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Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. I. Band.

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Zwar macht es der Verfasser dem Recensenten schwer, ihn zu loben. Er
nimmt in der Vorrede den Mund so fürchterlich voll, und was er sagt, steht so
wenig im Verhältniß zu der Zahl und dem Bombast der Worte, in denen er es
sagt, daß unwillkürlich die polemische Ader kocht. "Was kein Shakespeare
konnte, kein Calderon, kein Racine, kein Corneille, kein Göthe -- ja selbst kein
Schiller, -- das kaun die Bühne der Gegenwart erreichen, wenn die Breter
unter dem Kothurne der Wirklichkeit donnern"! -- Arme Breter! Armer Poet! --
Es ist indeß nicht der Mühe werth-, auf diese abgedroschenen Kothurn-Phrasen
noch weiter einzugehen. --

Herr Griepeukerl ist uicht, was mau eigentlich einen Dichter nennt; was er
gibt, ist nicht erlebt, nicht empfunden, souderu erdacht. Aber ergeht mit Ueber-
legung zu Werke, mau kauu bei jeder seiner Scenen sagen, was er beabsichtigt.
Und das ist in einer Zeit, wo die meisten unserer Poeten gedankenlos hinsndeln,
was ihnen gerade in den Sinn kommt, schon immer ein Vorzug.

Was das Sujet betrifft, so wird die Schwierigkeit, die jeder historische
Stoff dem Dichter darbietet, weil er auf einer den Tagesempfiuduugeu fremden,
vielleicht entgegengesetzten Weltanschauung basirt, uoch dadurch erhöht, daß in
einer revolutionairen, fieberhaft ezaltirteu Zeit die öffentliche Meinung, sonst doch
durchschnittlich der Ausdruck des ungeschulten gefunden Menschenverstandes, sich
geradezu in das Gegentheil desselben verkehrt. Nicht allein die Gedanken, die
Empfindungen, selbst die Sprache verwandelt sich. Es redet Alles einen wüsten
Jargon, der allen Zusammenhang zu den gewöhnlichen Vorstellungen des Lebens
verloren hat. Wie soll dem Publicum deutlich gemacht werden, daß es nicht vor
einem Tollhause, sondern vor einem geschichtlichen Schauplatz steht? -- Nur da¬
durch, daß es eiuen Repräsentanten seiner eigenen Verwunderung über deu herr¬
schende,! Wahnsinn auf dem Theater sieht, und dadurch in den Stand gesetzt
wird, sich zu orientiren. -- Griepenkerl hat dieses Bedürfniß gefühlt, und ihm
dadurch abzuhelfen gesucht, daß er das höhere Bewußtsein über das, was die
Revolution der Menschheit leisten soll und leisten wird, einer liebenswürdigen
Dame in den Mund legt, Therese Cabarrus, die sich schon äußerlich vou dem
übrigen Personal dadurch unterscheidet, daß sie in Versen spricht, meist in
Reimen, währeud die Andern sich in jeuer ungeschickten Halbprosa bewegen,
in welcher der jambische Rhythmus vorherrscht, ohne doch die rohen Elemente
zu überwinden. An sich wäre gegen den Einfall nichts zu sagen, obgleich
es einfacher gewesen wäre, die Kritik vom Standpunkt des natürlich mensch¬
lichen Gefühls ausgehen zu lassen, als vom Standpunkt der Philosophie; wenn
das aber einmal geschehen sollte, so müßten wenigstens die Ideen der Heldin
klarer und edler sein, als die des gewöhnlichen Volkes. Leider aber zeichnen sie
sich durch größere Confusion aus, und verfallen zuweilen in reinen Unsinn. Außer¬
dem ist ihre Person so unklar gehalten, mau weiß so wenig wie und warum, daß


Grenzboten. I. 1851. 17

Zwar macht es der Verfasser dem Recensenten schwer, ihn zu loben. Er
nimmt in der Vorrede den Mund so fürchterlich voll, und was er sagt, steht so
wenig im Verhältniß zu der Zahl und dem Bombast der Worte, in denen er es
sagt, daß unwillkürlich die polemische Ader kocht. „Was kein Shakespeare
konnte, kein Calderon, kein Racine, kein Corneille, kein Göthe — ja selbst kein
Schiller, — das kaun die Bühne der Gegenwart erreichen, wenn die Breter
unter dem Kothurne der Wirklichkeit donnern"! — Arme Breter! Armer Poet! —
Es ist indeß nicht der Mühe werth-, auf diese abgedroschenen Kothurn-Phrasen
noch weiter einzugehen. —

Herr Griepeukerl ist uicht, was mau eigentlich einen Dichter nennt; was er
gibt, ist nicht erlebt, nicht empfunden, souderu erdacht. Aber ergeht mit Ueber-
legung zu Werke, mau kauu bei jeder seiner Scenen sagen, was er beabsichtigt.
Und das ist in einer Zeit, wo die meisten unserer Poeten gedankenlos hinsndeln,
was ihnen gerade in den Sinn kommt, schon immer ein Vorzug.

