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Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. I. Band.

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von reichen Bauern ans Dobrota, gewohnt, auf der See zu pflügen, denn sie
sind reiche Schifföherren und haben ihr Geld im Handel angelegt. Sie haben
stämmige Körper, gescheidte Gesichter, sind Katholiken uuter all den Griechen hier,
und hassen von allen Bewohnern der Bai die Montenegriner am meisten. Die
hübschen Häuser ihres Dorfes siud mit hohen Mauern umgeben und haben Schie߬
löcher, nicht zum Spaß, denn gerade sie werdeu vou deu Bergbewohnern am
liebsten geplündert, und der grauhaarige Patriarch in der Mitte hat dreimal einen
nächtlichen Sturm der Räuber auf sein Haus und seiue Töchter durch gute Kugeln
abgewehrt, und für ein Wunder gilt, daß er noch lebt, denn in jeuer wilden Zeit,
als Napoleon noch Herzöge von Ragusa machte, war die Blutrache von mehr als
einer Familie ans den schwarzen Bergen gegen ihn los, er aber hat sich nicht ge¬
fürchtet, sondern die Herren nur als Tagediebe verachtet.

Die Mouteuegriner! Viel Abenteuerliches und Interessantes erzählen die ge¬
bildeten Reisenden, welche deu Vladika in Cetiuge besucht haben, von der Wildheit
des Landes der schwarzen Berge, von der Kraft und dem Türkenhaß seiner Be¬
wohner. Uns interessirt zunächst der Umstand, daß dort hunderttausend Menschen
serbischen Stammes wohnen, welche nur ihrem Bischof, dem Vladika, gehorche",
und ferner, daß dieser Bischof ein Vasall des russischen Kaisers ist und mehr als
die Hälfte seiner Einkünfte von Nußland bezieht. -- Als Gott die Steine auf der
Erde vertheilen wollte, riß ihm der Sack, worin er sie trug, gerade über Mon¬
tenegro, und die Steine fielen alle herab lind machten das Bergland öde, so er¬
zählen die Montenegriner selbst, und weil ihr Land rauh und unfruchtbar ist, hat
der Stamm seine kriegerische Wildheit und Unabhängigkeit erhalten bis jetzt, und
jede Gelegenheit, dnrch Krieg und Ueberfall sich auszubreiten, ist ihm herzlich
erwünscht. Nirgeudhiu aber geht der Zug dieser Race stärker, als uach
Cattaro. Seit alter Zeit siud sie gewöhnt, die Producte ihrer Berge dort zu
verkaufen und sich einzutauschen, was sie bedürfe", Waffen, Schmuck und Geld,
und seit alter Zeit sind sie gewöhnt, das Gebiet von Cattaro mit lüsternem Auge
zu betrachten als eine reiche Beute, welche ihnen gehört. Hatten sie doch schon
als Feinde der Franzosen gegen den General Gattthier gekämpft, mit Hilfe der
Engländer die Stadt erobert und ein halbes Jahr bis zum Juni 1814 besetzt
gehalten, das ist ihnen unvergessen. Und wenn Nußland stets bereitwillige
Helfer und ein Heer vou 10,000 Mann zu beliebiger Verwendung in den
schwarzen Bergen finden wird, so würde der Dienst der Montenegriner doppelt
freudig sein, wenn sie die Aussicht hätten, dadurch Mitbesitzer der Bocche zu
werdeu.

Für die Russen aber wird der Besitz des Hafens von Cattaro von dem
Augenblicke an nothwendig, wo sie ihre Pläne gegen die Türkei für reif halten.
Das schwarze Meer, durch die Dardanellen von Constantinopel abgesperrt, kann
keinen Kriegshafen für eine russische Mittelmeerflotte bilden, und an den gehauen-


von reichen Bauern ans Dobrota, gewohnt, auf der See zu pflügen, denn sie
sind reiche Schifföherren und haben ihr Geld im Handel angelegt. Sie haben
stämmige Körper, gescheidte Gesichter, sind Katholiken uuter all den Griechen hier,
und hassen von allen Bewohnern der Bai die Montenegriner am meisten. Die
hübschen Häuser ihres Dorfes siud mit hohen Mauern umgeben und haben Schie߬
löcher, nicht zum Spaß, denn gerade sie werdeu vou deu Bergbewohnern am
liebsten geplündert, und der grauhaarige Patriarch in der Mitte hat dreimal einen
nächtlichen Sturm der Räuber auf sein Haus und seiue Töchter durch gute Kugeln
abgewehrt, und für ein Wunder gilt, daß er noch lebt, denn in jeuer wilden Zeit,
als Napoleon noch Herzöge von Ragusa machte, war die Blutrache von mehr als
einer Familie ans den schwarzen Bergen gegen ihn los, er aber hat sich nicht ge¬
fürchtet, sondern die Herren nur als Tagediebe verachtet.

Die Mouteuegriner! Viel Abenteuerliches und Interessantes erzählen die ge¬
bildeten Reisenden, welche deu Vladika in Cetiuge besucht haben, von der Wildheit
des Landes der schwarzen Berge, von der Kraft und dem Türkenhaß seiner Be¬
wohner. Uns interessirt zunächst der Umstand, daß dort hunderttausend Menschen
serbischen Stammes wohnen, welche nur ihrem Bischof, dem Vladika, gehorche»,
und ferner, daß dieser Bischof ein Vasall des russischen Kaisers ist und mehr als
die Hälfte seiner Einkünfte von Nußland bezieht. — Als Gott die Steine auf der
Erde vertheilen wollte, riß ihm der Sack, worin er sie trug, gerade über Mon¬
tenegro, und die Steine fielen alle herab lind machten das Bergland öde, so er¬
zählen die Montenegriner selbst, und weil ihr Land rauh und unfruchtbar ist, hat
der Stamm seine kriegerische Wildheit und Unabhängigkeit erhalten bis jetzt, und
jede Gelegenheit, dnrch Krieg und Ueberfall sich auszubreiten, ist ihm herzlich
erwünscht. Nirgeudhiu aber geht der Zug dieser Race stärker, als uach
Cattaro. Seit alter Zeit siud sie gewöhnt, die Producte ihrer Berge dort zu
verkaufen und sich einzutauschen, was sie bedürfe», Waffen, Schmuck und Geld,
und seit alter Zeit sind sie gewöhnt, das Gebiet von Cattaro mit lüsternem Auge
zu betrachten als eine reiche Beute, welche ihnen gehört. Hatten sie doch schon
als Feinde der Franzosen gegen den General Gattthier gekämpft, mit Hilfe der
Engländer die Stadt erobert und ein halbes Jahr bis zum Juni 1814 besetzt
gehalten, das ist ihnen unvergessen. Und wenn Nußland stets bereitwillige
Helfer und ein Heer vou 10,000 Mann zu beliebiger Verwendung in den
schwarzen Bergen finden wird, so würde der Dienst der Montenegriner doppelt
freudig sein, wenn sie die Aussicht hätten, dadurch Mitbesitzer der Bocche zu
werdeu.

Für die Russen aber wird der Besitz des Hafens von Cattaro von dem
Augenblicke an nothwendig, wo sie ihre Pläne gegen die Türkei für reif halten.
Das schwarze Meer, durch die Dardanellen von Constantinopel abgesperrt, kann
keinen Kriegshafen für eine russische Mittelmeerflotte bilden, und an den gehauen-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_345606/152>, abgerufen am 27.06.2024.