eine zierliche eiserne Wendeltreppe mit einander
verbunden, welche in einem der inneren Zimmer angelegt ist. Diese Treppe, welche
zuweilen zu Scherzen an der Tafel des Statthalters Anlaß gegeben hat, soll von
dem Staatsrath Badeny eingerichtet worden sein :c. ze. -- Die Geschichte der
Treppe ist ein ganzer Roman im Ton von Alex. Dumas; ich habe nicht Grazie
genug, ihn zu schreiben.

Zu den nächsten Freunden des Fürsten Paskiewicz gehören die Generäle
Okunieff, Read und Urzokoss. Sie werden mit Brüderlichkeit empfangen, als be¬
währte alte Freunde zu jeder Zeit vorgelassen, und bilden den Kern der Schlo߬
gesellschaft. Ohne sie würde Paskiewicz schwerlich ein Fest stattfinden lassen. Sie
sind gewöhnlich Abends beim Kartenspiel, welches der Statthalter über die Maßen
liebt, seine Partner. Man spielt hoch, sast höher, als es sich für hohe Herren
schickt, und nach Fug und Recht müßte Durchlaucht und seine Spielfreunde bis¬
weilen von den Polizeidienern aufgehoben werden. Die Verluste wie die Gewinne
steigen in einem Abend bisweilen -- wenn ich recht rechne -- auf 50- und 1V0MV
Gulden, und Paskiewicz ist gewöhnlich nicht der, welcher sich des Gewinnes zu
rühmen hat.

Der General Okuuieff ist von einem Procurator der Schulen des Königreichs
zum Cultusminister von Polen emporgestiegen. Man kaun nicht bestreikn,
daß er der gelehrteste aller Generäle mit Ausnahme der Artilleriegeneräle Dehn,
der sich jetzt in Petersburg befindet, und Richter ist; und darf man auch zugeben,
daß er deshalb der würdigste sür die Stelle eiues Cultnsministers ist. Nur muß
mau nicht glauben, daß die Functionen eines Ministers von Polen mit denen
eiues Ministers anderer Staaten zu vergleichen sind. Die polnischen Minister
siud uur eine zweite fast ganz bedeutungslose Hand, die Briefträger des Peters¬
burger Ministeriums. Sie dürfen nichts selbstständig verfügen, nichts nach eigenem


zu beruhigen suchte, auf der Bühne nach dem Befehl des Generals eine Ohnmacht
erheucheln, damit am nächsten Tage jedes Zischen im Theater bei Gefängnißstrafe
verboten werden konnte. Aehnliches kommt auch jetzt noch vor.

Fürst Paskiewicz ist über derartige Beziehungen seiner Beamten unterrichtet,
er würdigt sie keiner Beachtung, leider auch dann nicht, wenn sie dem Publicum
lästig und unangenehm werden. Er mag dieselben für eine unvermeidliche Unart
der russischen Vornehmen halten. Und das scheinen sie in der That. Mit Aus¬
nahme des Generals Okunieff weiß die scaudalisirende Societät in Warschau keinen
von all deu Stabsossicieren, der sich nicht des Besitzes einer oder mehrerer Mai¬
tressen erfreute, und jeder behandelt ein solches Verhältniß so ungenirt und öf¬
fentlich, als sei es die nothwendige Zugabe exclusiver Stellung»

Mit solcher Ungenirtheit treibt es in der That der General Graf T. aM
Weitesten. Er bewohnt die erste Etage eines Palastes. Die zweite seine Favoritin.
Beide Wohnungen siud durch eine zierliche eiserne Wendeltreppe mit einander
verbunden, welche in einem der inneren Zimmer angelegt ist. Diese Treppe, welche
zuweilen zu Scherzen an der Tafel des Statthalters Anlaß gegeben hat, soll von
dem Staatsrath Badeny eingerichtet worden sein :c. ze. — Die Geschichte der
Treppe ist ein ganzer Roman im Ton von Alex. Dumas; ich habe nicht Grazie
genug, ihn zu schreiben.

Zu den nächsten Freunden des Fürsten Paskiewicz gehören die Generäle
Okunieff, Read und Urzokoss. Sie werden mit Brüderlichkeit empfangen, als be¬
währte alte Freunde zu jeder Zeit vorgelassen, und bilden den Kern der Schlo߬
gesellschaft. Ohne sie würde Paskiewicz schwerlich ein Fest stattfinden lassen. Sie
sind gewöhnlich Abends beim Kartenspiel, welches der Statthalter über die Maßen
liebt, seine Partner. Man spielt hoch, sast höher, als es sich für hohe Herren
schickt, und nach Fug und Recht müßte Durchlaucht und seine Spielfreunde bis¬
weilen von den Polizeidienern aufgehoben werden. Die Verluste wie die Gewinne
steigen in einem Abend bisweilen — wenn ich recht rechne — auf 50- und 1V0MV
Gulden, und Paskiewicz ist gewöhnlich nicht der, welcher sich des Gewinnes zu
rühmen hat.

Der General Okuuieff ist von einem Procurator der Schulen des Königreichs
zum Cultusminister von Polen emporgestiegen. Man kaun nicht bestreikn,
daß er der gelehrteste aller Generäle mit Ausnahme der Artilleriegeneräle Dehn,
der sich jetzt in Petersburg befindet, und Richter ist; und darf man auch zugeben,
daß er deshalb der würdigste sür die Stelle eiues Cultnsministers ist. Nur muß
mau nicht glauben, daß die Functionen eines Ministers von Polen mit denen
eiues Ministers anderer Staaten zu vergleichen sind. Die polnischen Minister
siud uur eine zweite fast ganz bedeutungslose Hand, die Briefträger des Peters¬
burger Ministeriums. Sie dürfen nichts selbstständig verfügen, nichts nach eigenem


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_345606/192>, abgerufen am 27.06.2024.