Was das Sujet betrifft, so wird die Schwierigkeit, die jeder historische
Stoff dem Dichter darbietet, weil er auf einer den Tagesempfiuduugeu fremden,
vielleicht entgegengesetzten Weltanschauung basirt, uoch dadurch erhöht, daß in
einer revolutionairen, fieberhaft ezaltirteu Zeit die öffentliche Meinung, sonst doch
durchschnittlich der Ausdruck des ungeschulten gefunden Menschenverstandes, sich
geradezu in das Gegentheil desselben verkehrt. Nicht allein die Gedanken, die
Empfindungen, selbst die Sprache verwandelt sich. Es redet Alles einen wüsten
Jargon, der allen Zusammenhang zu den gewöhnlichen Vorstellungen des Lebens
verloren hat. Wie soll dem Publicum deutlich gemacht werden, daß es nicht vor
einem Tollhause, sondern vor einem geschichtlichen Schauplatz steht? — Nur da¬
durch, daß es eiuen Repräsentanten seiner eigenen Verwunderung über deu herr¬
schende,! Wahnsinn auf dem Theater sieht, und dadurch in den Stand gesetzt
wird, sich zu orientiren. — Griepenkerl hat dieses Bedürfniß gefühlt, und ihm
dadurch abzuhelfen gesucht, daß er das höhere Bewußtsein über das, was die
Revolution der Menschheit leisten soll und leisten wird, einer liebenswürdigen
Dame in den Mund legt, Therese Cabarrus, die sich schon äußerlich vou dem
übrigen Personal dadurch unterscheidet, daß sie in Versen spricht, meist in
Reimen, währeud die Andern sich in jeuer ungeschickten Halbprosa bewegen,
in welcher der jambische Rhythmus vorherrscht, ohne doch die rohen Elemente
zu überwinden. An sich wäre gegen den Einfall nichts zu sagen, obgleich
es einfacher gewesen wäre, die Kritik vom Standpunkt des natürlich mensch¬
lichen Gefühls ausgehen zu lassen, als vom Standpunkt der Philosophie; wenn
das aber einmal geschehen sollte, so müßten wenigstens die Ideen der Heldin
klarer und edler sein, als die des gewöhnlichen Volkes. Leider aber zeichnen sie
sich durch größere Confusion aus, und verfallen zuweilen in reinen Unsinn. Außer¬
dem ist ihre Person so unklar gehalten, mau weiß so wenig wie und warum, daß


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[0141] Zwar macht es der Verfasser dem Recensenten schwer, ihn zu loben. Er nimmt in der Vorrede den Mund so fürchterlich voll, und was er sagt, steht so wenig im Verhältniß zu der Zahl und dem Bombast der Worte, in denen er es sagt, daß unwillkürlich die polemische Ader kocht. „Was kein Shakespeare konnte, kein Calderon, kein Racine, kein Corneille, kein Göthe — ja selbst kein Schiller, — das kaun die Bühne der Gegenwart erreichen, wenn die Breter unter dem Kothurne der Wirklichkeit donnern"! — Arme Breter! Armer Poet! — Es ist indeß nicht der Mühe werth-, auf diese abgedroschenen Kothurn-Phrasen noch weiter einzugehen. — Herr Griepeukerl ist uicht, was mau eigentlich einen Dichter nennt; was er gibt, ist nicht erlebt, nicht empfunden, souderu erdacht. Aber ergeht mit Ueber- legung zu Werke, mau kauu bei jeder seiner Scenen sagen, was er beabsichtigt. Und das ist in einer Zeit, wo die meisten unserer Poeten gedankenlos hinsndeln, was ihnen gerade in den Sinn kommt, schon immer ein Vorzug. Was das Sujet betrifft, so wird die Schwierigkeit, die jeder historische Stoff dem Dichter darbietet, weil er auf einer den Tagesempfiuduugeu fremden, vielleicht entgegengesetzten Weltanschauung basirt, uoch dadurch erhöht, daß in einer revolutionairen, fieberhaft ezaltirteu Zeit die öffentliche Meinung, sonst doch durchschnittlich der Ausdruck des ungeschulten gefunden Menschenverstandes, sich geradezu in das Gegentheil desselben verkehrt. Nicht allein die Gedanken, die Empfindungen, selbst die Sprache verwandelt sich. Es redet Alles einen wüsten Jargon, der allen Zusammenhang zu den gewöhnlichen Vorstellungen des Lebens verloren hat. Wie soll dem Publicum deutlich gemacht werden, daß es nicht vor einem Tollhause, sondern vor einem geschichtlichen Schauplatz steht? — Nur da¬ durch, daß es eiuen Repräsentanten seiner eigenen Verwunderung über deu herr¬ schende,! Wahnsinn auf dem Theater sieht, und dadurch in den Stand gesetzt wird, sich zu orientiren. — Griepenkerl hat dieses Bedürfniß gefühlt, und ihm dadurch abzuhelfen gesucht, daß er das höhere Bewußtsein über das, was die Revolution der Menschheit leisten soll und leisten wird, einer liebenswürdigen Dame in den Mund legt, Therese Cabarrus, die sich schon äußerlich vou dem übrigen Personal dadurch unterscheidet, daß sie in Versen spricht, meist in Reimen, währeud die Andern sich in jeuer ungeschickten Halbprosa bewegen, in welcher der jambische Rhythmus vorherrscht, ohne doch die rohen Elemente zu überwinden. An sich wäre gegen den Einfall nichts zu sagen, obgleich es einfacher gewesen wäre, die Kritik vom Standpunkt des natürlich mensch¬ lichen Gefühls ausgehen zu lassen, als vom Standpunkt der Philosophie; wenn das aber einmal geschehen sollte, so müßten wenigstens die Ideen der Heldin klarer und edler sein, als die des gewöhnlichen Volkes. Leider aber zeichnen sie sich durch größere Confusion aus, und verfallen zuweilen in reinen Unsinn. Außer¬ dem ist ihre Person so unklar gehalten, mau weiß so wenig wie und warum, daß Grenzboten. I. 1851. 17

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_345606/141>, abgerufen am 24.07.2024.