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Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. I. Band.

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vielleicht die erste unblutige Einnahme der Stadt. Im Jahre 1815 ward sie deu
Oestreichern zurückgegeben.

Das ist in kurzen Umrissen das politische Schicksal eines Punctes, dessen
Zeit noch nicht gekommen ist. Vielleicht hundert Mal, seit es eine euro¬
päische Geschichte gibt, hat die Bai ihre Herren gewechselt; fast jede Nation,
welche je das mittelländische Meer befuhr, hat ihre Anker in den Grund des
Hasens gesenkt, keine hat sich behaupten können. Auch in diesem ewigen Wechsel,
der so jammervoll für die Bewohner der Ufer war, so verhängnißvoll sür das
Gedeihen des Landstrichs, liegt manche Lehre. Oestreich kann schwerlich mehr
benutzen, was für seine Herrschaft daraus zu lernen ist: daß dies Ufergebiet ohne
sein Hochland, daß Dalmatien ohne Bosnien und Serbien ewig ein schwacher
und unsicherer Besitz bleiben wird.

Vor dem östlichen Thore liegt der Bazar, ein nmmanerter Raum, dazu bestimmt,
dreimal in der Woche den Handel mit den Montenegrinern zu vermitteln. Es
ist Dienstag Morgen und der Markt beginnt, sür den Fremden ein seltsamer
Anblick; man glaubt auf einem Maskenball zu sein. Die Riesengestalten der
Montenegriner, welche von ihren Bergen heruntergestiegen sind, schreiten hoch-
müthig und scharf um sich blickend dnrch die Reihen der Bocchesen; hier ein
alter Krieger in der grauen Strucka, der den neuen Orden des Milosch Obilicz,
welchen der romantische Sinn des jetzigen Vladika gestiftet, an der Brust trägt;
hinter ihm ein Trupp hochgewachsener Frauen mit ihren Waaren auf dem Rücken.
Dort am Eingange einige Leibgarden des Vladika, in ihrer Heimath "Träger
des Federbusches" genannt, mit ihren langen Fenersteiugewehren und den silber¬
ausgelegten Pistolen und dem Handjar im bunten Gürtel. Diese Kehlabschneider
sind höflicher als sonst, denn sie haben nicht das beste Gewissen; sie hatten im
Jahre 1850 große Lust, die Plüuderuugssceneu von 1840 zu wiederholen, und
es bedürfte das ganze Ansehen des Vladika, um ihre Raublust auf das gewöhn¬
liche Maß zu beschränken. Zwischen den Montenegrinern, die meist Ver¬
käufer sind und für die Hausfrauen von Cattaro unentbehrlich, drängen sich
die Bocchesen geschäftig und speculirend, als schlaue Handelsleute bekannt.
Die Städter von Cattaro in der gewöhnlichen französischen Tracht, welche in
den Küstenstädten Dalmatiens das nationale Costum schon längst verdrängt
bat, die übrigen Bocchesen in dem düstern, schwarzen Anzuge, der durch
die silbernen Knöpfe und Schnallen, Pistolen, Dolch und Degen, und die rothe
Schärpe nicht gerade behaglicher gemacht wird, unter ihnen hier und da ein Bürger
von Risano in seinem kurzen grünen Oberrock, dem grünen Wamms mit goldenen
Schnüren und Spangen, rother Mütze mit goldener Troddel und weiten schwarzen
Beinkleidern, welche sich über rothen, reichgestickten Kniestrümpfen bauschen. Gra¬
vitätisch trägt der reiche Maun von Risano seine Pfeife und die Flinte, welche
mit Perlmutter ausgelegt ist. Und dort unter dem Schirmdach sitzt eine Gruppe


vielleicht die erste unblutige Einnahme der Stadt. Im Jahre 1815 ward sie deu
Oestreichern zurückgegeben.

Das ist in kurzen Umrissen das politische Schicksal eines Punctes, dessen
Zeit noch nicht gekommen ist. Vielleicht hundert Mal, seit es eine euro¬
päische Geschichte gibt, hat die Bai ihre Herren gewechselt; fast jede Nation,
welche je das mittelländische Meer befuhr, hat ihre Anker in den Grund des
Hasens gesenkt, keine hat sich behaupten können. Auch in diesem ewigen Wechsel,
der so jammervoll für die Bewohner der Ufer war, so verhängnißvoll sür das
Gedeihen des Landstrichs, liegt manche Lehre. Oestreich kann schwerlich mehr
benutzen, was für seine Herrschaft daraus zu lernen ist: daß dies Ufergebiet ohne
sein Hochland, daß Dalmatien ohne Bosnien und Serbien ewig ein schwacher
und unsicherer Besitz bleiben wird.

Vor dem östlichen Thore liegt der Bazar, ein nmmanerter Raum, dazu bestimmt,
dreimal in der Woche den Handel mit den Montenegrinern zu vermitteln. Es
ist Dienstag Morgen und der Markt beginnt, sür den Fremden ein seltsamer
Anblick; man glaubt auf einem Maskenball zu sein. Die Riesengestalten der
Montenegriner, welche von ihren Bergen heruntergestiegen sind, schreiten hoch-
müthig und scharf um sich blickend dnrch die Reihen der Bocchesen; hier ein
alter Krieger in der grauen Strucka, der den neuen Orden des Milosch Obilicz,
welchen der romantische Sinn des jetzigen Vladika gestiftet, an der Brust trägt;
hinter ihm ein Trupp hochgewachsener Frauen mit ihren Waaren auf dem Rücken.
Dort am Eingange einige Leibgarden des Vladika, in ihrer Heimath „Träger
des Federbusches" genannt, mit ihren langen Fenersteiugewehren und den silber¬
ausgelegten Pistolen und dem Handjar im bunten Gürtel. Diese Kehlabschneider
sind höflicher als sonst, denn sie haben nicht das beste Gewissen; sie hatten im
Jahre 1850 große Lust, die Plüuderuugssceneu von 1840 zu wiederholen, und
es bedürfte das ganze Ansehen des Vladika, um ihre Raublust auf das gewöhn¬
liche Maß zu beschränken. Zwischen den Montenegrinern, die meist Ver¬
käufer sind und für die Hausfrauen von Cattaro unentbehrlich, drängen sich
die Bocchesen geschäftig und speculirend, als schlaue Handelsleute bekannt.
Die Städter von Cattaro in der gewöhnlichen französischen Tracht, welche in
den Küstenstädten Dalmatiens das nationale Costum schon längst verdrängt
bat, die übrigen Bocchesen in dem düstern, schwarzen Anzuge, der durch
die silbernen Knöpfe und Schnallen, Pistolen, Dolch und Degen, und die rothe
Schärpe nicht gerade behaglicher gemacht wird, unter ihnen hier und da ein Bürger
von Risano in seinem kurzen grünen Oberrock, dem grünen Wamms mit goldenen
Schnüren und Spangen, rother Mütze mit goldener Troddel und weiten schwarzen
Beinkleidern, welche sich über rothen, reichgestickten Kniestrümpfen bauschen. Gra¬
vitätisch trägt der reiche Maun von Risano seine Pfeife und die Flinte, welche
mit Perlmutter ausgelegt ist. Und dort unter dem Schirmdach sitzt eine Gruppe


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_345606/151>, abgerufen am 23.06.2024.