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Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. I. Band.

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sie immer nur als Theatercoup erscheint, um irgend ein Stichwort anzubringen,
z. B. zum Schluß den durch Nichts motivirten Namen Vonaparte. -- Was die
Zeichnung der Revolutionsmänner betrifft, so hat der Dichter sich bemüht, nach
allen Seiten hin unparteiisch zu sein. Nur das Volk kommt allzu schlecht weg;
es besteht aus 3 Trunkenbolden, deren einzige Beschäftigung zu sein scheint, ge¬
stohlenen Wein zu saufen. Von dein Dämonischen, was damals doch unstreitig
im Volk lag, ist keine Spur. Wenn man vom Volk nichts weiter weiß, als Re¬
miniscenzen ans dem Coriolan, so sollte ma>n es überhaupt uicht schildern wollen.

Die Wahl des bestimmten Abschnittes aus der Revolution, und das Arran¬
gement der Acte ist glücklich zu nennen. Die Hinrichtung Robespierre's ist der
eigentliche Wendepunkt, und um ihn vollständig zu würdigen, muß vorher ein
recht eminenter Act des Schreckens auf der Bühne vorgehen. Dazu ist am besten
der Fall derjenigen unter den Schreckensmännern geeignet, die noch einen Funken
von Menschlichkeit in sich tragen. Danton's Tod ist nicht, wie man dem Drama
mit Unrecht vorgeworfen hat, eine Episode, sondern die wesentliche und die noth¬
wendige Einleitung zu Robespierre's Fall. Danton ist auch der wesentliche Con¬
trast zu Robespierre, denn um für diesem auch uur eine relative Theilnahme
empfinden zu können, müsse" wir sehen, wie selbst die kräftigsten Naturen durch
den Schwindel der Revolution aus ihren Fugen gerückt werdeu, und wie nur die
beschränkte "Tugend" fest bleibt.

Aber freilich auch so wird unsere Theilnahme für den Helden der Jakobiner
nicht groß. Bei einer mächtigen, leidenschaftlichsten Natur, einem Othello, Lear,
Macbeth, begreifen wir auch die wildesten Verirrungen, und können ihnen unser
Mitgefühl nicht versagen; der Fanatismus des Verstandes dagegen kann uns wohl
in der Geschichte, aber nicht im Gedicht fesseln. Robespierre bleibt ein mesqnines
Geschöpf, so hoch anch das Piedestal sein mag, auf welches ihn die Verhältnisse
und seine Umgebungen stellen. Wir können an den Franzosen, die sich durch
diesen kleinlichen Tyrannen knechten lassen, kein Interesse nehmen, denn der Gegen¬
stand ihrer Furcht ist nicht ein lebendiges Wesen, soudern ein Symbol, eine Ab-
straction, ein Colleetivbegriff, und wir werden auch durch seinen Sturz nicht
erhoben, deun die Entscheidung des nennten Thermidor war ein reiner Ausfluß
der Feigheit, die nichts mehr zu verlieren hatte, und die Sieger unter allen Ha-
lunken, die jene wilde Zeit an's Tageslicht gebracht hatte, die verächtlichsten.
Diese Billaud-Varennes, Vadier, Amar, Barrere, Collot d'Herbois, Tallien u. s. w.
sie hatten dieselben Greuelthaten verübt, wie ihre weiter vorgeschrittenen Genossen,
und hatten schlechtere Motive. -- Diese Intrigue, welche die letzte Katastrophe
herbeiführt, ist auch bei Griepenkerl der schwächste Theil; der Maschinist Vadier
ist eine ganz unklar gedachte Figur, und seine Helfershelfer nichts als Volk ä la
eoriolan, obgleich auch hier die Intention nicht schlecht ist: Der Tyrann soll da¬
durch gestürzt werden, daß man gerade seine Tugenden dem Volk als lächerlich


sie immer nur als Theatercoup erscheint, um irgend ein Stichwort anzubringen,
z. B. zum Schluß den durch Nichts motivirten Namen Vonaparte. — Was die
Zeichnung der Revolutionsmänner betrifft, so hat der Dichter sich bemüht, nach
allen Seiten hin unparteiisch zu sein. Nur das Volk kommt allzu schlecht weg;
es besteht aus 3 Trunkenbolden, deren einzige Beschäftigung zu sein scheint, ge¬
stohlenen Wein zu saufen. Von dein Dämonischen, was damals doch unstreitig
im Volk lag, ist keine Spur. Wenn man vom Volk nichts weiter weiß, als Re¬
miniscenzen ans dem Coriolan, so sollte ma>n es überhaupt uicht schildern wollen.

Die Wahl des bestimmten Abschnittes aus der Revolution, und das Arran¬
gement der Acte ist glücklich zu nennen. Die Hinrichtung Robespierre's ist der
eigentliche Wendepunkt, und um ihn vollständig zu würdigen, muß vorher ein
recht eminenter Act des Schreckens auf der Bühne vorgehen. Dazu ist am besten
der Fall derjenigen unter den Schreckensmännern geeignet, die noch einen Funken
von Menschlichkeit in sich tragen. Danton's Tod ist nicht, wie man dem Drama
mit Unrecht vorgeworfen hat, eine Episode, sondern die wesentliche und die noth¬
wendige Einleitung zu Robespierre's Fall. Danton ist auch der wesentliche Con¬
trast zu Robespierre, denn um für diesem auch uur eine relative Theilnahme
empfinden zu können, müsse» wir sehen, wie selbst die kräftigsten Naturen durch
den Schwindel der Revolution aus ihren Fugen gerückt werdeu, und wie nur die
beschränkte „Tugend" fest bleibt.

Aber freilich auch so wird unsere Theilnahme für den Helden der Jakobiner
nicht groß. Bei einer mächtigen, leidenschaftlichsten Natur, einem Othello, Lear,
Macbeth, begreifen wir auch die wildesten Verirrungen, und können ihnen unser
Mitgefühl nicht versagen; der Fanatismus des Verstandes dagegen kann uns wohl
in der Geschichte, aber nicht im Gedicht fesseln. Robespierre bleibt ein mesqnines
Geschöpf, so hoch anch das Piedestal sein mag, auf welches ihn die Verhältnisse
und seine Umgebungen stellen. Wir können an den Franzosen, die sich durch
diesen kleinlichen Tyrannen knechten lassen, kein Interesse nehmen, denn der Gegen¬
stand ihrer Furcht ist nicht ein lebendiges Wesen, soudern ein Symbol, eine Ab-
straction, ein Colleetivbegriff, und wir werden auch durch seinen Sturz nicht
erhoben, deun die Entscheidung des nennten Thermidor war ein reiner Ausfluß
der Feigheit, die nichts mehr zu verlieren hatte, und die Sieger unter allen Ha-
lunken, die jene wilde Zeit an's Tageslicht gebracht hatte, die verächtlichsten.
Diese Billaud-Varennes, Vadier, Amar, Barrere, Collot d'Herbois, Tallien u. s. w.
sie hatten dieselben Greuelthaten verübt, wie ihre weiter vorgeschrittenen Genossen,
und hatten schlechtere Motive. — Diese Intrigue, welche die letzte Katastrophe
herbeiführt, ist auch bei Griepenkerl der schwächste Theil; der Maschinist Vadier
ist eine ganz unklar gedachte Figur, und seine Helfershelfer nichts als Volk ä la
eoriolan, obgleich auch hier die Intention nicht schlecht ist: Der Tyrann soll da¬
durch gestürzt werden, daß man gerade seine Tugenden dem Volk als lächerlich


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_345606/142>, abgerufen am 21.06.2024.